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Israelische Drohungen

28. Februar 2012

Der ehemalige Sicherheitsberater der USA, Brzezinski, warnt in einem DW-Interview vor den unabsehbaren Folgen eines israelischen Angriffs auf iranische Atomanlagen. Er fordert Europa auf, Stellung zu beziehen.

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Zbigniew Brzezinski
Zbigniew BrzezinskiBild: picture-alliance/Photoshot

DW: Nachdem der Iran den Mitarbeitern der Internationalen Atomenergiebehörde, IAEA, den Zugang zu Militäranlagen verweigert hat, hat Teheran zwar seine Bereitschaft zu weiteren Verhandlungen gezeigt, aber gewarnt, dass jegliche Provokation den Fortschritt zunichte machen könnte. Was halten Sie vom Verhalten des Iran?

Zbigniew Brzezinski: Teheran ist sehr darauf bedacht, sich nicht in eine Lage zu manövrieren, die entweder Kapitulation oder Strangulierung bedeutet. Der Iran könnte sich eventuell auf einen Kompromiss einlassen, der aber nicht auf Einseitigkeit beruht. Für die internationale Stabilität bleibt jedenfalls das Problem bestehen, dass der Iran möglicherweise sein Atomprogramm militärisch einsetzen könnte.

Die internationalen Sanktionen scheinen zu wirken. Sie scheinen aber auch den Iran darin zu bestärken, sein Atomprogramm weiter auszubauen.

Ich glaube, die Wirkung von Sanktionen hängt davon ab, wie viel Zeit zur Verfügung steht, damit sie greifen. Sie wirken nicht sofort. Sie werden vielleicht erst nach einer gewissen Zeit den Standpunkt einer betroffenen Regierung verändern. Außerdem werden Sanktionen, die dem Iran nur die Wahl zwischen Kapitulation oder Strangulierung lassen, nur den Effekt haben, dass Teheran noch trotziger reagiert. Innenpolitisch könnte es sogar die Einigkeit und den Nationalismus der Iraner noch stärken. Selbst diejenigen im Iran, die die Herrschaft der Ayatollahs ablehnen, sind der Ansicht, dass der Iran als bedeutendes Land ein Anrecht auf ein ehrgeiziges Atomprogramm hat, zumindest eines, das der zivilen Nutzung dient. Wir müssen die Sache also differenzierter angehen und uns nicht nur auf eine Kombination aus Druck und militärischen Drohungen mit doppeldeutigen und meiner Ansicht nach kontraproduktiven Parolen wie "alle Optionen sind auf dem Tisch" verlassen.

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad in der Urananreicherungsanlage in Natans (Foto: dpa)
Atomprogramm zu zivilen Zwecken?Bild: picture alliance / dpa

Welchen Rat würden Sie der internationalen Gemeinschaft geben? Gibt es noch eine andere Option?

Die USA müssen dem Iran unmissverständlich und überzeugend zu verstehen geben, dass sie jede Drohung des Iran gegen seine Nachbarn im Nahen Osten - Araber und Israelis - als eine direkte Drohung gegen die USA betrachten. Diese Position hat in den vergangenen 30 Jahren Frieden und Stabilität im Fernen Osten, zumindest wenn es um Japan und Südkorea geht, garantiert. Und dies trotz einer zunehmend irrationalen und aggressiven Haltung Nordkoreas.

Die Europäer werden sich sicherlich daran erinnern, dass Europa durch eine ähnliche Verpflichtung der Amerikaner in den Zeiten des Kalten Krieges verteidigt wurde, obwohl die Kriegspläne der Sowjets zum Beispiel vorsahen, Hamburg am dritten Kriegstag mit taktischen Atomwaffen anzugreifen. Aber die amerikanische Abschreckung verhinderte einen Krieg.

Ich sehe keinen Grund, warum das nicht auch beim Iran funktionieren sollte. Ein Krieg jedenfalls hätte erhebliche Konsequenzen für Amerika, für die internationale Staatengemeinschaft, für die Weltwirtschaft. Die Instabilität im Nahen Osten und Südwest-Asien, also vor allem im Irak und Afghanistan, würde wachsen, und auch Israel würde auf lange Sicht darunter zu leiden haben.

Trotzdem hat Israel zuletzt und mit zunehmender Deutlichkeit gewarnt, dass es auch bereit ist, im Alleingang militärisch gegen den Iran vorzugehen, um zu verhindern, dass Teheran - wie Israel es nennt - an einen Punkt gelangt, an dem es kein Zurück mehr gibt in Bezug auf die Entwicklung von Atomwaffen.

Ich begreife nicht, nach welchem Prinzip der internationalen Ordnung ein Land, das selbst Atomwaffen hat, kategorisch einem anderen Land ein Atomprogramm absprechen kann. Es sei denn, dieses Land erteilt seine Erlaubnis. Und falls es seine Zustimmung nicht gibt, dann hat es das Recht, so scheint es Israel zu sehen, einen Krieg zu beginnen, um das Atomprogramm zu zerstören - in der Erwartung, dass die internationale Staatengemeinschaft und besonders die USA dies unterstützen. Obwohl die internationale Staatengemeinschaft und die USA möglicherweise langfristig schlimmere Konsequenzen erdulden müssten, als die, unter denen Israel kurzfristig leiden würde.

Symbolbild Iran Israel Nukleargespräche Atomwaffe Test
Bild: Jürgen Sorges / AP / DW

In der kommenden Woche trifft sich Israels Premierminister Netanjahu mit US-Präsident Obama in Washington. Glauben Sie, dass Obama es schafft, Netanjahu von seinem Kurs abzubringen und ihn zu überzeugen, dass die Zeit nicht abgelaufen ist, so wie Israel es behauptet?

Nun, Israel besteht nicht nur aus Herrn Netanjahu und Herrn Lieberman (Israels Außenminister, d. Red.). Israel ist eine Demokratie und es gibt viele Stimmen, darunter auch frühere Chefs von Mossad (Auslandsgeheimdienst, d. Red.), Shin Beth (Inlandsgeheimdienst, d. Red.) und Militärs, die diese Drohungen und derartige Absichten komplett ablehnen. Zum anderen sollte Obama in seinen Gesprächen nicht nur Amerikas nationale Sicherheit ansprechen, sondern auch die Interessen unserer Verbündeten vertreten. Unsere Freunde, wie Deutschland, sollten sich nicht hinter unserem Rücken verstecken. Die Europäer sollten sich aus eigenem Interesse ihrer Rolle bewusst sein, denn die negativen Auswirkungen für ihre Wirtschaft wären schwerwiegend. Also sollte die Last nicht nur auf den amerikanischen Schultern ruhen.

Was könnte der Westen dem Iran konkret anbieten, um an den Verhandlungstisch zurückzukehren?

Ich will hier keine konkreten Bedingungen darlegen, aber eine Option wäre eine Vereinbarung im Sinne des Atomwaffensperrvertrags. Da gab es in der Vergangenheit bereits einige Ansätze und Vorschläge, vor allem von der Türkei, von Brasilien oder Frankreich. Es gibt durchaus Möglichkeiten, hier eine intelligente Lösung zu finden, die dem Iran einen Kompromiss erleichtern könnte. Die einzige Alternative sollte nicht die sein, einen Krieg zu beginnen, den das Land, das ihn beginnt, nicht beenden kann. Und dann muss die internationale Gemeinschaft die zerstörischen Konsequenzen tragen, die schließlich auch das Land, dass den Krieg begonnen hat, beschädigen werden.

Sollte Israel dennoch einen militärischen Schlag gegen den Iran ausführen, sollten die USA oder die internationale Gemeinschaft Israel dann unterstützen?

Ich will mich hier nicht mit Hypothesen beschäftigen. Das Wichtigste ist jetzt, dass der Westen und die internationale Gemeinschaft klar und deutlich ihre Interessen darlegen und sagen, worum es jetzt geht. Wenn das geschieht, werden intelligente Menschen in Israel ebenfalls nochmals darüber nachdenken, was im israelischen Interesse ist. Es ist derzeit sehr auffällig, dass die Öffentlichkeit in Israel nicht kriegshungrig ist und dass einige führende Politiker dort erst einmal abwarten, wie der Rest der Welt reagiert. Ich bin der Überzeugung, der Rest der Welt sollte sich intelligent und im Bewusstsein seiner geschichtlichen Verantwortung verhalten.

Drei Kampfflugzeuge (Foto:dpa)
Iranische Kampfflugzeuge beim Manöver zur Verteidigung von AtomanlagenBild: picture-alliance/dpa

Wie besorgt sind Sie, dass ein israelischer Angriff, wie er öffentlich diskutiert wird, in den nächsten sechs Monaten Wirklichkeit wird?

Ein Angriff ist nicht auszuschließen. Aber wenn Sie von den nächsten sechs Monaten sprechen, nehme ich an, dass in der Zwischenzeit nicht alle schlafen oder aus Angst schweigen, sondern dass sie ihre gemeinsamen Interessen öffentlich machen und sich nicht scheuen, das Thema in wohlüberlegter, verantwortlicher und entschiedener Weise zu diskutieren.

Welches Schlüsselargument würden Sie benutzen, um die Israelis zu überzeugen, dass ein Angriff auf den Iran nicht im Interesse Israels ist?

Ich bin mir gar nicht sicher, ob man diesen Punkt betonen muss, denn es müsste offensichtlich sein, dass ein Krieg im Nahen Osten nur weitere Instabilität für die gesamte Region bedeutet. Und man muss sich fragen, wie Israel in einer Region aufblühen kann, die Gefahr läuft, zum Kriegsschauplatz zu werden.

Zbigniew Brzezinski war von 1977 bis 1981 Sicherheitsberater unter US Präsident Jimmy Carter. Er gilt als einer der prominentesten Experten für US-Außenpolitik.

Interview: Michael Knigge
Redaktion: Rob Mudge /mik