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Griechenlands Staatsfernsehen

Jannis Papadimitriou7. November 2014

Vor einem Jahr räumte die Polizei das von Journalisten besetzte Funkhaus des Staatssenders ERT. Ein Nachfolgesender wurde gegründet. Unabhängig sollte er sein - eigentlich. Aus Athen Jannis Papadimitriou.

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Gebäude des Senders ERT in Athen (Foto: AP Photo/Thanassis Stavrakis)
NERIT statt ERT - nur der Name hat sich geändertBild: picture-alliance/AP Photo

Rückblick: Im Juni 2013 hatte der griechische Regierungschef Antonis Samaras den chronisch defizitären Staatssender ERT per Dekret eingestellt und alle 2650 Mitarbeiter auf einen Schlag entlassen. Aufgrund von Sparzwängen sei der harte Einsatz nötig gewesen, hieß es damals. Zudem habe die Regierung vor, diesen Hort der Korruption und Vetternwirtschaft auszumerzen und einen deutlich verschlankten Nachfolgebetrieb nach Vorbild der britischen BBC einzurichten. Aus Protest besetzten daraufhin hunderte entlassene Journalisten die ERT-Zentrale in Athen und erklärten, sie würden ihr eigenes Radio- und TV-Programm einfach weiterführen. Erst im November 2013 konnten Sondereinheiten der Polizei das Funkhaus räumen. Im vergangenen Mai ging der Nachfolgesender NERIT auf Sendung.

Dennoch strahlen weiterhin über 400 Mitarbeiter des früheren Staatssenders ihr eigenes Protestprogramm via Internet und zunehmend auch auf Radiofrequenzen aus. "Wir geben nicht auf, obwohl unser zwölfmonatiger Bezug von Arbeitslosengeld ausgelaufen ist. Wir wollen den ERT-Betrieb komplett wiederherstellen", erklärt der Radiomoderator Nikos Tsimpidas im Gespräch mit der DW. In den vergangenen Monaten hätten die ehemaligen ERT-Mitarbeiter immerhin wichtige Achtungserfolge und Zwischensiege gefeiert: "Insgesamt 17 besetzte Lokalsender des früheren ERT- Netzwerks senden mittlerweile unser eigenes Protestprogramm", sagt der Journalist.

Die Räumungsaktion im November 2013 wird Tsimpidas noch lange in Erinnerung bleiben. Damals hatte er gerade Nachtschicht, als die Polizei ins Funkhaus eindrang, kurz nach vier Uhr morgens. Die Ordnungshüter forderten ihn und seine Kollegen auf, das Gebäude umgehend zu verlassen. "Der Zeitpunkt war geschickt gewählt, damit sie auf möglichst geringen Widerstand stoßen. Wir fragten nach einer Erklärung für den Polizeieinsatz, bekamen aber keine Antwort", moniert der Radiomoderator.

Räumung des besetzten Rundfunkgebäudes in Athen (Foto: REUTERS/John Kolesidis )
Nacht-und-Nebel-Aktion vor einem Jahr - Räumung des Rundfunkgebäudes in AthenBild: Reuters

Vetternwirtschaft bleibt auf der Tagesordnung

Dass der ehemalige staatliche Rundfunk stark reformbedürftig war, will selbst der langjährige ERT-Mitarbeiter Tsimpidas nicht bestreiten. Natürlich hätte es "gewisse Probleme" gegeben, aber die seien doch lange kein Grund, den Sender kurzerhand abzuschalten und durch einen reinen Regierungsbetrieb wie NERIT zu ersetzen, klagt der Journalist.

Jedenfalls spricht derzeit wenig dafür, dass der Nachfolgesender die früher oft beklagte Vetternwirtschaft hinter sich gelassen hat: Nach nur wenigen Wochen im Amt wurde der erste NERIT-Vorstandschef Giorgos Prokopakis im Mai fristlos entlassen und klagte daraufhin via Facebook über Intransparenz und politische Intervention. An dessen Stelle trat der respektierte Verwaltungsjurist Antonis Makridimitris, der nach der Sommerpause ebenfalls entnervt aufgab. Das Ruder übernimmt nun Petros Mais - ein Ökonom, der 38 Jahre lang für den viel gescholtenen ERT-Staatsfunk tätig war. Sieht so ein Neuanfang aus?

"NERIT hat die alten Sündenmuster des ERT-Betriebs nicht überwunden", meint Giorgos Plios, Professor für Medien an der Universität Athen, im Gespräch mit der DW. Beim neuen Sender sei die Regierungskontrolle sogar noch viel stärker ausgeprägt als jemals zuvor und könne, angesichts der eskalierenden politischen Auseinandersetzungen im Land, noch weiter zunehmen, klagt der Medienexperte. Leider gäbe es derzeit in Griechenland keinen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dass die Regierenden den neuen Staatssender dennoch mit der britischen BBC vergleichen, trage schon fast komödienhafte Züge, meint Professor Plios.

ERT Open Rundfunk Griechenland (Foto: DW/Greta Hamann)
Nikolas Tsimpidas von ERT Open bei der Arbeit im RadiostudioBild: DW/Greta Hamann

Die Rolle der Privatmedien

Nach der Schließung des früheren Staatssenders ERT im Sommer 2013 kündigten die griechischen Mediengewerkschaften Streiks und Proteste an. Auch in den Privatmedien kam es zu Arbeitsniederlegungen gegen die ERT-Schließung. Die gemeinsam beschworene Solidarität dauerte jedoch nicht lange. Regierungspolitiker gaben den Privatmedien Interviews, in denen sie das Aus für den alten Staatssender ERT vehement verteidigten. Die Linksopposition wiederum boykottiert den neuen Staatsfunk NERIT und verspricht, im Fall eines Wahlsieges den früheren Sendebetrieb wieder herzustellen und alle ERT-Mitarbeiter erneut unter Vertrag zu nehmen.

Dass die Privatmedien mangels ernsthafter öffentlich-rechtlicher Konkurrenz für eine ausgewogene, regierungskritische Berichterstattung sorgen, sei eher unwahrscheinlich, glaubt Professor Giorgos Plios. "Aus Untersuchungen zur Krisen-Berichterstattung geht hervor, dass sämtliche Privatmedien in Griechenland allzu deutliche Kritik an der Regierung vermeiden. Das liegt wohl daran, dass sie auf Regierungshilfe angewiesen sind, damit sie weiterhin günstige Bankkredite bekommen", erläutert der Medienexperte. Zudem sei der Rechtsrahmen für den Fernsehmarkt zum Teil noch unübersichtlich, da kein Privatsender über eine endgültige Sendelizenz verfüge.

Journalisten demonstrieren vor dem ERT-Funkhaus in Athen (Foto: REUTERS/John Kolesidis )
Proteste haben nichts genutzt - Journalisten demonstrieren vor dem Funkhaus in AthenBild: Reuters

Derartige Abhängigkeiten und Verflechtungen politischer und wirtschaftlicher Interessen hätten zur Folge, dass viele Griechen den Medien im eigenen Land immer weniger trauen, moniert Plios. Diese Einstellung wird von den regelmäßigen Eurobarometer-Umfragen bestätigt: Über 80 Prozent der Befragten bezeichnen die TV-Sender im Land als unzuverlässig. Auch Radiosender und Tageszeitungen werden mit viel Skepsis bedacht.