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Gesellschaft

Name: Alia. Geschlecht: weiblich. Bald

Esther Felden
16. Juni 2017

Auf ihrem Pass steht noch der Vorname Ali. Und dass sie ein Mann ist. Ein Fehler der Natur, sagt Alia. Seit ihrer Kindheit weiß sie, dass sie im falschen Körper steckt. Aber nicht mehr lange.

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Alia Raza beim Schminken vor dem Spiegel
Bild: DW/E. Felden

Sie steht vor dem Waschbecken an der Küchenzeile, lächelt, schiebt sich zwei Tabletten in den Mund und spült sie mit einem Glas Wasser hinunter. Fast genüsslich wirkt es, wie Alia ihre morgendliche Dosis Östrogen einnimmt. Das weibliche Hormon - das für sie und ihren Körper Wunder wirkt. Zwei Pillen morgens, eine abends, dazu ein Testosteron-Blocker. Das ist tägliches Ritual auf dem Weg zur Frau. "Die Pillen sind mittlerweile wie die Nahrungsaufnahme für mich", meint Alia. Bald ein Jahr dauert die Hormonbehandlung schon, an den ersten Tag kann sie sich noch genau erinnern. "Welcome to Womanhood" - postete sie damals bei Facebook, es war der 26. Juli 2016. "Ich war so aufgeregt und hatte überall dieses kribbelige Gefühl, so ein: 'Ja, jetzt hast du es endlich geschafft'. Ich habe nicht geahnt, dass es mich so glücklich machen würde."

Alia ist 30, stammt gebürtig aus Pakistan. Seit mehreren Jahren lebt sie in Köln, sie hat hier studiert, hat einen Master in Umweltwissenschaft. Sie wollte damals weg aus Pakistan, weil sie sich als Trans-Frau dort nicht sicher fühlte. Regelmäßig werden Frauen wie sie in dem muslimisch geprägten und streng konservativen südasiatischen Land Opfer von Gewaltverbrechen. Sie werden gedemütigt, geschlagen, vergewaltigt. Oder sogar umgebracht. Mehrere Dutzend Transgender wurden allein im vergangenen Jahr ermordet. Wer sich outet, lebt gefährlich und wird oft auch von der Familie verstoßen. Alia hatte großes Glück diesbezüglich: Ihre beiden nächsten Verwandten - ihre Mutter und ihre Schwester - hielten bedingungslos zu ihr, als sie ihnen 2015 alles erzählte. Das gab und gibt ihr Kraft. Auch in Deutschland steht sie jeden Tag in Kontakt mit den beiden, schreibt oder spricht mit ihnen.

Alia Raza mit Kussmund in einem geblümten Kleid
Mann zu sein, das war wie ein "großer Stein auf dem Herzen", sagt Alia rückblickendBild: privat

Wunschbehandlung mit Nebenwirkungen...

Sie strahlt Selbstbewusstsein aus in ihrem leuchtend-pinken Kleid. Lippen und Augen sind geschminkt, die langen Fingernägel sorgfältig gefeilt. Die Details sollen stimmen, das Äußere zum Inneren passen. Vieles habe sich getan, seit sie mit der Hormonbehandlung begonnen hat, erzählt Alia. Die ersten deutlichen Veränderungen bemerkte sie Anfang Januar, da nahm sie die Medikamente seit einem knappen halben Jahr. "Ich habe nach und nach nicht nur ein anderes Gesicht bekommen und den Körper, den ich mir immer gewünscht habe. Auch meine Gefühle sind anders geworden, irgendwie weicher. Auch Sexualität erlebe ich anders, seit ich die Hormone nehme." Und ihre Stimme ist heller geworden, sie klingt jetzt fast wie ihre Mutter, meint sie. Das findet sie schön. Körperlich fühlt Alia sich dagegen heute schwächer, sie kann beispielsweise beim Einkaufen nicht mehr so schwere Taschen heben wie früher. Frauen hätten halt weniger Kraft als Männer, das liege in der Natur der Sache, sagt sie und zuckt die Schultern.

Doppelbild: Alia und Ali
Anderes Gesicht, anderes Leben: Seit dem Beginn der Hormonbehandlung hat sich für Alia vieles verändertBild: privat

So gut wie jetzt ging es ihr mit der Behandlung nicht immer, sie hatte mit Nebenwirkungen zu kämpfen. "Heute bin ich psychisch stark. Aber die Anfangsphase, also die ersten drei Monate, das war hart. Ich hatte keine Ahnung, was in meinem Gehirn passiert. Es gab Tage, da saß ich stundenlang nur auf einem Stuhl, und mein Kopf war total leer. Vielleicht tobte da in meinem Körper ein Kampf zwischen Testosteron und Östrogen. Es war, als würde mein Gehirn mit dem weiblichen Hormon nicht so schnell mitkommen."

... und jede Menge Bürokratie

Der Zustand machte Alia Angst. Sie wandte sich hilfesuchend an eine Freundin. "Sie ist auch eine Trans-Frau, hat die Operation aber schon hinter sich. In dieser Phase kam sie mehrmals pro Woche zu mir und hat mich psychisch unterstützt. So etwas braucht man, wenn man mit der Hormonbehandlung beginnt, glaube ich." Besonders wichtig sei es gewesen, dass die Freundin dasselbe durchgemacht hatte wie sie selbst. Dadurch habe sie ganz andere Tipps geben können als der behandelnde Urologe, der sie zwar medizinisch aufklären könne, aber eben niemals selbst in ihrer Lage war.

Alia Raza als Mann mit Kapuzenpulli
Als Ali war Alia nicht glücklich - sie kleidete sich aber bewusst männlich, um nicht aufzufallenBild: privat

Alia freut sich auf den Eingriff, die geschlechtsangleichende OP. "Davon habe ich so lange geträumt, ich kann es kaum erwarten, endlich ganz Frau zu sein." Doch etwas gedulden muss sie sich noch. Damit aus Ali ganz offiziell Alia werden kann, braucht sie Nachweise: "Ich muss mich vor Gericht für meine Namens- und Geschlechtsänderung anmelden. Personenstandsänderung heißt das in Deutschland. Erst wenn ich darüber die entsprechenden Dokumente bekommen habe, kann ich mich für die OP anmelden."

Warten auf den Richtigen

Worauf sie offiziell noch warten muss, das lebt Alia privat schon lange. Sie genießt ihren Alltag als Frau. Ganz offen spricht sie darüber, was sie sich wünscht: Eigentlich ein ganz normales "durchschnittliches" Leben, sagt sie. Mit einem Mann und zwei Kindern. "Eigene Kinder kann ich als Trans-Frau ja nicht bekommen, aber in ein paar Jahren würde ich gern adoptieren." Alia ist Single. Einmal hat sie sich seit dem Beginn der Hormonbehandlung auf eine Beziehung eingelassen, doch die hielt nur ein paar Monate. Dann sagte der Mann ihr, dass es für ihn nicht funktionieren würde mit ihr. Dass er sich eine  Frau wünsche, mit der er gemeinsame leibliche Kinder haben könnte.

Gemaltes Porträt-Bild von Alia Raza
So sah ein befreundeter Künstler Alia vor dem Beginn ihrer HormonbehandlungBild: privat

"Das war schon traurig. Ich war ja in ihn verliebt. Aber ich konnte sein Argument verstehen und habe Respekt davor. Immerhin war er ehrlich und hat mir gesagt, dass er ein Problem hat. Es war besser so als wenn er es zwei oder drei Jahre einfach hätte laufen lassen." Für Alia ist es selbstverständlich, gegenüber Männern zu thematisieren, dass sie momentan rein körperlich ebenfalls noch ein Mann ist. Auf die Gefahr hin, damit die Chance auf mehr zu gefährden. "Es ist vorgekommen, dass Männer mich dann als schwul bezeichnet haben. Ich weiß nicht, warum die Leute den Unterschied nicht verstehen. Eine Trans-Frau ist nicht schwul. Sie steckt nur im falschen Körper. Sie steht auf Männer wie heterosexuell geborene Frauen auch." Ihre Stimme klingt gleichzeitig energisch und ein bisschen resigniert.

Rassismus statt Trans-Feindlichkeit

Trotz solcher Erfahrungen: Insgesamt hat sich viel zum Positiven gewandelt während des vergangenen Jahres. Damals, bei unserem ersten Treffen hatte Alia von verletzenden Kommentaren und Beschimpfungen erzählt, von neugierigen Blicken und Leuten, die mit dem Finger auf sie zeigten und über sie lachten. Über einen Menschen, der noch ganz offensichtlich aussah wie ein Mann, der Bartstoppeln hatte, sich aber schminkte und Frauenkleider trug. Als "Pottvieh" sei sie mal bezeichnet worden, als "hässlich" oder als "Schande" für schwule Männer.

Alia Raza in Leopardenkleid bei einer Parade
Alia liebt es, sich chic zu machen und sich zu zeigenBild: privat

Wie es heute ist? Alia lacht. "Heute nehmen mich die meisten Menschen in der Bahn oder beim Einkaufen nicht mehr als etwas  Kurioses wahr, sondern einfach als Frau. Allerdings habe ich jetzt manchmal mit Fremdenfeindlichkeit zu tun, bekomme Kommentare aufgrund meines nicht-deutschen Aussehens." So etwas sei ihr früher nicht passiert, da hätten sich Reaktionen immer um ihre Kleidung und ihren Style gedreht.

Nur nach Hause, das geht nicht

Bei aller Freude über ihr neues Leben, das alte bereitet Alia Sorgen. Das, was sie vor Jahren zurückgelassen hat. Alia hat Angst um ihre Mutter und ihre Schwester, die beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Und die beiden einzigen aus der Verwandtschaft, die Alia damals ins Vertrauen gezogen und vor denen sie sich geoutet hatte. Mittlerweile aber hat ihr Onkel, der jüngere Bruder der Mutter, über soziale Netzwerke von Alias Verwandlung erfahren. Alia hat vorsichtshalber alle alten Freunde und Verwandten geblockt, sie bei Facebook aus der Freundesliste entfernt – aber offenbar zu spät. "Mein Onkel hat gesagt, ich hätte die Ehre der Familie zerstört. Deshalb bin ich nicht mehr willkommen in Pakistan."

Seit dem Beginn der Hormonbehandlung war sie nicht mehr in ihrer Heimat. Eigentlich hatte sie vor, ihre Mutter im Dezember zu besuchen, doch dann entschied sie sich dagegen. "Meine Mutter bat mich: Bitte komm nicht, es ist zu gefährlich. Sie sagte mir, dass mein Onkel einen Plan gegen mich geschmiedet hätte." Die Mutter erzählte, der Onkel habe Alia wegen Blasphemie bei der Polizei angeschwärzt. "Und das ist in Pakistan gefährlicher, als eine Trans-Frau zu sein. Auch ohne Beweise kann man wegen so eines Vorwurfs im Gefängnis landen." Alia ist weit weg, in Deutschland, in Sicherheit. Aber die Furcht, dass der Onkel sich an ihrer Familie rächen könnte, weil sie selbst nicht erreichbar ist, ist immer da, begleitet sie jeden Tag.

Trans-Frau Alia aus Pakistan über ihre Angst, der Mutter von ihrer Trans-Identität zu erzählen

Fremde können nicht so weh tun

Ihr Onkel sei zu einem regelrechten Feind geworden, sagt Alia und klingt traurig. "Wenn mir Menschen auf der Straße etwas Böses hinterhergerufen haben, dann hat mich das deutlich weniger getroffen. Viel schlimmer ist es, wenn diejenigen, die einem eigentlich nahe stehen, so etwas tun." Manchmal habe sie sich gefragt, ob es besser gewesen wäre, ihr wahres Ich noch eine Weile zu unterdrücken und sich erst später zu outen – um ihrer Mutter und der Schwester eine solche Situation zu ersparen. "Aber ich denke, das hätte nichts geändert. Mein Onkel hätte in ein paar Jahren genauso reagiert wie jetzt."

Alia Raza in einem pinken Kleid
Alia wirkt heute mit sich selbst im ReinenBild: DW/E. Felden

Alias Deutsch ist gut, sie spricht fließend. Trotzdem macht sie nach ihrem Master-Abschluss an der Uni jetzt noch einen Deutschkurs, ihr Berater bei der Arbeitsagentur hat ihr dazu geraten. Sie würde gern Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Umweltwissenschaft machen, dafür reicht es aber sprachlich noch nicht ganz. Daneben arbeitet sie an Wochenenden und Feiertagen über eine Zeitarbeitsfirma als Reinigungskraft in einem großen Unternehmen, finanziert sich so ihren Lebensunterhalt. Sechzehn Monate bleiben ihr jetzt, um in Deutschland einen Job zu bekommen. Dann läuft ihr Visum ab. Wenn sie eine Arbeit nachweisen kann, wird ihr Aufenthaltstitel verlängert. Alia wäre nicht Alia, wenn sie nicht fest daran glauben würde, dass sie bis dahin etwas gefunden hat.