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Neue Terror-Taktik

Svenja Üing22. November 2003

Innerhalb von kaum einer Woche werden im türkischen Istanbul zwei Doppelanschläge verübt. Urheber der Gewalt ist vermutlich das El Kaida-Netzwerk. Experten gehen von einem neuen taktischen Konzept der Terroristen aus.

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Anschläge in Istanbul am 20.11.2003: Mehr als 400 Menschen werden verletztBild: AP

Nur fünf Tage nach den Anschlägen auf zwei Istanbuler Synagogen greifen Terroristen erneut Ziele in der Metropole am Bosporus an: Bei den Selbstmordanschlägen auf das britische Generalkonsulat und eine britische Bank sterben am 20. November 2003 mindestens 27 Menschen, unter ihnen auch der britische Generalkonsul Roger Short. Mehr als 400 Personen werden verletzt. Urheber der Anschläge ist vermutlich die radikale Moslemgruppe El Kaida. Der deutsche Terrorismusexperte Rolf Tophoven erkennt in der Anschlagserie ein neues taktisches Konzept.

Doppelanschläge als Zeichen neuer Terror-Taktik

Neu sei nicht der Einsatz von Autobomben und Selbstmordattentätern, sondern der innerhalb weniger Tage verübte Doppelanschlag in derselben Stadt, so Rolf Tophoven, Direktor des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik (IFTUS) in Essen. "Die El Kaida ist zurück, der Terror hat eine Schlacht gewonnen, und die USA und ihre Verbündeten sind in der Defensive", resümmiert er. Rückkehr der El Kaida-Gewalt – allerdings nicht als festes, hierarchisch organisiertes Netzwerk, sondern in lose vestreuten und daher umso gefährlicheren Gruppierungen. Außerdem sei es eine Illusion, so Tophoven, anzunehmen, man könne dem so genannten Internationalen Terrorismus die Finanzströme austrocknen: "Geld ist für diese Leute noch das geringste Problem."

Aus der Sicht des Terrorismusexperten richtete sich der Anschlag auf die beiden Synagogen – die größte Istanbuler Synagoge Neve Shalom und die fünf Kilometer entfernte Beth-Israel-Synagoge – gegen die guten türkisch-israelischen Beziehungen. Die Zerstörung des britischen Generalkonsulats und der britischen Bank (HSBC) habe hingegen den Briten als engsten Verbündeten der USA gegolten. Nach Angaben einer türkischen Nachrichtenagentur bekannten sich die El Kaida und die "Front der Vorkämpfer für den Großen Islamischen Osten" (IBDA-C) zu den Anschlägen.

Anschläge in Istanbul
Rauchschwaden über dem Gebäude der britischen Hongkong Shanghai Banking Corporation in Istanbul.Bild: AP

Türkei im Visier des internationalen Terrorismus

Mit den beiden Doppelanschlägen ist die Türkei ins Zentrums des internationalen Terrors gerückt. Fachleute berfürchten, dass das Land auch in Zukunft ins Visier gewalttätiger Islamisten geraten könnte. Denn die Türkei ist der einzige NATO-Staat mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung und ein Verbündeter sowohl Israels als auch der USA.

Zudem ist mit der Türkei erstmals ein Staat auf dem europäischen Kontinent das Ziel von Terroranschlägen geworden. Damit wächst auch die Angst vor Angriffen auf andere europäische Staaten. In dem Zusammenhang warnt der deutsche Innenminister Otto Schily vor nachlassender Wachsamkeit. Das Terrornetzwerk El Kaida habe an Gefährlichkeit nicht eingebüßt und sich wieder neu anfgestellt. Für Deutschland sieht Schily derzeit zwar keine Gefährdung wie in Istanbul. "Aber wir sind Teil des allgemeinen Gefahrenraumes. Wir werden in den Verlautbarungen von El Kaida ausdrücklich als Ziel genannt", so Schily.

Schily: engere Kooperation mit Türkei gefordert

Die Anschläge in der türkischen Metropole werfen auch ein neues Licht auf einen möglichen Beitritt der Türkei in die Europäische Union. Während der konservative deutsche Politiker Wolfgang Bosbach (CDU) vor einer schnellen Aufnahme der Türkei warnt, propagiert Innenminister Schily einen baldigen türkischen EU-Beitritt – gerade angesichts der jüngsten Anschläge: "Die Antwort auf das, was in Istanbul geschehen ist, kann nur heißen, dass wir enger mit der Türkei kooperieren", sagt Schily. An die Deutschen appelliert der Innenpolitiker, sich intensiver mit dem Islam zu beschäftigen: "Auf lange Frist werden wir gegen den Terrorismus nur siegen, wenn wir auch die geistig-politische Auseinandersetzung offensiv führen."