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Neue Chancen für Ankara

Baha Güngör (DW Türkisch)7. Oktober 2003

Dass das Parlament in Ankara am Dienstag (7.10.) mit großer Mehrheit die Truppen-Entsendung abgesegnet hat, bietet der Türkei neue Chancen - meint Baha Güngör in seinem Kommentar.

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In einem Punkt ändert sich definitiv gar nichts: Der gegen das Regime von Saddam Hussein geführte Krieg entbehrt aus türkischer Sicht auch weiterhin jeglicher Rechtfertigung. Die Türkei ist und bleibt auf der Seite der Gegner des Irak-Kriegs. Selbst mit den in Aussicht gestellten 30 Milliarden Dollar Finanzhilfen hatten die USA das von Wirtschaftskrisen geplagte Land seinerzeit nicht umstimmen können. Dabei hätte die Türkei das Geld dringend benötigt. Die Entscheidung im Parlament fiel damals zwar knapp, aber im Sinne der Bevölkerung aus: Trotz der Partnerschaft mit den USA und trotz der türkischen NATO-Mitgliedschaft verwehrte Ankara die Eröffnung einer Nordfront für den Einmarsch von mehr als 60.000 US-Soldaten.

Türkische Abhängigkeit

Die Türkei nahm sich dieses Recht heraus, obwohl sie wirtschaftlich viel stärker von den USA abhängig ist als etwa Deutschland oder Frankreich. Zudem hatte das Land handfeste Interessen und eine nachvollziehbare Begründung für seine Entscheidung: Nach dem ersten Golfkrieg gegen Saddam Hussein 1991 hatte die Türkei mehr als jedes europäische Land unter dem Handelsembargo und unter dem Machtvakuum in der benachbarten nordirakischen Kurdenregion leiden müssen.

Heute aber sind die Vorzeichen anders. Diesmal geht es nicht Krieg oder Frieden - es geht um die Stabilisierung der chaotischen Verhältnisse im Irak. Es gilt, die diesbezüglichen internationalen Bemühungen zu unterstützen und dem irakischen Volk bei der Errichtung einer funktionierenden demokratischen Ordnung zu helfen.

Türkei übernimmt Verantwortung

Ankara übernimmt hier eine wichtige Verantwortung, wie zuvor schon in Afghanistan, auf dem Balkan und in Somalia. Und zugleich bieten sich der Türkei vielfältige neue Chancen: Als Land mit einer mehrheitlich islamischen Bevölkerung kann die Türkei nun aktiv unter Beweis stellen, dass der gemeinsame Kampf gegen den internationalen Terrorismus sehr wohl über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg möglich ist. Ankara hat jetzt aber auch die Chance, den irakischen Kurden die Furcht vor einer militärischen Präsenz der Türkei im Irak zu nehmen.

Verschiedene Kurdenführer hatten einen Einmarsch türkischer Truppen kategorisch abgelehnt und bewaffneten Widerstand dagegen angekündigt. Die Einsatzgebiete der türkischen Soldaten liegen jedoch nordwestlich von Bagdad, also in gebotener Distanz zu den nordirakischen Kurdengebieten. Allerdings müssen die Soldaten etwa 150 Kilometer durch nordirakisches Territorium fahren, bis sie ihre Einsatzorte erreicht haben. Wenn dieser Korridor friedlich passiert werden kann, könnte in Zukunft auch mehr Vertrauen zwischen irakischen Kurden und türkischen Truppen möglich sein.

Entsendung bietet positive Perspektiven

Im Gegenzug kann sich die Türkei nun besser darauf verlassen, dass die irakischen Kurden und anglo-amerikanischen Besatzungstruppen Kampfhandlungen militanter türkischer Kurden gegen die Türkei unterbinden werden. Der inzwischen fast nur noch vom Nordirak aus geführte Krieg der separatistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegen das türkische Militär hatte in den letzten Jahrzehnten mehr als 30.000 Menschenleben gekostet. Wenn die Kampfhandlungen nun noch weiter zurückgingen, wäre das für Ankara nur von Vorteil: Schließlich bemüht sich die Türkei gerade in letzter Zeit verstärkt um eine Annäherung an die EU, um wirtschaftliche Entwicklung und um die Festigung von Menschen- und Minderheitenrechten.