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Naturkatastrophen in der Kunst

12. Januar 2005

Künstler vergangener Epochen haben sich häufiger mit Naturkatastrophen auseinander gesetzt. Doch bei Zeitgenossen spielt das Thema nach Beobachtung von Experten kaum noch eine Rolle.

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Eine der wenigen Darstellungen der Moderne: Kandinskys "Sintflut"Bild: DPA

"Das durch den Menschen verursachte Leid hat Naturkatastrophen den Rang abgelaufen", sagte die Tübinger Kunsthistorikerin Freya Strecker. "Vor der Industrialisierung war der Mensch der Natur ausgeliefert, etwas Schlimmeres als eine Naturkatastrophe erschien nicht denkbar." Das unvorstellbare Elend in Krieg und Vernichtungslagern im 20. Jahrhundert habe dann aber einen stärkeren Impuls auf Künstler ausgeübt als Fluten oder Erdbeben.

Macht der Elemente

In der Zeit von 1750 bis 1920 konnte man eine andere Herangehensweise beobachten – als Naturkatastrophen bei Künstlern die meiste Aufmerksamkeit bekamen. "Die Maler hatten im Gegensatz zu ihren Kollegen des 20. Jahrhunderts das Interesse an der Abbildung der Natur noch nicht verloren", sagte Strecker. "Vor allem den Realisten und Naturalisten ging es darum, die – oft gewaltige – Macht der Elemente darzustellen." Künstlern wie William Turner (1775-1851) oder Théodore Géricault (1791-1824) seien mit ihren Sintflut-Darstellungen einige der beeindruckendsten Bildern von Naturkatastrophen gelungen. Das seit dem 16. Jahrhundert bei niederländischen Künstlern beliebte Schiffbruch-Motiv, sei Anfang des 20. Jahrhunderts wieder aufgenommen worden, unter anderem von expressionistischen Künstlern wie Max Beckmann (1884-1950).

Um eine vermeintliche "Grausamkeit der Natur" ging es bei den genannten Künstlern ebenso wenig wie bei religiösen Darstellungen in Mittelalter, Renaissance oder Barock. "Michelangelos Sintflut-Deckenfresko in der sixtinischen Kapelle veranschaulicht wie viele Gemälde seiner Kollegen das Thema Schuld und Sühne", sagte Strecker. "Das Leid des Menschen wird als Folge der Bestrafung durch einen gerechten Gott dargestellt", sagte die Expertin. "In ihrer Malerei stehen immer die sündigen Menschen im Vordergrund, die Naturkatastrophe bildet die Kulisse."

Neues Selbstverständnis der Künstler

Vereinzelte moderne Künstler haben zwar auch das Thema Naturkatastrophen aufgegriffen, wie etwa Emil Nolde (1867-1956) in seinem Werk "Die Welle". Bei den meisten anderen Zeitgenossen treten andere Leiderfahrungen in den Vordergrund. "In den Guernica-Bildern von Pablo Picasso geht es um Krieg, in Alfred Hrdlickas Plastiken um das Leid in Konzentrationslagern", sagt Strecker.

Ein Grund für die Abwendung vom Thema Naturkatastrophen ist nach Streckers Einschätzung auch der Wandel in der Funktion der Bilder seit Erfindung der Fotografie. "Medien bringen uns heute eine Quasi-Wirklichkeit ins Wohnzimmer, da wollen Künstlern nicht mehr abbilden, sie wollen verarbeitete Eindrücke anbieten." Das Gegenständliche verliere an Bedeutung, auf Gefühlen basierende expressive Formen träten in den Vordergrund. "Trotz einer steigenden Häufigkeit von großen Naturkatastrophen wird die Umwelt in der Kunst der vergangenen 30 Jahre noch als schützenswert und nicht etwa als feindlich interpretiert." (dpa / pf)