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NATO mitverantwortlich an Flüchtlingsdrama?

24. April 2012

Ihre Bootsfahrt über das Mittelmeer hat für mehr als 60 afrikanische Flüchtlinge im März 2011 mit dem Tod geendet - obwohl mehrere Schiffe in der Nähe waren. Der Europarat wirft der NATO schwere Versäumnisse vor.

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Bootsflüchtlinge in einem Schlauchboot (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat die Nordatlantische Verteidigungsallianz für ein Flüchtlingsdrama mitverantwortlich gemacht, bei dem im vergangenen Jahr 63 Menschen im Mittelmeer ums Leben gekommen sind. Der Vorwurf wiegt schwer: Die NATO habe Notrufsignale der italienischen Behörden nicht an ihre Schiffe weitergeleitet, die damals vor der libyschen Küste im Einsatz waren.

Mindestens zwei der an dem Einsatz zum Libyen-Konflikt beteiligten Schiffe der Allianz seien nach "zuverlässigen Quellen" in der Nähe des Flüchtlingsbootes unterwegs gewesen - ein italienisches und ein spanisches. Keines der beiden habe die Verpflichtungen zur Rettung aus Seenot eingehalten.

Kaum zu essen und zu trinken

Nach den Untersuchungen des Europarats waren die Flüchtlinge im März 2011 von der libyschen Hauptstadt Tripolis aus aufgebrochen - 50 Männer, 20 Frauen und zwei Säuglinge. Schlepperbanden hatten die aus der Sahara stammenden Menschen an Bord des offenen Bootes gebracht. Um mehr Menschen auf dem Boot unterzubringen, nahmen sie ihnen einen Großteil der Wasser- und Lebensmittelvorräte weg.

Nach 18 Stunden gab es kaum noch etwas zu essen und zu trinken. Über Satellitentelefon setzte der "Kapitän" einen Notruf ab. Die italienische Seenot-Zentrale machte die Position des Bootes ausfindig und informierte mehrfach über Funk die Schiffe in dem Seegebiet.

Schon die Hälfte der Flüchtlinge tot

Überlebende des Dramas berichteten, einige Stunden später habe ein Militärhubschrauber Wasserflaschen und Kekse ins Boot geworfen. Nach mehreren Tagen sei dann ein großes Kriegsschiff mit einem Hubschrauber an Bord neben dem Boot aufgekreuzt. Zu diesem Zeitpunkt habe schon mehr als die Hälfte der Flüchtlinge nicht mehr gelebt. Seeleute hätten die Menschen mit Ferngläsern beobachtet und fotografiert, heißt es in dem Untersuchungsbericht weiter. Auf eindeutige Notrufsignale habe das Schiff aber nicht reagiert und sei weggefahren.

Das Boot wurde schließlich - 15 Tage nach seiner Abfahrt - an die libysche Küste angespült. Die Polizei nahm die zehn Überlebenden fest, einer von ihnen starb in Haft, weil er offenbar nicht ausreichend ärztlich versorgt wurde. Die anderen neun wurden freigelassen und flohen aus Libyen.

"Tragischer Unfall"

Die Berichterstatterin der Parlamentarier-Versammlung des Europarats, die niederländische Sozialistin Tineke Strik, forderte die NATO auf, den Vorfall ihrerseits zu untersuchen. Identifiziert werden müssten vor allem auch der Hubschrauber, der nach Angaben der Zeugen Lebensmittel abwarf und dann nicht mehr zurückkehrte, und das Kriegsschiff, das nicht auf die Notsignale reagierte. Auf jeden Fall müssten die NATO und die europäischen Regierungen Mängel in der Kommunikation zwischen Seenotrettungsstellen und dem Bündnis beseitigen.

Die NATO erklärte, sie nehme die Empfehlungen ernst. Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wies allerdings jede Verantwortung für das Drama zurück. Bei einer Anhörung im Europaparlament in Brüssel sagte er, es habe sich um einen "tragischen Unfall" gehandelt. Er sei auf eine Verkettung von unglücklichen Umständen zurückzuführen. Von einem Hubschrauber und einem Hubschrauberträger, die angeblich in der Nähe des Boots gewesen waren, sei der NATO nichts bekannt.

hp/SC (afp, dpa, ap)