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Athens neuer Herr der leeren Kassen

Jannis Papadimitriou27. Juni 2012

Der Ökonomieprofessor Jannis Stournaras wird neuer Finanzminister in Griechenland. Im Inland muss er Reformen umsetzen, im Ausland soll er auf eine Neuverhandlung des Sparpakets drängen.

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Porträt des neuen griechischen Finanzministers Stournaras (Foto: AP)
Finanzminister Jannis StournarasBild: dapd

Nachdem der eigentliche Wunschkandidat Vassilis Rapanos aus gesundheitlichen Gründen auf das Amt des Finanzministers verzichten musste, galt der Oxford-Absolvent Jannis Stournaras als eine der wenigen vernünftigen Alternativen. Damit nimmt die griechische Koalitionsregierung unter dem Konservativen Antonis Samaras Konturen an und signalisiert im Ausland, dass sich kein altgedienter Parteipolitiker, sondern ein ausgewiesener Fachmann um die Finanzen des Landes kümmern wird.

Doch auch der Top-Ökonom Stournaras muss sich an der politischen Agenda der Regierungsparteien orientieren. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich Konservative, Sozialisten und moderate Linke darauf verständigt, in Brüssel einen zweijährigen Aufschub für das Erreichen der Sparziele zu beantragen. Zudem wollen die Regierungsparteien Wahlgeschenke verteilen, die den Sparvorgaben widersprechen: zum Beispiel Löhne und Gehälter nicht mehr kürzen, die Mehrwertsteuer senken und unpopuläre Arbeitsmarktreformen erneut prüfen. Die Regierungsparteien wollen mit den EU-Partnern über das Rettungspaket für Griechenland neu verhandeln.

Für Wirtschaftsprofessor Dimitris Mardas ist das nicht der richtige Ansatz: "Eine Neuverhandlung des Rettungspakets ist gar nicht durchsetzbar. Auch an den Strukturreformen und Modernisierungsmaßnahmen werden die EU-Partner nicht rütteln wollen", warnte der griechische Ökonom in einem Fernsehinterview. Dagegen sei die zeitliche Streckung der Sparauflagen geradezu alternativlos und zudem "im Interesse der Gläubiger". Sonst wäre Griechenland angesichts klammer Kassen nämlich gar nicht in der Lage, seine Schulden zurückzuzahlen, sagte Dimitris Mardas.

Kein Ende der Rekord-Rezession in Sicht

Die jüngsten Daten aus Athen scheinen diese Sorgen zu bestätigen: Nach einem Bericht des Wirtschaftsforschungsinstituts KEPE bricht die griechische Wirtschaft in diesem Jahr viel stärker ein, als ursprünglich erwartet. Für das dritte Quartal 2012 wird sogar ein Rekordminus von 9,1 Prozent befürchtet. In diesem Fall würden nicht einmal die für das laufende Jahr vereinbarten zusätzlichen Sparmaßnahmen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro ausreichen, um die Haushaltslage zu stabilisieren, glaubt der Wirtschaftsexperte Nikos Filippidis.

Porträt des ehemaligen griechischen Finanzministers Rapanos (Foto: AP)
Vorgänger Rapanos hat sich aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogenBild: dapd

"Statt der vereinbarten 11,5 Milliarden werden Zusatzeinnahmen von mindestens 14 Milliarden gebraucht - es sei denn, man würde gewisse Abstriche bei den Haushaltszielen machen oder über das Rettungspaket insgesamt neu verhandeln wollen", sagte Filippidis in einem Interview mit dem griechischen TV-Sender Skai. Der nächste Monat werde für die neue Regierung entscheidend sein. "Bei leeren Kassen muss eine Neuverhandlung bis spätestens Ende Juli stattfinden und bis dahin wird die Regierung eben improvisieren, um Haushaltslöcher zu stopfen", meint der Wirtschaftsexperte aus Athen.

Ob und wann genau die griechische Regierung eine Neuverhandlung des Rettungspakets beantragt, ist noch nicht klar. Anders als noch im Wahlkampf versicherte der konservative Ministerpräsident Antonis Samaras in seiner ersten Stellungnahme nach der Wahl, das Land würde zu seinen Verpflichtungen stehen. Seitdem erklären konservative Politiker immer wieder, die Regierung halte zwar am Ziel der Neuverhandlung fest, müsse aber zuerst ihren Ruf als zuverlässiger Verhandlungspartner wiederherstellen, etwa indem sie Strukturreformen und Privatisierungen voranbringe.

Grübeln über die richtige Verhandlungsstrategie

Solche Aussagen kann man durchaus als taktischen Rückzug verstehen oder als Versuch, Zeit zu gewinnen. Der Journalist und ehemalige Regierungssprecher Dimitris Tsiodras erklärte in einem Fernsehinterview, Griechenland würde Schritt für Schritt vorgehen:

"Unsere Strategie basiert auf drei Punkten: Erstens, wir wollen in der Eurozone bleiben und die dazu erforderlichen Maßnahmen umsetzen. Zweitens, wir sind einverstanden mit den Sparzielen, wollen aber über Teilaspekte des Rettungspakets reden, denn wir dürfen die soziale Realität in unserem Land nicht ignorieren", sagt Tsiodras. "Drittens wird Griechenland seine Staatsschulden rechtzeitig bezahlen." Auf dem bevorstehenden EU-Gipfel gehe es nicht darum, neu zu verhandeln, sondern erst einmal das Thema auf die Agenda zu setzen.

Für die neue griechische Regierung war der Start sehr turbulent: Nur wenige Stunden nach seiner Ernennung erklärte der Vize-Minister für Handelsschifffahrt wegen eines Interessenkonflikts seinen Rücktritt. Davor musste Premier Antonis Samaras wegen einer Netzhautablösung ins Krankenhaus und hat seine Teilnahme am EU-Gipfel abgesagt. Die Diskussionen darüber, wer Griechenland auf diesem Gipfel in Brüssel vertreten soll, führten zum Chaos: Außenminister Dimitris Avramopoulos wurde zunächst damit beauftragt, aber wenig später auf Anweisung der Brüsseler Juristen zurückgepfiffen, weil er eben kein Staats- oder Regierungschef ist. An seiner Stelle wird nun Staatspräsident Karolos Papoulias die griechische Delegation beim EU-Gipfel anführen.

Der griechische Regierungschef Antonis Samaras wird von Reportern befragt (Foto: Reuters)
Regierungschef Samaras kann wegen einer Operation nicht am EU-Gipfel teilnehmenBild: Reuters

"Der Regierungssprecher gibt unserer Ständigen Vertretung bei der EU die Schuld für das Missverständnis, angeblich habe da jemand falsche Informationen nach Athen geliefert", sagte der Politikjournalist Prodromos Papailiopoulos im TV-Sender Skai. Es sei zu der unangenehmen Situation gekommen, dass sich der Außenminister auf den EU-Gipfel vorbereitet, Beratungen führt und erst im letzten Moment erfährt, er dürfe die griechische Delegation in Brüssel gar nicht leiten. Diese Missverständnisse würden dem Bild Griechenlands im Ausland schaden, beklagt der Journalist aus Athen.