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NATO-General unter Druck

30. Januar 2009

Die Pläne des NATO-Oberkommandierenden Craddock zur Tötung von Drogenhändlern in Afghanistan empören in Deutschland Koalition und Opposition. Forderungen nach einem Rücktritt des US-Generals wurden laut.

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John Craddock in Uniform am Mikrofon, im Hintergrund die Nato-Flagge (ap)
Er muss jetzt Rede und Antwort stehen, der NATO-Oberbefehlshaber General John CraddockBild: picture-alliance/ dpa

Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein: Der Oberkommandierende der NATO, der US-General John Craddock, soll einen Befehl erteilt haben, mutmaßliche Drogenhändler in Afghanistan gezielt zu töten. "Spiegel Online" berichtete unter Berufung auf einen Schriftwechsel innerhalb der Nato, dass es nicht länger notwendig sei, "Geheimdienstaufklärung zu betreiben oder zusätzliche Beweise zu erbringen, ob jeder Drogenhändler oder jede Drogeneinrichtung die Kriterien eines militärischen Ziels erfüllt".

Nato-Spitze: Ein Befehl existiert nicht

Egon Ramms (rechts), neben dem ISAF-Kommandeur in Afghanistan, US-General Dan McNeill (dpa)
Egon Ramms (rechts), neben dem ISAF-Kommandeur in Afghanistan, US-General Dan McNeillBild: picture-alliance/ dpa

Craddock berief sich in seinem Schreiben an den deutschen Vier-Sterne-General Egon Ramms, der als Chef des NATO-Hauptquartiers im niederländischen Brunssum für den Einsatz der Internationalen Afghanistan Schutztruppe ISAF ist, auf einen Beschluss der NATO-Verteidigungsminister bei ihrem Treffen in Budapest im Oktober 2008.

Die NATO-Spitze in Brüssel reagierte am Donnerstag (29.01.2009) sofort. Das Schreiben Craddocks existiere, hieß es vom Sprecher von NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer, James Appathurai. Eine endgültige Anweisung zur Ausführung des Befehls sei aber noch nicht ergangen. Er wies auf die "politische Entscheidung" aller Mitgliedsstaaten hin, gegen die Einrichtungen der Drogenhändler vorzugehen. Folglich sei es "absolut normal", dass über die erforderlichen Einzelmaßnahmen auf militärischer Ebene "diskutiert" werde. Der NATO-Generalsekretär sei "in höchstem Maße verärgert", dass Details aus dem Papier an die Öffentlichkeit gelangt seien, so der NATO-Sprecher. Er habe deshalb eine Untersuchung eingeleitet.

Widerstand im eigenen Lager

Der US-General stieß mit seiner Anweisung auf Widerstand im eigenen Lager. Ramms soll sich geweigert haben, Craddocks Anweisung, den Operationsplan für die ISAF in diesem Sinne umzuarbeiten, durchzuführen. Wie aus NATO-Kreisen zu erfahren war, hatte Ramms in seiner Antwort an Craddock vom 26. Januar darauf hingewiesen, er habe dessen Auftrag so weit erfüllt, wie es unter Beachtung internationalen Rechts und der rechtlichen Vorschriften einzelner Mitgliedstaaten möglich gewesen sei.

Das Verhältnis von Craddock und Ramms gilt als gespannt, da sich der deutsche General des öfteren kritisch über die amerikanische Kriegsführung in Afghanistan geäußert hat. Auch der amerikanische Befehlshaber der ISAF-Truppe, General David McKierman, ist angeblich nicht einverstanden mit der Anweisung seines US-Kameraden.

Budapest-Beschluss

Nato-Verteidigungsminister versammelt in einem Saal in Budapest; am Kopf Generalsekretär de Hoop Scheffer (dpa)
Das Nato-Verteidigungsministertreffen in Budapest im Oktober 2008Bild: picture-alliance/ dpa

Der Beschluss der NATO-Verteidigungsminister legt ausdrücklich fest, dass die ISAF nur in Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften gegen Drogenhändler und deren Einrichtungen vorgehen kann. Voraussetzung: Diese Drogenhändler unterstützen den Aufstand der radikal-islamischen Taliban. Den einzelnen NATO-Staaten wurde es zudem freigestellt, ob sich ihre Soldaten an den Einsätzen beteiligen.

Deutsche Bundeswehrsoldaten, die im Norden Afghanistans, einem Zentrum des Drogenanbaus, stationiert sind, dürfen also nur auf ausdrücklichen Beschluss der Bundesregierung daran teilnehmen. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung hatte sich in Budapest dafür eingesetzt, dass die Drogenbekämpfung im Wesentlichen in der Hand der afghanischen Sicherheitskräfte bleiben soll.

Einhellige Empörung in Deutschland

Der Tötungsbefehl des US-Generals empörte in Deutschland Koalition und Opposition. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, bezeichnete Craddocks Anordnung in der "Berliner Zeitung" (Freitagsausgabe) als falsch und forderte eine klare Positionierung der NATO. Anderenfalls werde "demnächst auch auf die Bauern auf den Feldern geschossen. Es ist wichtig, dass die NATO hier Einhalt gebietet", sagte Arnold. Der CDU-Verteidigungsexperte und Europaabgeordnete Karl von Wogau sagte der Zeitung, Craddocks Anordnung sei "ein illegaler Befehl". Es bestehe die Gefahr, dass unschuldige Zivilisten getötet würden.

Auch aus der Opposition kamen harte Töne. Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger und der Obmann der FDP-Bundestagsfraktion, Burkhardt Müller-Sönksen, erklärten, ein solcher Befehl "wäre eindeutig rechtswidrig". Außerdem würde er den deutschen General Ramms als auch den US-ISAF-Kommandeur McKierman in "große Gewissens- und Loyalitätskonflikte" bringen, da sie "rechtswidrige" Befehle nicht ausführen dürften.

Harte Töne aus der Opposition

Winfried Nachtwei (vorne), der Obmann der Grünen im Verteidigungsausschuss des Bundestags. Er diskutiert mit Deutsche Welle-Journalisten. Neben ihm eine Journalistin.
Winfried Nachtwei, der Obmann der Grünen im Verteidigungsausschuss des BundestagsBild: DW

Homburger und Müller-Sönksen forderten die Bundesregierung auf, für die unverzügliche Aufklärung des Vorgangs zu sorgen. Und falls der Befehl ergangen sei, müsse dies "unmissverständlich" verurteilt werden und eine Ablösung Craddocks gefordert werden. Auch die Europaabgeordnete der Grünen, Angelika Beer, sowie der Verteidigungsexperte der Partei, Winfried Nachtwei, verlangten eine Ablösung Craddocks. Die Umsetzung des Befehls sei "der Garant für eine weitere Kriegseskalation", so Nachtwei. Zugleich lobte er das Verhalten des deutschen Generals Ramms als "respektabel".

Die Vizefraktionsvorsitzende der Partei "Die Linke" im Bundestag, Monika Knoche, warnte davor, eine Verknüpfung des "war on terror" mit dem "war on drugs" stürze Afghanistan noch weiter ins Chaos. Die "menschenverachtende Inkaufnahme ziviler Opfer" treibe die Gewaltspirale immer weiter an. Da Afghanistan über 50 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts mit Opium erwirtschafte, sei eine militärische Lösung des Problems "völlig absurd". Knoche schlug vor, ein Pilotprojekt für den lizensierten Mohnanbau zu starten, um weltweit benötigte Schmerzmittel herzustellen.

Karsai gerät unter Druck

Der Gouverneur der Provinz Kandahar, Yousuf Pushtoon (Mitte), und andere Behördenvertreter zerstören ein Mohnfeld (Archivfoto; dpa)
Der Gouverneur der Provinz Kandahar, Yousuf Pushtoon (Mitte), und andere Behördenvertreter zerstören ein Mohnfeld (Archivfoto)Bild: dpa

Nicht nur die Taliban, sondern auch das Umfeld der afghanischen Regierung profitiert von den Einnahmen aus der Herstellung und dem Handel mit Opium. Schon heute dürfen US-Soldaten Drogenlabore bombardieren, wenn dabei "erwartungsgemäß" nicht mehr als zehn Zivilisten getötet werden. Angesichts von rund 100 getöteten Zivilisten im vergangenen Jahr gerät die Regierung von Präsident Hamid Karsai im Inland immer mehr unter Druck.

Dessen Sprecher Humajun Hamidsada hatte am Mittwoch angekündigt, falls die NATO nicht bis zum 10. Februar auf einen Mitte dieses Monats vorgelegten Plan zur Vermeidung ziviler Opfer reagiere, werde der Präsident eine "nationale Entscheidung" über die künftige Rolle der ausländischen Streitkräfte herbeiführen. In dem Plan ist unter anderem vorgesehen, dass nur afghanische Sicherheitskräfte Häuser durchsuchen dürfen. Karsai, dessen Amtszeit jetzt im Frühjahr abläuft, will bei den für den 20. August geplanten Wahlen wieder kandidieren. (hy)

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