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Lebenslanges Trauma

26. Juni 2009

Auf Polizeistationen, in Gefängniszellen oder auf den Straßen: Folter wird in rund 150 Staaten weltweit ausgeübt. Die Gefolterten behalten oft ein lebenslanges Trauma. Eine Berliner Einrichtung kümmert sich um die Opfer.

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Folteropfer aus Algerien (Foto: DW)
Folteropfer aus AlgerienBild: DW

Ein heller, kleiner Raum mit einem Schreibtisch und drei Sesseln. In einem davon sitzt Matthias Polifka. Während sich der Psychotherapeut auf sein nächstes Gespräch vorbereitet, hört man draußen die Vögel singen. Das Gebäude des Zentrums für Folteropfer liegt in einem abgeschirmten und grünen Teil des Berliner Bezirks Tiergarten. Wenn ein Patient zu Matthias Polifka kommt, ist es eine seiner Aufgaben, ihn zu stabilisieren. "Das heißt, dass ich versuche zusammen mit meinem Patienten herauszufinden, was ihm in der Vergangenheit Spaß gemacht hat, woraus er Kraft geschöpft hat", erklärt er. Denn positive Erlebnisse und Gefühle sind für seine Patienten selten. Viele der rund 500 Menschen, die jedes Jahr in das Zentrum für Folteropfer kommen, leiden unter Albträumen, Schlafstörungen oder Angstzuständen. Oft rebelliert auch der Körper gegen die erlebte Brutalität. Kopf-, Magen- oder Rückenschmerzen sind nur einige der Symptome.

Seelische Schmerzen

Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin (Foto: picture-alliance/dpa)
Der Vater dieses Mädchens aus Angola wurde in Berlin behandeltBild: picture-alliance/ dpa

Die Menschen, die das Zentrum besuchen, stammen aus vielen Teilen der Welt. Sie bringen oft ein anderes Verständnis von seelischen Erkrankungen mit, sagt Matthias Polifka. "In manchen Kulturkreisen gibt es keine Begriffe wie Depression und Angst und das muss dann erstmal vermittelt werden", sagt er. "Vielen ist außerdem fremd, dass die körperlichen Schmerzen von den seelischen Erschütterungen kommen, die sie erlitten haben." Und oft vertrauen die Patienten sich selbst und ihren Gefühlen nicht mehr. Sie haben Angst, dass sie wahnsinnig geworden sind. "Diese Angst haben sowieso sehr oft Menschen, die extreme Gewalt durch Menschenhand erlebt haben", sagt Britta Jenkins vom Zentrum für Folteropfer Belin. "Wir müssen ihnen erstmal sagen ‚Nein’, es ist die Situation, der sie ausgesetzt waren, die war verrückt – sie sind nicht verrückt."

Unter sechs Augen

Rehabilitationszentrum für Folteropfer in Pakistan (Foto: IRCT)
In einem Rehabilitationszentrum in PakistanBild: IRCT

Britta Jenkins hebt eine Besonderheit der Einrichtung hervor: Hier ist in fast allen Fällen ein Dolmetscher dabei, denn nur die wenigsten Ärzte und Psychologen sprechen die unterschiedlichen Sprachen der Patienten. Obwohl nicht alle Behandlungen bloß über das gesprochene Wort laufen. "Es ist oft sehr schwierig über das Schlimmste, das ihnen passiert ist, zu reden", sagt Britta Jenkins. "Deswegen kann es durchaus sein, dass, wenn in einer Gesprächstherapie der Patient einfach nicht sprechen kann – und das Geschehene unsagbar ist – dass ihm der Therapeut vielleicht ein Blatt Papier hinlegt und er sich dann auf dem Papier ausdrückt oder mit Objekten, die vielleicht in dem Raum vorhanden sind, eine Situation darstellt." Rund 35 Ärzte, Psychotherapeuten und Dolmetscher arbeiten hier. Aber auch Sozialarbeiter, die den Patienten bei Ämtergängen und Verwaltungsfragen zur Seite stehen. Denn die meisten hier sind Asyl-Suchende und müssen sich regelmäßig um ihre Aufenthaltsgenehmigung kümmern. Weiter besitzt das Zentrum eine Fachbibliothek und eine Forschungsabteilung, die zum Beispiel bereits Versöhnungsprojekte ins Leben gerufen hat.

Bleibende Verletzungen

Palästinensische Folteropfer (Foto: AP)
Palästinensische FolteropferBild: AP

Eine Therapie dauert in der Regel zwei Jahre. Dabei kann Physiotherapie und in manchen Fällen auch Musik- oder Körpertherapie in Anspruch genommen werden. Die meisten Behandlungen geschehen ambulant, aber für einige schwer Betroffene besteht auch die Möglichkeit, in einer Tagesklinik zu bleiben. Eine komplette Heilung ist jedoch nicht möglich. "Das, was den Menschen geschehen ist, sowohl die körperlichen als auch die seelischen Narben, die werden sie ein Leben lang begleiten, die kann man nicht wieder weg machen", sagt Britta Jenkins. "Aber die Patienten können durch eine Therapie lernen, diese schlimmen Ereignisse in ihrem Leben zu verstehen, dann als Teil ihrer Biographie zu akzeptieren und auch lernen damit umzugehen."

Autorin: Lydia Leipert
Redaktion: Katrin Ogunsade