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EU-Finanzminister kalkulieren Ausgaben für Flüchtlinge

Bernd Riegert11. September 2015

Die Hilfe für Flüchtlinge wird Europa viel Geld kosten. Kann die EU-eigene Bank helfen? Die EU-Finanzminister beraten in Luxemburg auch über Steuertricks der EU-Staaten. Aus Luxemburg berichtet Bernd Riegert.

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Luxemburg Fahne Stadt Stadtansicht Referendum
Luxemburg: Ratspräsident der EU und beliebter Sitz für Banken und KonzerneBild: picture-alliance/chromorange

Die Flüchtlingskrise in der Europäischen Union ist jetzt auch bei 28 Finanzministern angekommen. Bei ihrem informellen Treffen in Luxemburg wollten die Ressortchefs eigentlich über Besteuerungsgrundlagen für Unternehmen, die Finanztransaktionssteuer und die Fortentwicklung der Euro-Zone diskutieren, doch zunächst ging es auf dem Luxemburger Kirchberg um die drängendste Frage in Europa. "Wir wissen alle, dass die Flüchtlingskrise Geld kosten wird, aus nationalen und europäischen Haushalten", sagte der finnische Finanzminister Alexander Stubb vor Journalisten. Und jetzt soll auch Geld aus der Europäischen Investitionsbank (EIB) in die Flüchtlingshilfe fließen.

EU-Bank könnte Flüchtlingshilfe mitfinanzieren

Der Präsident der Bank, der deutsche FDP-Politiker Werner Hoyer, kündigte in Luxemburg an, dass die Bank verschiedene Finanzierungsinstrumente zur Verfügung stellen könnte. "Die EU-Bank (EIB) hat bisher flexibel Geld für dringende Hilfe bei Naturkatastrophen geleistet. Das können und sollten wir jetzt auch bei dieser humanitären Krise tun." Seine Bank, die den 28 EU-Mitgliedsstaaten gehört, könne einzelne Staaten beim Bau von Behelfsunterkünften und bei der Erstversorgung von Flüchtlingen unterstützen. Langfristig seien der Bau von Sozialwohnungen, Schulen und Krankenstationen denkbar, sagte Werner Hoyer.

Finnlands Finanzminister Stubb Foto: Francois Walschaerts,AP)
Zu allererst geht es um Hilfe für Menschen - Finnlands Finanzminister StubbBild: picture-alliance/AP Photo/F. Walschaerts

Allerdings, so schränkten sachkundige EU-Diplomaten ein, werde die EIB keine direkten Kredite an Städte oder Gemeinden vergeben, aber sie könne bei der Entlastung der öffentlichen Haushalte helfen. Das Volumen möglicher Hilfskredite lasse sich beim besten Willen noch nicht nennen. Das hänge von der Zahl der Kreditanfragen und vom Willen der Bankeigentümer, also der EU-Mitgliedsstaaten ab. "Unsere Angebote können ergänzen und unterstützen, was die EU als Gemeinschaft unternimmt", sagte Bankdirektor Hoyer. Solidarität müsse für alle EU-Einrichtungen gelten, auch für öffentliche Banken, die dem Gemeinwohl verpflichtet seien. Die Finanzminister begrüßten den Vorstoß der Europäischen Investitionsbank einmütig. Im Haushalt der EU sind bislang 2,4 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 als direkte Beihilfen für die Mitgliedsstaaten in Sachen Migration vorgesehen. Davon ist bislang nur ein kleiner Teil abgerufen worden.

Deutschland Migranten am Zaun einer Erstaufnahmeeinrichtung Foto: Jens Büttner, dpa
Flüchtlinge in der EU: Kurzfristig ein Kostenfaktor, langfristig eine Chance?Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Litauen und Finnland wollen "freiwillig" mitmachen

Der litauische Finanzminister Rimantas Sadzius kündigte an, sein Land werde die von der EU-Kommission geforderte Quote zur Verteilung von Flüchtlingen mittragen. Die Regierung in Litauen habe das am Donnerstag beschlossen. "Die Erfüllung der Quote und die Eingliederung dieser Menschen wird uns natürlich auch Geld kosten", sagte Sadzius. Dennoch sei Litauen bereit solidarisch zu handeln. Die Frage sei allerdings, wie man die Flüchtlinge dazu bringen könne, auch in dem Land zu bleiben, in das sie bei der Umverteilung geschickt würden, gab Rimantas Sadzius zu bedenken. Man könne auch über einen gemeinsamen Flüchtlings-Fonds der EU nachdenken. Den hatte die EU-Kommission am Mittwoch vorgeschlagen.

Aus dem Fonds soll die erste Unterbringung und Registrierung von Flüchtlingen bezahlt werden. Einzahlen sollen in diesen Topf die Staaten, die weniger Flüchtlinge aufnehmen, als sie es nach der noch nicht beschlossenen Quote eigentlich müssten. Von 6000 Euro pro Flüchtling oder Asylsuchendem ist die Rede. "Ich finde es auch als Finanzminister nicht gut, einem Flüchtling ein Preisschild zu verpassen", kritisierte der finnische Finanzminister Alexander Stubb. Es gehe vor allem um Hilfen für Menschen. Auch Finnland werde 2400 zusätzliche Flüchtlinge gemäß der EU-Quote aufnehmen, sicherte Stubb zu, allerdings nur freiwillig. Einen verbindlichen oder gar permanenten Verteilungsschlüssel lehnt der finnische Minister ab. "Das ist ein ganz entscheidender Moment in der Geschichte der europäischen Integration. Das hier ist wichtiger als die Euro-Krise", so Stubb.

Schuldenbonus möglich?

Flüchtlingshilfe könnte sich auch fiskalpolitisch lohnen, deutete der luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna an. Staaten, die zur Versorgung von Flüchtlingen Schulden machen müssten, könnten sich auf einen Notfall berufen. Diese Schulden würden dann vom Haushaltsdefizit abgezogen und aus der zulässigen Schuldenquote von höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes heraus gerechnet.

Mindeststeuern für Unternehmensgewinne in der ganzen EU?

Der für Finanzfragen zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici versuchte die Aufmerksamkeit auf die Punkte zu lenken, die ursprünglich auf der Tagesordnung des informellen Ministertreffens standen. "Die Flüchtlingskrise geht natürlich an unsere existenziellen Grundlagen", sagte Moscovici. "Wir verteidigen hier unsere europäischen Werte, aber die Finanzminister sind für viele dieser Fragen eigentlich nicht zuständig." In der Migration könne langfristig auch eine Chance für die europäische Wirtschaft liegen, meinte der französische Kommissar. Europa brauche junge Menschen.

EU-Kommissar Moscovici verlangte, dass sich die Finanzminister auf eine effizientere und einheitlichere Besteuerung von Unternehmen einigen sollten. Unter den Mitgliedsstaaten herrscht eine Art Steuer-Wettbewerb: Wer kann mit den günstigsten Modellen große Konzerne und Unternehmen in sein Land locken? Luxemburg, die Niederlande, Irland, Österreich und andere haben dabei durchaus legale Steuersparmodelle kreiert, die dazu führen, dass multinationale Konzerne ihre Gewinne in Europa so lange hin- und herschieben, bis sie nur noch einer sehr niedrigen Besteuerung unterliegen. Einer der Meister dieser Praxis war das Großherzogtum Luxemburg jahrelang unter der Führung von Premier Jean-Claude Juncker, der heute pikanterweise Chef der EU-Kommission ist.

Luxemburger Modelle führten zu heißer Diskussion

Nach einer Veröffentlichung dieser Luxemburger Steuersparmodelle durch ein Netzwerk investigativer Journalisten im April 2014 (LuxLeaks) trat Juncker die Flucht nach vorne an. Er tritt jetzt für einheitliche Steuersysteme für Unternehmen in der EU ein. Kommende Woche muss sich Kommissionspräsident Juncker zu den Steuerentscheiden in seiner Regierungszeit vor einem Sonderausschuss des Europäischen Parlaments befragen lassen. So richtig wild entschlossen gegen Steuervermeidung vorzugehen, sind wohl nur die wenigsten Finanzminister der EU. Denn bislang haben die Staaten profitiert und Unternehmen in ihre Länder gelockt. Das zumindest glaubt der Finanzexperte der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" im Europäischen Parlament, Sven Giegold seit langem. Ihre Steuer-Vorteile für Unternehmen haben die Staaten jahrzehntelang hübsch für sich behalten, obwohl sie sich eigentlich gegenseitig informieren müssten, so Giegold.

Jean-Claude Juncker - Foto: Bernd Riegert
Jean-Claude Juncker - Kampf an vielen FrontenBild: DW/B. Riegert

Ermittlungen in 15 Staaten

Die EU-Kommission in Brüssel untersucht zurzeit die Steuerbescheide aus 15 Mitgliedsstaaten der EU, darunter auch Deutschland. Die Frage ist, ob diese Vergünstigungen für Unternehmen unrechtmäßige staatliche Beihilfen waren. Im Falle einer Verurteilung müssten Starbucks, Amazon, Fiat und andere Steuern nachzahlen. Der luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna jedenfalls gab sich in seiner Heimatstadt jetzt entschlossen: "Wir können nicht akzeptieren, dass es teilweise überhaupt keine Besteuerung gibt. Deshalb haben wir über einen Mindeststeuersatz ausführlich diskutiert." Beschlossen wurde allerdings noch nichts.