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Nationaler Protektionismus in der EU

Bernd Riegert, Brüssel6. März 2006

Die EU-Kommission ist besorgt darüber, dass ausländischen Konzernen der Kauf von heimischen Unternehmen erschwert werden soll. Eine Entwicklung, die es nicht nur in Spanien oder Frankreich gibt.

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Der französische Versorger Suez soll nicht italienisch werdenBild: AP

Im Prinzip sind alle Politiker und Wirtschaftsführer in Europa für den Binnenmarkt mit seinen Freiheiten für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräfte. Doch wenn eine europäische Firma versucht, eine anderen aufzukaufen, dann fassen das manche Regierungen als Frage der nationalen Ehre auf und versuchen zu intervenieren. Diese Tendenz zur Re-Nationalisierung der Märkte ist seit einiger Zeit zu beobachten, jüngste Zielscheibe der Intervention ist der italienische Energiekonzern ENEL, der versucht, den französischen Versorger Suez zu schlucken. Die französische Regierung wehrt sich, indem sie Suez im Schweinsgalopp mit dem staatlichen Konzern Gaz de France vereinigt. Dieser Brocken wäre für ENEL zu groß für eine Übernahme.

"Schmuckstück unserer Industrie"

Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin setzt wie kein Zweiter auf nationale Wirtschafts-Champions. Schon kurz nach seinem Amtsantritt 2005 gelobte er, französische Firmen zu schützen und Wirtschaftspatriot zu sein: "Ein Konzern wie Danone ist ein Schmuckstück unserer Industrie. Hier werden wir natürlich die Interessen Frankreichs verteidigen", sagte er.

Spanien wehrt sich gegen den deutschen Energieriesen E.ON, der den spanischen Versorger Endesa kaufen will. Luxemburg will wie ein Löwe dafür kämpfen, dass der Stahlhersteller Arcelor nicht von Mittal Steel geschluckt wird. Mittal hat seinen Sitz zwar ebenfalls in Europa, nämlich in Rotterdam, gehört aber einer indischen Familie. Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker gibt sich kämpferisch: "Dieses feindliche Angebot verdient eine nicht minder feindliche Antwort. Wir werden uns mit allen legalen Mitteln verteidigen."

Volkswagen-Gesetz mit Sperrminderheit

Auch in Deutschland sieht man Übernahmen großer deutscher Firmen durchaus kritisch, mit direkten Interventionen hält sich die Bundesregierung aber zurück. Ausnahme: Der Volkswagen-Konzern, um den ein Schutzzaun gezogen wurde, um eine Übernahme der Aktienmehrheit durch private Kapitalanleger zu verhindern. Das Land Niedersachsen hat durch das Volkswagen-Gesetz eine Sperrminderheit. Dagegen klagt die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof.

Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, sieht das nationale Treiben sehr kritisch, schließlich soll die europäische Wirtschaft durch Handel, freien Kapitalverkehr und Arbeitsteilung wachsen. Protektionismus lehnt Barroso strikt ab: "Ich rufe diejenigen, die in den Mitgliedsstaaten Verantwortung tragen, dazu auf, diese nationale Rhetorik zu unterlassen. Das ist schlecht für Europa. Nur mit dem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt können wir stärker werden und die Herausforderungen der Globalisierung meistern."

Die EU-Kommission ist besorgt

Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Charlie McCreevy, kritisiert vor allem, dass sich der Staat in die Übernahmeschlachten einmischt. In Italien und Spanien werden Gesetze vorbereitet, die die Einkaufstouren ausländischer Firmen verhindern sollen. "Das werden wir sehr genau prüfen", kündigte sein Sprecher an. In einem Schreiben an Madrid fordert Brüssel Aufklärung über ein jüngst erlassenes Gesetz, das den Zugriff ausländischer Konzerne auf spanische Unternehmen erschweren soll. Die EU-Kommission sei besorgt über diese Entwicklung, so der Sprecher am Montag (6.3.2006).

Ganz locker sieht man Übernahmen, ob freundlich oder feindlich, in Großbritannien. Die britische Regierung greift nicht ein und betrachtet das Ganze als Angelegenheit der Wirtschaftsbosse. Französische Unternehmen, die zu Hause behütet und gepäppelt werden, kaufen sich übrigens fröhlich im Ausland ein. Der französische Energiekonzern EDF versorgt bereits ein Viertel aller Briten mit Strom. Die deutsche RWE besitzt den Wasserversorger Thames Water.

Die Geister, die man rief

Auch die Widerstände gegen eine Öffnung des Marktes für Dienstleistungen oder gegen die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus osteuropäischen Mitgliedsstaaten passen ins Bild. In Frankreich, Deutschland und zahlreichen anderen EU-Staaten herrscht offenbar Angst vor den Freiheitsgeistern, die man selber rief.