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Bertelsmanns Rating-Modell

Sabine Kinkartz20. November 2012

Die Ratingagentur Moody's hat Frankreich die Spitzenbewertung entzogen. Das feuert die Debatte über die Macht der großen US-Agenturen erneut an. Doch was würde eine unabhängige Ratingagentur anders machen?

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Hessen/ Teilnehmer einer Konferenz der amerikanischen Ratingagentur Fitch sitzen am Mittwoch (11.01.12) in Frankfurt am Main bei einer Konferenz zum Thema "European Credit Outlook 2012: Crisis shapes new credit landscape" vor einer Praesentation, die die Ratings verschiedener europaeischer Laender zeigt. Erste Anzeichen fuer eine Entspannung in der Euro-Krise: Die Brutto-Neuverschuldung der Eurozone wird nach Schaetzung der Bewertungsagentur Fitch in diesem Jahr um 6,5 Prozent auf 1.492 Milliarden Euro sinken. Die Neuverschuldung 2012 werde in fast allen Laendern Europas fallen. Fuer Schweden werde sogar ein Ueberschuss erwartet. Gegen den Trend wuerden nur Griechenland, Zypern und Oesterreich hoehere Brutto-Summen benoetigen, hiess es in einem Sonderbericht, den Fitch am Mittwoch in Frankfurt am Main vorlegte. (zu dapd-Text) Foto: Mario Vedder/dapd
Symbolbild Wirtschaft Banken Europa RatingagenturBild: dapd

Einen besseren Tag hätte sich die einflussreiche deutsche Bertelsmann Stiftung für die Präsentation ihres unabhängigen Länderratings nicht aussuchen können. Wieder einmal hat eine große us-amerikanische Ratingagentur einem der ohnehin angeschlagenen Euro-Länder einen Kinnhaken verpasst. Frankreich fühlt sich national beleidigt und der Rest Europas zittert um die eigene Bewertung. So jedenfalls mutet die Situation an, aber tatsächlich hat es weitreichende Folgen, wenn Standard & Poors, Moody's und Fitch ein Urteil abgeben. Der frühere Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Gunter Thielen, macht das am Beispiel Deutschlands deutlich. "Solche Ratings sind öffentliche Güter, sie betreffen uns alle. Wie Deutschland von den Rating-Agenturen bewertet wird, hat nicht nur Auswirkungen für die Bundesregierung, sondern für uns alle als Steuerzahler." Bei einer Herabstufung muss sich Deutschland das Geld am Kapitalmarkt zu höheren Zinsen leihen, "und die Zinsen zahlen letzten Endes die Steuerzahler."

Modell für unabhängige Ratingagentur

Agentur ohne Gewinnstreben

Steigende Zinsen wiederum erhöhen die Schuldenberge weiter, das Land gerät in noch größere Schwierigkeiten. Schon lange wird daher nach einer alternativen Bewertung von Länderrisiken gerufen. Möglich wäre das mit der "International Non-Profit Credit Rating Agency" (INCRA). Für die unabhängige und nicht gewinnorientierte Ratingagentur hat die Bertelsmann Stiftung im April dieses Jahres eine Machbarkeitsstudie vorgestellt. Mit Bewertungen für Deutschland, Frankreich, Italien, Brasilien und Japan liegen nun die ersten Ratings vor. "Wir haben in unserem Konzept neben den traditionellen makroökonomischen Indikatoren sogenannte vorausschauende Indikatoren in unsere Analyse mit einbezogen", erläutert Projektleiterin Annette Heuser die Unterschiede zu den bisherigen Rating-Methoden. Das sind Indikatoren, die die sozioökonomische Entwicklung eines Landes abbilden. So würden auch Fragen nach Investitionen in Bildung gestellt, oder auch, wie ein Land in der Vergangenheit mit Krisen umgegangen ist. "Was sagt das über die Management-Fähigkeiten eines Landes aus, aktuell oder in Zukunft Krisen lösen zu können?"

Deutschland auch hier "AAA"

Mit 60 Prozent schlugen die sozioökonomischen Indikatoren bei der Bewertung zu Buche, die harten Wirtschaftsfakten mit 40 Prozent. Deutschland bekommt von INCRA den Bonitätswert 8.1 von 10 zugesprochen, was bei einer kommerziellen Ratingagentur dem begehrten "Triple-A" entsprechen würde. Allerdings mit negativem Ausblick. Kritik übt Gunter Thielen an der hohen Gesamtverschuldung von über 80 Prozent der Wirtschaftsleistung und daran, dass Deutschland über den Euro-Rettungsschirm für immerhin mehr als 300 Milliarden Euro haftet. Ein zweiter Punkt, der von keiner anderen Rating-Agentur berücksichtigt werde, sei die Demografie in Deutschland. "Der demografische Wandel wird dazu führen, dass wir zwangsläufig dringend und umfassend reformieren müssen, sonst kommen wir in ganz große Schwierigkeiten," so Thielen: Dieses Rating sei daher ein Hinweis: "Achtung, in Deutschland muss etwas passieren, wenn die Bewertung gehalten werden soll."

Frankreich gar nicht so schlecht

Frankreich kommt von INCRA die Bonitätsbewertung 7.9, das wäre ein AA+ und damit genau die Note, die auch Standard & Poors und Moody's vergeben haben. Makroökonomisch seien die französischen Daten gar nicht einmal so schlecht, sagt Projektleiterin Annette Heuser. Bei den Reformen gehe das Land aber nicht in die richtige Richtung. "Da muss man einfach sagen, dass beispielsweise die Herabsetzung des Rentenalters von 62 auf 60 Jahre uns genauso wenig überzeugt hat, wie die Investitionen in Bildung, die ganz wichtig sind für die Zukunftsfähigkeit eines Landes und auch einer Industrienation wie Frankreich."

Auf Platz drei des unabhängigen Rankings landet Italien mit der Note 7.2, was einem AA entspricht. Brasilien wird mit 6.8 und Japan mit 6.0 bewertet, was jeweils einem A gleichzusetzen ist. Insbesondere bei Italien weicht die Bewertung deutlich von den Ratings der US-Agenturen ab. Die positivere Bewertung erhält das Land wegen seiner Fähigkeit, Krisen zu managen. Brasilien muss sich die Mahnung gefallen lassen, zu wenig im Bildungsbereich und in die Infrastruktur zu investieren. Das könnte das Wachstum weiter bremsen. Das Rating für Japan schließlich wird stark dadurch beeinflusst, dass das Land den höchsten Schuldenstand der Welt ausweist, der Anfang des Jahres bei fast 230 Prozent des Bruttoinlandsproduktes lag.

Zukunft des Projekts offen

Ob es von INCRA in Zukunft weitere Ratings geben wird, hängt davon ab, ob aus der Studie mehr wird als nur eine Idee. Die Bertelsmann Stiftung selbst sieht ihre Aufgabe als Denkfabrik erfüllt. Ihrer Ansicht nach sollte beispielsweise die G20 die Gruppe der weltweit führenden Industrie- und Schwellenländer, den Aufbau einer unabhängigen Ratingagentur weiter vorantreiben. Ein großes Problem freilich dürfte die Finanzierung werden: Im Modell wird eine Fondslösung vorgeschlagen. Regierungen, Unternehmen, Stiftungen und private Förderer könnten in diesen einzahlen. Der Fonds müsste ein Volumen von rund 400 Millionen US-Dollar haben, um die jährlichen operativen Kosten von 15 bis 20 Millionen Dollar aufbringen zu können.