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Nicht nur Ärger mit der Wollhandkrabbe

Jan Schilling2. September 2012

Die Chinesische Wollhandkrabbe hat sich in Deutschland zum Leidwesen vieler Binnenfischer breitgemacht. Sie zerschneidet Reusen, knabbert die Fische an und gräbt sich in die Deiche. Aber sie kann auch Nutzen bringen.

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Wollhandkrabbe (Bild: dw)
Bild: Jan Schilling

Die ersten Sonnenstrahlen spiegeln sich auf der Elbe. Fischermeister Wolfgang Schröder steuert, die linke Hand am Außenbordmotor, seinen Kahn zu einer roten Boje. Es ist sieben Uhr früh, die Zeit, zu der er zweimal pro Woche auf die Elbe fährt. Während Fischer Schröder das Boot stoppt, angelt sich sein Gehilfe Thomas Lauenhardt die Boje. Bojen markieren die Stellen, an denen die Aalreusen von Schröder versenkt sind. Mit vereinten Kräften ziehen die beiden Männer die Fangkörbe in den kleinen Kahn. Aber anstatt Aale krabbeln darin nur jede Menge Wollhandkrabben. "Als Beifang", sagt Fischer Schröder.

Neubürger aus Asien

Doch nach Beifang sieht das nicht aus: ein Aal plumpst in einen schwarzen Bottich und mindestens 30 Wollhandkrabben. Grün glänzend, lange Scheren mit pelzigen Flaum. Ihm verdankt die Wollhandkrabbe ihren Namen. Ursprünglich stammt sie aus Asien, um 1900 wanderte sie nach Europa ein. Wissenschaftler vermuteten schon 1933, dass sie im Ballastwasser von Handelsschiffen von Asien nach Europa reiste. Das ist ein möglicher Einschleppungsweg, von den Wissenschaftlern Vektor genannt. Andere aquatische Arten kommen über den Aquarienhandel nach Europa, als Zierfisch - werden also absichtlich eingeschleppt.

Ein Fischer fährt mit seinem Boot über einen Fluss (Bild: dw)
Fischer Schröder fängt Aale und Wollhandkrabben, um sie zu verkaufenBild: Jan Schilling

Bequeme Reise an Bord

Arten sind schon immer von einem Ökosystem ins andere gewandert. "Das ist ein erdgeschichtlich normaler Prozess", erklärt Jürgen Geist, Professor für Biologie an der TU München. "Nur die Rate ist derzeit außergewöhnlich hoch", sagt Geist. Kein Wunder: Der globale Warenaustausch hat sich vervielfacht, die Transportwege verkürzen sich. Kanäle verbinden früher getrennte Meere, in Ballasttanks oder an Schiffsrümpfen werden so Arten von einem Lebensraum in den nächsten verschifft. Frachträume sind teilweise klimatisiert: bessere Überlebenschancen für "blinde Artenpassagiere". In Deutschland leben gut 2000 solcher Neobiota wie Biologen diese Neubürger nennen.

Kaputte Reusen, angeknabberte Fische

"Einige davon gelten als invasiv, sie richten Schaden an und bedrohen die Artenvielfalt", sagt Jürgen Geist. In seiner Versuchsanlage tummeln sich zahlreiche invasive Arten - abgetrennt in Aquarien. Mit den amerikanischen Signalkrebsen beispielsweise kam die Krebspest. Während der Signalkrebs gut mit dem Pilz leben kann, verträgt der europäische Edelkrebs den Pilz nicht und stirbt. Auch die Wollhandkrabbe verursacht Probleme. "Sie macht Schaden an unseren Reusen", sagt Fischer Schröder. "Außerdem frisst sie auch die Fische in den Reusen, wenn sie schwach sind."

Die Geister, die wir riefen

Nicht alle Arten werden invasiv, viele können im neuen Lebensraum nicht überleben. Meist sind invasive Arten Generalisten, sie fühlen sich überall wohl. Heimische Arten hingegen sind oft auf ihre eigene Region spezialisiert, haben sich in einem langen Evolutionsprozess an lokale Umweltbedingungen angepasst. "Wenn es dazu kommt, dass einheimische Arten Probleme bekommen, dann eröffnet dies meist ein Fenster für eine Invasion", erläutert Biologe Geist. Dafür ist der Mensch mitverantwortlich. Er öffnet die Fenster, indem er Umweltbedingungen ändert: er begradigt Flüsse, verändert Uferstrukturen und verschmutzt Gewässer. Deswegen gehen die chinesischen Krabbenbestände zurück. Dämme und Wehre hindern die Krabben daran, zu ihren Laichplätzen zu wandern. Außerdem verschmutzen Fabriken Chinas Flüsse stark, Elbe und Havel hingegen werden sauberer: gute Bedingungen für die Wollhandkrabbe.

Ein Fischer fährt mit seinem Boot über einen Fluss (Bild: dw)
Fischer Schröder fängt Aale und Wollhandkrabben, um sie zu verkaufenBild: Jan Schilling

Fass ohne Boden

Fischer Schröder setzt sich wieder ans Steuer seines Kahns, fährt die Elbe ein Stück weiter. Links und rechts vom Boot spritzt die Gischt. Seit vier Generationen sind die Schröders Fischer, seit vier Generationen gibt es die Wollhandkrabbe. Fehlen natürliche Feinde, dann vermehren sich die Neubürger und konkurrieren mit einheimischen Arten um Nahrung oder besetzen ähnliche ökologische Nischen. In der Havel haben Fischer einiges versucht, um der Krabben Herr zu werden. Seife oder Tierfutter stellten Schröders Vorfahren aus den Krabben her. Am Ende blieb manchmal nur totschlagen, so viele waren es. Eine Lösung war das nicht. "Es ist sehr schwierig, wenn eine entsprechende Verbreitung schon weit fortgeschritten ist, diese wieder einzudämmen", sagt Jürgen Geist. Da bleibe nur der Einsatz einer drastischen Methode: der chemischen Keule. "Politisch und ökologisch höchst fragwürdig", fügt Jürgen Geist noch an.

Glück im Unglück

Chemie kommt für Fischer Schröder nicht in Frage. Schließlich sterben dann die ohnehin knappen Aale gleich mit. So hat er aus der Not eine Tugend gemacht: Er fischt die Wollhandkrabbe, um sie zu verkaufen. "Vor allem Asiaten gehören zu meinen besten Kunden", sagt er, als er den Kahn stoppt. An guten Tagen fischt Schröder bis zu bis zu 300 Kilogramm Krabben. Fünf bis acht Euro zahlen Händler für ein Kilo. Doch die guten Zeiten seien auch schon wieder vorbei, sagt der Fischer und leert wieder eine Reuse aus. In den 90ern habe er teilweise sogar das Doppelte gefangen.

China und Taiwan - die Märkte von morgen?

Jetzt wollen Händler die Krabben sogar nach Taiwan verkaufen. Erste Angebote hat Schröder schon: "Das ist nicht so einfach, immerhin ist das eine lange Flugstrecke." Die Krabben müssen frisch bleiben, am besten lebend sein. Also bleibt er gelassen und sammelt in seinem Wasserbecken fleißig Krabben, bis eine größere Menge zusammenkommt. "Dann probieren wir das", sagt Schröder, wirft den Motor an und fährt die nächste Boje an.