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"Nasse Sachen"

Stephan Hille, Moskau13. April 2004

Ein Menschenleben ist in Russland nicht besonders viel wehrt. 5000 Auftragsmorde werden pro Jahr begangen. Die Preise beginnen bei 5000 Dollar.

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Es war nicht nur der bislang spektakulärste, sondern auch einer der kaltblütigsten Moskauer Auftragsmorde der jüngsten Zeit. Boris Goldmann, Chef der Moskauer Reklameagentur NFQ, wurde am Abend des Ostermontags in seinem gepanzerten Volvo von einer Bombe zerrissen. Der Killer hatte sich der gepanzerten Limousine auf einem Motorrad genähert, als der Volvo und der ihn begleitende Jeep mit Leibwächtern vor einer roten Ampel halten mussten. Nur wenige Sekunden, nachdem der Killer, die Bombe auf das Dach von Goldmanns Wagen gelegt hatte, detonierte der Sprengsatz - offenbar einige Sekunden zu früh: Der Killer wurde mitsamt dem Opfer und zwei seiner Begleiter in den Tod gerissen.

Goldmann war gewarnt: Bereits im Sommer letzten Jahres war ein Anschlag nach ähnlichem Muster gescheitert. Erst daraufhin stieg der Reklame-Chef in einen gepanzerten Wagen um. Doch gegen einen Profi-Killer helfen auch keine gepanzerte Limousine und keine Leibwächter.

Mit anderen Mitteln

Pro Jahr werden in Russland schätzungsweise 5000 Auftragsmorde verübt. Seit dem Einzug der Marktwirtschaft in Russland gilt der Auftragsmord als Teil des Geschäftemachens. Der bestellte Killer ist die Fortsetzung des unternehmerischen Handelns mit anderen Mitteln.

Mittel, die für manche "Geschäftsleute" noch immer zur Geschäftsgrundlage gehören, da die Schattenwirtschaft blüht und wegen der verbreiteten Korruption auf Polizei, Staatsanwalte und Richter als Streitschlichter kein Verlass ist.

"Dienstleistung" Mord

Noch bis Mitte der neunziger Jahre boten Auftragsmörder ihre "Dienstleistung" verklausuliert, aber leicht verständlich, per Zeitungsinserat feil. "Afghanistan-Veteran übernimmt schwierige Aufgaben", Angebote wie diese, fanden sich zuhauf in den Anzeigenblättern. Doch diese Zeiten sind vorbei. Wie die meisten Kleinanzeigen, ist auch der Marktplatz für schmutzige Jobs ins Internet abgewandert.

Wer in einer russischen Suchmaschine "Killer" eingibt, stößt früher oder später auf einschlägige Angebote, wie: "Ab 5000 Dollar, Erfahrung in Krisengebieten. Kein Risiko." Schwer zu sagen, ob sich dahinter ein quasi "seriöser" Vollstrecker verbirgt oder jemand, der nur den Vorschuss kassieren will und dann untertaucht. An willigen Kandidaten, die bereit sind, für weniger Geld zur Tat zu schreiten, dürfte es nicht fehlen. Allein der Krieg in Tschetschenien hat genügend menschliche Wracks hervorgebracht, die zwar eine Waffe bedienen, aber sonst kaum noch in die zivile Arbeitswelt zurückfinden können.

Ebenso hat die rasche Auffächerung in Arm und Reich, in Gewinner und Verlierer, erst recht den Nährboden geschaffen für den billigen Mord, ob aus Neid oder aus Gründen der Konkurrenz.

Preis nach Schwierigkeit

Als Vollstrecker der "nassen Sachen", wie Auftragsmorde im Verbrecher-Jargon genannt werden, kommen vor allem ausgemusterte Elitekämpfer der staatlichen Hau- und Stecheinheiten aus Armee, den OMON-Sturmtruppen des Innenministeriums sowie des Geheimdienstes in Frage. Der Preis für einen Profikiller richtet sich auch nach dem Opfer und dem damit verbundenen Schwierigkeitsgrad. Je größer die Schlagzeilen nach geglückter Tat desto höher der Tarif. Ein Mord an einem Politiker kann so leicht auf mehrere zehntausend Dollar kommen. Und noch etwas treibt den Tarif in die Höhe: Profi-Killer arbeiten selten alleine, sondern im Team: Einer akquiriert, einer observiert, einer liquidiert.

Vor Gericht landen professionelle Mörder selten, kaum einer der spektakulärsten Auftragsmorde wurde aufgeklärt. Und um Spuren zu verwischen, heuern Auftraggeber manchmal einen zweiten oder sogar dritten Killer an. Deren Auftrag lautet dann, den vorherigen Killer zu beseitigen.