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Politik

Neue Helden für die Truppe

Kay-Alexander Scholz
27. März 2018

Die deutschen Streitkräfte sollen sich noch stärker von der Wehrmachts-Vergangenheit lösen. So will es Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Dafür hat sie einen neuen Traditionserlass erarbeiten lassen.

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Deutschland Ursula von der Leyen in der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne
Bild: picture alliance/dpa/B. Thissen

Schon der Begriff "Traditionserlass" ist so eine Sache. Eine einfache Übersetzung ins Englische, Französische oder Spanische existiert nicht. Ein "Erlass", auf welche "Traditionen" sich ein Soldat der Bundeswehr berufen kann und auf welche nicht - so eine ganz grobe Erklärung des Begriffs - scheint also eine spezifisch deutsche Angelegenheit zu sein. Kein Wunder angesichts der Verbrechen der Nationalsozialisten und der sie dabei unterstützenden Wehrmacht. Sie war 1935 aus der früheren Reichswehr hervorgegangen - ihre Soldaten leisteten den Eid auf Hitler persönlich.

Niemand könne ohne Vergangenheit leben, verteidigte vor einigen Wochen der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck den Traditionserlass. Es müsse unter Soldaten ein Bewusstsein für die Vergangenheit geben - und auch für die innewohnenden Brüche. Am Mittwoch wird der Traditionserlass nun von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in einer Kaserne in Hannover gezeichnet.

Belastende Traditionen

Die Brüche, von denen Overbeck sprach, sind längst nicht so verheilt, wie man es nach so vielen Jahrzehnten eigentlich vermuten würde. Anders gesagt: Der kritische Blick auf die deutsche Geschichte ist kein reines akademisches Vorhaben. Noch heute scheinen Soldaten eine irgendwie geartete Form von Rückhalt in der Geschichte zwischen 1933 und 1945 zu finden.

Der Fall von Oberleutnant Franco A. hatte vor einem Jahr, im Frühjahr 2017, die Debatte erneut entfacht. Und von der Leyen dazu gebracht, einen neuen Traditionserlass auf den Weg zu bringen.

Der Soldat soll damals einen Terror-Anschlag geplant haben, bei dem er den Verdacht auf syrische Flüchtlinge lenken wollte. Bei der Untersuchung der Kaserne wurden gemalte Hakenkreuze und Wehrmachts-Souvenirs gefunden. Daraufhin waren alle anderen Bundeswehr-Standorte untersucht worden. Dort fand man hunderte Erinnerungsstücke wie Helme, Karabiner und Abzeichen aus dieser Zeit.

Alter Geist noch lebendig

Auf der Suche nach Erklärungen für diese Sammlungen hilft ein Blick zurück in die Nachkriegsgeschichte. Es waren ehemalige Offiziere der Wehrmacht, die in den 1950er-Jahren die neue Bundeswehr aufgebaut haben. Eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit der Wehrmacht sei bei diesen "Traditionalisten" nicht erwünscht gewesen, analysierte der Militärhistoriker Wolfram Wette kürzlich in einem Zeitungsinterview. Diese Offiziere hätten die Legende von der "sauberen Wehrmacht" geschaffen, die nicht in die Verbrechen Nazis verstrickt gewesen sei. Auch um sich damit selbst entlasten zu wollen. So sei auch der "Kult des Kämpfers" aus der Wehrmacht erhalten geblieben, so Wette. Also die mörderische und selbstmörderische Ideologie, bis zum "Endsieg" zu kämpfen.

In Deutschland trägt heute noch rund ein Dutzend Bundeswehr-Kasernen Namen von umstrittenen Wehrmachts-Offizieren. Verteidigungsministerin von der Leyen ist auch deshalb in manchen Teilen der Bundeswehr unbeliebt, weil sie auf diesem Gebiet für einen deutlichen Bruch steht. Sie will die Bundeswehr dort entnazifizieren, wo es andere zuvor versäumt haben. Auch dazu soll der neue Traditionserlass dienen. 

Deutschland Ursula von der Leyen in der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne
Will neue Vorbilder für die Truppe: Verteidigungsministerin Ursula von der LeyenBild: picture alliance/dpa/B. Thissen

Neuer Traditionsbezug

Es gab allerdings schon zuvor einen Traditionserlass. Der stammt vom damaligen SPD-Verteidigungsminister Hans Apel und ist aus dem Jahr 1982. Apel wollte mit dem Erlass schon damals eine Distanz zu Traditionen der Wehrmacht schaffen.

Der neue Entwurf schließt daran an, verschärft die Abgrenzung zur Wehrmachts-Geschichte und ändert die Perspektive: Zentraler Bezugspunkt der Tradition der Bundeswehr solle nun ihre eigene Geschichte sein, heißt es in einer Pressemitteilung aus dem Verteidigungsministerium. Er gewähre aber auch die Freiheit, aus allen Epochen der deutschen Militärgeschichte Vorbildliches in das Traditionserbe der Bundeswehr zu übernehmen, heißt es weiter. Solange dies für die Bundeswehr sinnstiftend sei und ihren Werten entspreche.

Diskutiert wurde für den neuen Traditionserlass auch über das Erbe der Armee der ehemaligen DDR, der NVA. Im Zuge der Wiedervereinigung waren Standorte und teils auch Personal der NVA in die Bundeswehr übernommen worden. Nun heißt es, dass die NVA keine Tradition der Bundeswehr sei, weil sie Teil der Diktatur war. Einzelne NVA-Angehörige aber könnten in das Traditionsgut aufgenommen werden, wenn sie zum Beispiel bei der Wiedervereinigung halfen.

Wie bindend ist das neue "Gesetz"?

So autoritär wie der Begriff "Erlass" vielleicht klingen mag, versteht ihn die Bundeswehr-Führung gleichwohl nicht. Das betrifft zum einen die Phase der Erarbeitung. Die "Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege", wie der Traditionserlass vollständig heißt, wurden breit diskutiert. Daran beteiligt waren Wissenschaftler, Militär-Angehörige, Stiftungen, Medien, Verbände und Parlamentarier des Bundestags. Nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfs gingen viele Kommentare im Ministerium ein. Dort betonte man dann den "dynamischen Prozess". Der Entwurf wurde überarbeitet.

Auch wenn der Erlass gilt, ist er kein Gesetz, sondern ein "Dachdokument für Anweisungen". Das heißt, er soll Orientierung, Halt und Hilfe für den Alltag in der Bundeswehr geben. Gerade auch indem er klare Grenzen im Umgang mit der Geschichte zieht. Denn Dienstvorschriften wird er als Anlage beigefügt.

Aber auch das Problem mit den Kasernen-Namen soll angegangen werden. Parallel zur Unterzeichnung des Traditionserlasses wird die dortige Kaserne umbenannt. Bislang hieß sie nach einem preußischen (ein deutsches Heer gibt es erst seit 1919) General aus dem Ersten Weltkrieg (und einem damals besetzten Ort in Frankreich) Emmich-Cambrai-Kaserne. Nun wird sie in Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne umbenannt. Tobias Lagenstein war 2011 bei einem Bundeswehreinsatz in Afghanistan gefallen.