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New York in Zeiten des Klimawandels

Christoph Janosch Delcker9. Februar 2013

Die Zerstörungen durch Wirbelsturm Sandy haben gezeigt, was Wassermassen in New York anrichten können - und was auf die Metropole in Zukunft zukommen könnte. Eine Reportage aus einer verwundbaren Stadt.

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New Yorker Skyline (Foto: DW/Delcker)
Bild: DW/Delcker

Die Geschichte vom Kampf der Stadt New York gegen steigende Wasserstände ist auch die Geschichte von Murad Awawdeh, Klaus Jacob und Marit Larson. Drei von acht Millionen Menschen, die ein gemeinsamer Gegner eint.

Am westlichen Rand des Stadtteils Sunset Park in Brooklyn mischt sich der Geruch von Abgasen mit Meeresluft. Umweltaktivist Murad Awawdeh steht am Zaun eines sogenannten "Brownlands", einer mit Chemikalien verseuchten Industriebrache.

Murad Awawdeh, Umweltaktivist bei der Organisation Uprose in New York (Foto: DW/Delcker)
Umwelt-Aktivist Murad Awawdeh: "Fabriken in einkommensschwachen Gebieten bedeuten Umweltrassismus"Bild: DW/Delcker

Daneben liegen ein Kraftwerk und eine Zementfabrik. Sie befinden sich am Ufer des East River, nur knapp über dem Meeresspiegel.

Hier, an der Küste New Yorks, wird nach Expertenmeinung das Wasser innerhalb des nächsten Jahrhunderts zwischen anderthalb und zwei Meter steigen. Gleichzeitig sollen mit der Klimaerwärmung auch die Stürme zunehmen. Aber: "Wenn es hier Überflutungen gibt, fließen die Chemikalien direkt in die Wohnungen der Anwohner", sagt der 25-jährige Awawdeh.

Umweltgefahren treffen vor allem einkommensschwache Stadtteile

Der multikulturelle Stadtteil Sunset Park ist die größte von insgesamt sechs sogenannten SMIAs ("Significant Maritime Industrial Areas") in New York, hochindustrialisierten Gebieten in Wassernähe. "Alle SMIAs sind einkommensschwache Stadtteile", sagt Awawdeh. Das sei kein Zufall: "Umweltverschmutzende Industrie wurde schon immer in solche Gegenden gesteckt."

Mit einem Umwelt-Aktivisten durch New York

Rund 200 Meter vom Ufer entfernt, in einem zweigeschossigen Reihenhaus, befindet sich die Zentrale der Organisation Uprose. Gemeinsam mit Helfern stellt Murad Awawdeh hier Stühle auf für ein Community-Treffen. Awawdeh ist bei Uprose verantwortlich für die Organisation von Umwelt-Aktivitäten.

"Umweltverschmutzung wird oft in Gegenden wie Sunset Park gesteckt, weil wir als machtlos angesehen werden. Seit 1994 kämpfen wir von Uprose dagegen", erklärt Direktorin Elizabeth Yeampierre, eine resolute Latina mit Lockenkopf, während sie die Besucher mit Umarmung begrüßt. Am Eingang des Raums sitzt ihre pensionierte Mutter und verkauft Uprose-Sweatshirts für 25 US-Dollar.

"Wenn die Temperaturen in der Antarktis steigen, steigen sie überall"

Kurze Zeit später ist der Saal bis zum letzten Platz gefüllt. Junge Hispanics in Begleitung ihrer Mütter sitzen neben Frauen mit Kopftuch oder in Fleece-Jacken. Der Stadtplaner und Aktivist Eddie Bautista hält einen Vortrag. "Wir müssen vor allem bei den Jungen das Bewusstsein für Industriegebiete in Nähe von Wasser schärfen. Die Menschen müssen verstehen, dass es so nicht weitergehen kann", fordert Bautista.

Im Publikum nickt Jonathan Ferrer. Der 17-jährige Schüler ist seit früher Kindheit bei Uprose aktiv. Im Oktober 2011 reiste er, finanziert durch ein Stipendium der Stadt New York, zu einer Expedition in die Antarktis.

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"Alles hängt zusammen. Wenn die Temperaturen dort steigen, steigen sie überall auf der Welt", sagt Ferrer, "und wenn der Wasserspiegel steigt, dann kommt das Wasser hier in Sunset Park immer näher an die Häuser, in denen die Menschen leben."

New York muss verschiedene Methoden kombinieren

"Die Menschen in Sunset Park haben gute Gründe, Angst zu haben", sagt Klaus Jacob. Er sitzt in seinem Wohnzimmer in der Vorstadt Piermont am Hudson River, rund 45 Kilometer nördlich von Brooklyn. Der Geophysiker forscht am Lamont-Doherty Earth Observatory der New Yorker Columbia-Universität zu Umweltkatastrophen und berät die Stadt New York in Risikomanagement-Fragen.

Seit 44 Jahren lebt der 76-Jährige in den USA; im Jahr 1968 kam er als Post-Doc aus Deutschland, ursprünglich für ein Jahr. "Das habe ich ein bisschen verlängert", erzählt er mit amerikanischem Tonfall in der Stimme, "aber ich habe immer noch einen deutschen Pass".

"Die Situation in New York ist verheerend; und es ist ganz klar eine Konsequenz des Klimawandels", sagt er. Nach den Zerstörungen durch Wirbelsturm Sandy gebe es nicht mehr viele, die das leugnen.  

Durch die Kombination dreier Methoden könnte sich die Stadt vor Wasser schützen, sagt Jacob: Abschirmung, Anpassung und ein geplanter Rückzug. "Abschirmung kann zentral stattfinden durch Sturmtore oder Deichsysteme, oder dezentral, indem einzelne Gebäude abgesichert werden. Ähnlich hat das die Hafenstadt Hamburg gemacht", sagt Jacob.

Geophysiker Klaus Jacob (Foto: privat)
Geophysiker Klaus Jacob: "Ich selbst habe mein Haus auf ein höheres Fundament gestellt"Bild: privat

Beispielsweise könnten die Eingänge von U-Bahnhöfen in gefährdeten Gebieten höher gelegt werden. Zusätzlich sei es wichtig, sich anzupassen; Gebäude sollten so umgebaut werden, dass Wasser bei einer Flut ins Innere und wieder hinaus gelangt, ohne größeren Schaden anzurichten. "Ich selbst habe mein Haus am Hudson River auf ein höheres Fundament gestellt", sagt Jacob.

Und schließlich sei es wichtig, dass man versucht, sich in höhere Gebiete der Stadt zurückzuziehen. Topographisch ginge das in New York, im Gegensatz beispielsweise zu New Orleans im Süden der USA oder auch Städten anderswo in der Welt, die unter dem Meeresspiegel liegen, wie Venedig oder Sankt Petersburg.

Manche Pläne, wie sich die Stadt vor den Wassermassen abschirmen könnte, klingen wie Science-Fiction. Diskutiert wird, für bis zu 27 Milliarden US-Dollar gigantische Sturmtore in den New Yorker Hafen zu bauen, die die Stadt bei Bedarf schließen kann. "Solche Tore können das Hochwasserproblem für New York nur aufschieben, aber nicht lösen", kritisiert Klaus Jacob.

Wie eine unkonventionelle Idee die Häuser der Stadt New York vor Flutwellen schützen könnte, erfahren Sie im zweiten Teil der Multimedia-Reportage.

In der Stadt tauchen auch Stimmen auf, die nach Alternativen rufen - Lösungsvorschläge, die vor ein paar Jahren noch keine Beachtung gefunden hätten.

Nördlich von Manhattan, in der South Bronx, riecht es nach Asphalt und kalter Seeluft. Wie Sunset Park gilt auch dieser einkommensschwache Teil der Bronx als hoch-industrialisierte "SMIA".

Hydrologin Marit Larson (Foto: DW/Delcker)
Hydrologin Marit LarsonBild: DW/Delcker

Routiniert steuert Marit Larson ihr Auto über eine enge Straße durch den Stadtteil Sound View. Die 45-Jährige ist Hydrologin, sie befasst sich wissenschaftlich mit Wasser. Seit den 1990er Jahren hat sie sich auf die Renaturierung von Feuchtgebieten spezialisiert, seit zwölf Jahren arbeitet sie für die Stadt New York.

Plötzlich taucht links von ihr, auf einem Parkplatz, ein gestrandetes Boot auf. Ein paar hundert Meter weiter, am Ufer des Bronx Rivers, steigt Marit Larson aus und sagt: "Hier lag das Boot ursprünglich, der Wirbelsturm hat es bis ans Land getragen."

Die tiefgelegenen Holzplanken an den umliegenden Holzhäusern wirken aufgeweicht und schwammig, einige sind abgeplatzt. Larson deutet auf ein weißes Schild mit roter Aufschrift an einem der Häuser: "Dieses Haus ist nach dem Sturm nicht mehr bewohnbar."

Auf dem Trockenen liegendes Boot im New Yorker Stadtteil South Bronx (Foto: DW/Delcker)
Sturmschäden in der South BronxBild: DW/Delcker

Einige hundert Meter weiter bleibt Larson erneut am Ufer stehen. Sie zeigt auf Gebäude, die überraschend intakt wirken: "Hier haben die Häuser kaum etwas abbekommen." Aber was ist der Unterschied? "Die Häuser hier stehen auf den natürlichen Grenzen des Landes", sagt sie.

Dort, wo Larson gerade steht, hat die Stadt New York ein ehemaliges Feuchtgebiet renaturiert. Das habe die anliegenden Häuser während Wirbelsturm Sandy geschützt, sagt Larson. Ein paar hundert Meter entfernt, wo das Boot auf dem Trockenen liegt, stünden die Häuser dagegen auf Land, das ursprünglich ein Feuchtgebiet war und von Menschenhand trockengelegt wurde.

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"Als die ersten Europäer im 16. Jahrhundert nach New York kamen, gab es da Tausende Hektar an Feuchtgebieten", erklärt Larson. Historische Karten belegen das.

Diese Feuchtgebiete galten bei den Siedlern jedoch als nutzlos und gefährlich. "So wurde mit der Zeit immer mehr Schutt von Baustellen auf Feuchtgebiete geschüttet und damit gleichzeitig neues Bauland geschaffen. Das heißt, Teile des Gebiets, auf dem New York City sich heute befindet, waren ursprünglich Feuchtgebiete." 80 Prozent davon seien mittlerweile verloren gegangen.

Feuchtgebiete sind keine Wunderwaffe. Vor Überflutungen und steigenden Wasserständen werden sie die Stadt nicht bewahren. "Maßnahmen wie Feuchtgebiete verringern lediglich die Höhe der Wellen bei einer Überflutung, nicht die Höhe der Überflutung an sich", sagt Geophysiker Klaus Jacob.

Allerdings können Feuchtgebiete die Zerstörungskraft abmildern, mit der die Wellen während eines Sturms auf Land treffen.

Infografik zu Überflutungen in New York nach dem Wirbelsturm Sandy

New York, vor allem Manhattan, gehört zu den teuersten Pflastern der Welt; jeder Quadratmeter der Stadt bedeutet einen möglichen Profit für Investoren. Umso schwieriger ist es, Menschen davon zu überzeugen, dass es nachhaltig sinnvoll ist, manche Gebiete in ihrem ursprünglichen Zustand zu belassen.

Trotzdem hat die Stadt bis jetzt über 36 Hektar Feuchtgebiete renaturiert. Und Feuchtgebiete seien mehr als nur ein Puffer, der die Einschlagskraft von Wellen abmildern kann, sagt Marit Larson; sie seien gleichfalls wichtig für das Ökosystem der Stadt und böten den Bewohnern der Stadt Rückzugsgebiete.  

Sandy hat Menschen die Augen geöffnet

"Auch in Sunset Park wird jetzt ein erstes Feuchtgebiet renaturiert", erzählt Stadtplaner Eddia Bautista nach seinem Vortrag beim Community-Treffen in Brooklyn, "aber ohne die Initiative von der Organisation Uprose wäre das nie passiert."

Vom Flachdach des Reihenhauses, in dem Uprose sein Büro hat, kann man die Freiheitsstatue und die Skyline von Manhattan sehen. Davor spiegelt sich die Industrie am Ufer von Sunset Park im Wasser.

"Ich glaube, dass Sandy vielen Menschen die Augen für Umweltbelange geöffnet hat", sagt Aktivist Murad Awawdeh. "Wir New Yorker denken immer, wir sind stark, uns kann nichts etwas anhaben. Aber das ändert sich jetzt."