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Neuer Wikileaks-Bericht sorgt für Furore

29. November 2010

Wikileaks gibt keine Ruhe und sorgt nun für diplomatischen Trubel: 250.000 geheime Dokumente aus den US-Botschaften wurden veröffentlicht. Sie zeigen, wie die Supermacht über ihre Partner und deren Politiker denkt.

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Wikileaks-Logo (Archivfoto: dpa)
Wikileaks macht wieder WirbelBild: picture-alliance/dpa

Tiefe Skepsis gegenüber den verbündeten Staaten und eine Außenpolitik Amerikas, die noch immer von Terrorangst beherrscht wird: Dieses Bild zeichnen nach Berichten der "New York Times" und des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" mehr als 250.000 diplomatische US-Depeschen im Besitz der Internetplattform Wikileaks, die von Sonntag (28.11.2010) an nach und nach veröffentlicht wurden. Sogar Hinweise auf ein Ausspionieren der Führung der Vereinten Nationen wurden gefunden, berichtete der britische "Guardian".

Spiegel-Titelseite (Foto: dpa)
Das Cover der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel"Bild: picture-alliance/dpa

Die "New York Times" spricht von einem "beispiellosen Blick auf Hinterzimmer-Verhandlungen von Botschaften rund um den Globus, brutal offene Ansichten über ausländische Führer und freimütige Einschätzungen von terroristischer und nuklearer Bedrohung". Der afghanische Präsident Hamid Karsai wird dem "Spiegel" zufolge als "schwache Persönlichkeit" beschrieben, der von "Paranoia" und "Verschwörungsvorstellungen" getrieben werde.

Skeptisch über Türken und andere Verbündete

Auch der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan wird den Angaben zufolge als höchst skeptisch bewertet, weil er sein Land in eine islamistische Zukunft führe. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak habe den unter George W. Bush begonnenen Irak-Krieg für gefährlichen Unsinn und den damalige US-Präsidenten für unbelehrbar gehalten. Saudi-Arabien - eigentlich enger US-Verbündeter - wird der "New York Times" zufolge als Hauptfinanzier militanter islamistischer Gruppen wie El-Kaida genannt. Das kleine Golfemirat Katar, wo viele US-Truppen stationiert sind, sei aus Sicht von US-Diplomaten im Kampf gegen den Terror "in der Region am schlimmsten".

US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel (Foto: AP)
Obama und seine Partner: Wikileaks läßt tief blickenBild: AP

"Fast ein Jahrzehnt nach den Angriffen vom 11. September 2001 dominiert der dunkle Schatten des Terrorismus noch immer die Beziehungen der USA zur Welt", schreibt die "New York Times". So zeigten die Depeschen, wie sich die Regierung von Präsident Barack Obama beispielsweise damit herumschlage, vertrauensvolle Partner in Pakistan im Kampf gegen El-Kaida zu finden.

Aus dem US-Außenministerium seien zudem Informationen angefordert worden, ob der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi tatsächlich Privatgeschäfte mit Russlands Premierminister Wladimir Putin getätigt habe. Zu Berlusconi hätten die US-Diplomaten geschrieben, er "erscheint zunehmend das Sprachrohr Putins" in Europa. Der russische Premier werde als "Alpha-Rüde" bezeichnet, Präsident Dmitri Medwedew als "blass" und "zögerlich".

Russlands Premier Putin und der italienische Ministerpräsident Berlusconi (Foto: AP)
Der "Alpha-Rüde" Putin und sein "Sprachrohr" BerlusconiBild: AP

"Muskelspiele" und "Anmaßung" in China

Die Dokumente zeichneten auch das gewachsene Selbstbewusstsein Pekings nach. China stelle sich nach außen mit "Muskelspielen, Triumphalismus und Anmaßung" dar, urteilten amerikanische Diplomaten demnach. Der Hackerangriff gegen die Suchmaschine Google sei gemeinsam von Mitarbeitern der Regierung, privaten Sicherheitsexperten und "Internet-Banditen" veranstaltet worden, die von der Regierung in Peking angeheuert worden seien.

"Der Spiegel" berichtet, dass 90 Prozent der Dokumente aus der Zeit seit 2005 stammen. Nur sechs Prozent seien als "geheim" eingestuft, 40 Prozent als "vertraulich". Das meiste Material stamme aus der Botschaft in Ankara, gefolgt von der US-Vertretung in Bagdad.

Wikileaks-Gründer Julian Assange (Foto: picture alliance/dpa)
Julian Assange, der Gründer von WikileaksBild: picture alliance/dpa

Das US-Außenministerium hatte am Samstag mit einem Brief an Wikileaks-Gründer Julian Assange die erwartete Massen- Veröffentlichung zu verhindern versucht. Die geplante Offenlegung der vertraulichen und zum Teil als geheim eingestuften Berichte amerikanischer Botschaften "gefährdet das Leben zahlloser Personen". Doch Assange, der sich Journalisten am Sonntag gegenüber im jordanischen Amman in einer Videokonferenz äußerte. ließ sich davon nicht beeindrucken.

Und wie schneiden die Deutschen ab?

"Der Spiegel" geht in seiner Titelgeschichte auch darauf ein, dass deutsche Spitzenpolitiker in den durch Wikileaks veröffentlichten Dokumenten des US-Außenministeriums schlecht wegkommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei "selten kreativ" und risikoscheu, Bundesaußenminister Guido Westerwelle unerfahren. Unter den 250.000 Wikileaks-Dokumenten stammten 1719 Berichte aus der US-Botschaft in Berlin.

Außenminister Guido Westerwelle und seine US-Kollegin Hillary Clinton (Foto: picture alliance/dpa)
Schlechtes Image auch in Washington: Außenminister Westerwelle hier mit seiner Amtskollegin ClintonBild: picture-alliance/dpa

Dem "Spiegel"-Berichtet zufolge äußerte sich US-Botschafter Philip Murphy in seinen vertraulichen Depeschen nach Washington oftmals kritisch über die Entscheidungsträger in Berlin. Besonders abschätzige Bemerkungen kämen allerdings vielfach nicht von Murphy selbst, vielmehr beziehe er sich dabei oft auf Informanten aus den Parteien.Vor allem Außenminister Westerwelle werde von den Amerikanern negativ beurteilt. Die Geheimberichte beschrieben ihn auch als inkompetent, eitel und amerikakritisch.

Bessere Noten für Guttenberg

Besser kommt Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) weg. Er werde als "enger und bekannter Freund der USA" gesehen. Guttenberg habe Murphy bei einem Treffen auch gesagt, dass der Koalitionspartner und die Person Westerwelle und nicht die SPD als "das größte Hindernis" für eine deutliche Erhöhung der deutschen Truppen in Afghanistan darstellten.

In außenpolitischen Fragen betrachten die Amerikaner das Bundeskanzleramt laut "Spiegel" als den besseren Anprechpartner. Im Vergleich zu Westerwelle habe Kanzlerin Merkel "mehr Erfahrung in Regierungsarbeit und Außenpolitik". Die Berliner Koalition betrachten die US-Diplomaten insgesamt skeptisch, wie der "Spiegel" berichtete. Merkel habe das "Joch der Großen Koalition abgeschüttelt, nur um jetzt mit einem FDP-CSU-Doppel-Joch belastet zu sein", heiße es in einer Depesche vom Februar 2010. Die US-Diplomaten hätten im Oktober 2009 mehrmals aus den laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP Informationen erhalten. Bei dem Informanten handle es sich um einen "jungen, aufstrebenden Parteigänger" der FDP.

US-Botschafter Philip Murphy (Foto: AP)
US-Botschafter Murphy, ein Archivbild mit unverdächtigem FußballBild: AP

Botschafter ist "unglaublich wütend"

Botschafter Murphy rechtfertigte im Interview mit dem "Spiegel" die Berichte als normale diplomatische Arbeit: "Wir reden mit Leuten, man lernt sich kennen, man vertraut sich, man teilt Einschätzungen." Er sei "unglaublich wütend" auf denjenigen, der das Material heruntergeladen habe. Seine Leute hätten "nichts falsch gemacht", so Murphy, "und ich werde mich für nichts entschuldigen, das sie gemacht haben".

Autor: Marko Langer (rtr, afp dpa)
Redaktion: Walter Lausch