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Neues Jüdisches Museum

6. November 2001

Anfang September öffnete das größte jüdische Museum Europas in Berlin seine Pforten, nachdem bereits der leere Bau ein Publikumsmagnet war.

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Bild: AP

Der Festakt zur Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin begann mit einem Konzert des Chicago Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim. Danach führte Museumsdirektor W. Michael Blumenthal die 850 Gäste in den neu eingerichteten Museumsbau.

Im Zentrum des Museums soll nicht der Holocaust stehen, wenngleich der Massenmord an den Juden einen zentralen Aspekt darstellt. "Das Jüdische Museum ist ein deutsches Geschichtsmuseum ... unsere Aufgabe als Staatsmuseum ist es auch, die Besucher daran zu erinnern, dass die deutschen Juden normale, schaffende Bürger waren."

Deutsche Normalität?

Der Inszenierung der Eröffnung als Fest zeigt, wie die Bundespolitik die Stadt Berlin symbolisch in Besitz nimmt, und demonstriert ein unverkrampftes Selbstverständnis.

"Souverän werden historische Tiefendimension, aufgeklärte Moral, professionelle Politik und ökonomische Überlegenheit zusammengeführt. Suggeriert wird vor allem Normalität: eine Normalität von so gigantischem Ausmaß, wie sie dem neuen Deutschland angemessen ist. Wenn Berlin mit so weltläufiger, den Glamour nicht scheuender Professionalität seinem furchtbarsten Abgrund gegenübertreten kann, dann ist offensichtlich das Ärgste vorüber. Das Label Berliner Republik hat einen Inhalt bekommen. Deutschland ist souverän," interpretiert Mark Siemons in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Weniger euphorisch klingt Rafael Seligmann in der "Frankfurter Rundschau": "Nach wie vor hegen bis zu 40 Prozent der Deutschen Vorurteile gegen Juden. Der Antisemitismus ist zwar tabu, und die Deutschen haben sich ihrer Vergangenheit in einem Maße gestellt, dass andere Nationen davon lernen können. Doch viele Vorurteile suchen sich heute ihr Ventil, zum Beispiel im Anti-Zionismus."

Seligmann kritisiert die nach wie vor partielle Wahrnehmung von Juden: "Wenn heute Deutsche, insbesondere Jugendliche, nach ihrem Judenbild gefragt werden, dann verweisen sie auf schießwütige Israelis, Klezmermusikanten aus dem Schtetl Osteuropa - vor allem aber auf unendliche Leichenberge. Sechs Millionen ist ein Synonym für Juden."

Was bedeutet es heute ein Jude zu sein?

Die neue Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin soll die verengten Horizonte öffnen. Dies war auch Anliegen des 59-jährigen Neuseeländers Ken Gorbey. Er hat die Schau als erzählendes Museum konzipiert. Gerade mit multimedialen Darstellungsformen hofft Gorbey, junge Menschen ins Museum locken zu können.

Dreizehn Stationen erzählen das Leben der Juden in Deutschland anhand von fast 4.000 Exponaten – Alltags- und Kultgegenständen, vom Beschneidungsbesteck bis zur Barbiepuppe in jüdischer Hochzeitstracht. Die Dokumente schlagen einen Bogen von den Römern, über das Leben im Mittelalter, bis hin zur gescheiterten Integration im 19. Jahrhundert, der Aufbruchstimmung in der Weimarer Republik und der Verfolgung im NS-Staat. Zum Abschluss wird das Leben der Juden im heutigen Deutschland dargestellt.

Labyrinth der Erinnerung

Viele waren der Ansicht, Daniel Libeskinds schwierige Architektur vertrage keine Ausstellung. Das für 120 Millionen Mark in Form eines zerborstenen David-Sterns errichtete Gebäude weckt mit seinen verwinkelten Gängen die Vorstellung eines "Labyrinths des Erinnerns". Die "Voids", Leer- und Gedenkräume, provozieren Verstörung:

"Manche Leute stehen in dem Holocaust-Turm des Museums und empfinden Trauer und Bestürzung, andere sehen darin einen spirituellen Raum und sprechen von Hoffnung. Jeder kann hier seinen Gefühlen nachspüren."

Doch Libeskind sieht seinen Bau nicht als Denkmal. Er will diesen nicht auf die Empfindung von Verlust und Auslöschung der jüdischen Kultur festgelegt wissen:

"Es soll die Möglichkeit eröffnet werden, tiefer in die Geschichte einzutauchen. Es gibt keine vorfomulierten Metaphern, dafür aberr viele Angebote zur Aneeignnung und Anteilnahme. Natürlich kann maan Errrrrrinnerungg nicht einn- unnnnnd ausknipsen wie einen Fernseher, aber vielleicht gelingt es der Architektur dennoch, wie ein Katalysator zu wirken, das Erinnern verstärkt und es in viele Richtungen gleichzeitig lenkt. Das zumindest wäre mein Wunsch: dass die Leute das Museum mit einer Erfahrung verlassen, die ihnen etwas bedeutet."

Ohne den Direktor W. Michael Blumenthal, den ehemaligen US-Finanzminister unter Jimmy Carter, wäre das Museums-Projekt kaum zu Stande gekommen. Er hat sich für die Autonomie des Museums eingesetzt, führte es unter die Obhut des Bundes, der das Museum mit jährlich 25 Millionen Mark fördert.

Susanne Gupta