1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nicht nur Ronaldo gegen Bale

Joscha Weber5. Juli 2016

Diese Zuspitzung des ersten EM-Halbfinales zwischen Wales und Portugal liegt so nahe - und ist doch so irreführend. Denn die Überraschungs-Halbfinalisten verfügen über weit mehr Trümpfe als nur ihre beiden Superstars.

https://p.dw.com/p/1JJle
Schalke vs. Madrid
Im Verein bei Real Madrid Kollegen, bei der EM Gegner im Halbfinale: Gareth Bale (l.) und Cristiano RonaldoBild: Reuters

Der 91-Millionen-Mann gegen den 94-Millionen-Euro-Mann. 27 Millionen Facebookfreunde gegen 113 Millionen. Highspeed-Fußball gegen unbändige Torgefahr. Walisischer Volksheld gegen portugiesische Glamour-Ikone.

Wieder einmal ein Spiel von elf gegen elf auf ein eins gegen eins reduziert: Gareth Bale gegen Cristiano Ronaldo. Die teuersten Fußballer der Welt ringen um den Einzug ins EM-Finale. Aber wird das erste EM-Halbfinale zwischen Wales und Portugal am Mittwoch (21 Uhr im DW-Liveticker) wirklich ein reiner Zweikampf? Natürlich nicht.

Medien spitzen gerne zu, personalisieren eine Geschichte, um sie ihrem Publikum näher zu bringen, verständlicher zu machen. "Bale gegen Ronaldo" lautet daher eine populäre Schlagzeile vor diesem Halbfinale. Natürlich auch, weil diese beiden Topstars Klickbringer sind und eben Millionen Fans haben. Doch solch eine Zuspitzung verstellt oft den Blick auf das Wesentliche: Wales gegen Portugal ist weit mehr als das Duell zweier millionenschwerer Teamkollegen bei Real Madrid.

Immer noch ein Spiel Elf gegen Elf

Das erste Semifinale dieser UEFA EURO 2016 ist das Aufeinandertreffen zweier sehr unterschiedlicher Überraschungsteams, die entgegen der Prognosen nahezu aller Experten ihren Weg in die Runde der letzten Vier gefunden haben. Dies gelang natürlich unter Mitwirkung ihrer beiden Superstars, aber bei weitem nicht nur wegen diesen beiden. "Es geht nicht nur um das Duell zweier Spieler, das weiß doch wirklich jeder. Es geht um das Duell zweier Nationen, Elf gegen Elf", fasst es Gareth Bale treffend zusammen.

Wales zum Beispiel marschiert, mal abgesehen von der knappen Niederlage gegen den längst ausgeschiedenen Nachbar England, in der Gruppenphase bei dieser EM von Sieg zu Sieg, weil das Team auch als solches auftritt. Die Mannschaftsteile arbeiten mit- und füreinander, verschieben sich immer zum Ball, leisten viel Laufarbeit. Und vor allem spielt Wales überraschend kreativ und spielgestaltend mit. Das war schon in der sehr überzeugenden Qualifikations-Phase zur EM deutlich zu erkennen. Statt sich wie andere Außenseiter auf das Verteidigen und die Hoffnung auf einen glücklichen Konter zu beschränken, nehmen die Waliser auch bei der EM in allen Partien einen aktiven Part an, übrigens unabhängig vom Gegner. Während sie die überforderten Russen einfach überrannten, übten sie sich gegen die klar favorisierten Belgier lange zwar in Zurückhaltung, überließen dem gescheiterten Titelaspiranten aber nie die die vollständige Kontrolle. Als die spielstarken Belgier müde wurden, schlugen die Waliser eiskalt zu.

Tor-Jubel bei Wales im Spiel gegen Belgien (Foto: Reuters)
Ein Kollektiv, das nun auch Portugal überraschen will: die Elf aus WalesBild: Reuters/C. Recine

Der eine ist Teamplayer, der andere, nun ja, Ronaldo

Trotz oder vielleicht doch wegen der bisherigen Erfolge bei dieser EM möchte der walisische Teammanager Chris Coleman die liebgewonnene Außenseiterrolle nicht abgeben: "Wir sind der Underdog", sagte Coleman und fügte an: "Für Portugal ist es schon das siebte Halbfinale, aber das ist kein Problem. Egal gegen wen - es geht um uns, um unsere Spieler. Sie vertrauen einander und das können sie auch." Teamspirit ist für Coleman ein, vielleicht sogar der Erfolgsgarant. Und deshalb ist es ihm auch so wichtig, wie nahtlos sich auch der wohl beste walisische Spieler in der Geschichte des Fußballs in dieses Kollektiv einfügt. "Gareth ist definitiv ein Teamplayer", lobt Coleman seinen Star. "Man kann die Wichtigkeit eines Teamplayers gar nicht unterschätzen."

Ronaldo trifft im Viertelfinale Polen gegen Portugal (Foto: Reuters/Y. Herman)
Immerhin vom Elfmeterpunkt traf Ronaldo gegen Polen. Seine Freistöße sind dagegen aktuell so gefährlich wie die eines KreisligakickersBild: Reuters/Y. Herman

Diesen Aspekt des Spiels nimmt Cristiano Ronaldo nicht so genau. Abspielen ist nicht so sein Ding, Zurückrennen und verteidigen nur gelegentlich. Zudem sind Freistöße natürlich Chefsache. Doch Ronaldos Bilanz in Sachen ruhender Ball ist katastrophal. In insgesamt 28 Endrundenspielen bei Welt- und Europameisterschaften schoss er 34 Mal einen Freistoß direkt aufs Tor. Nicht ein einziger landete darin. Seine selbstbewusst breitbeinige Attitüde wirkt da nur wie eine alberne Show.

Ist der neue Bayern-Star älter als angegeben?

Als Teil der laufstarken Offensive der Portugiesen ist Ronaldo aber durchaus gefährlich und ein spielentscheidender Faktor, wie im Ungarn-Spiel (3:3) zu beobachten war. Aber längst nicht nur er, sondern auch Joker Ricardo Quaresma und Bayerns Neuzugang Renato Sanches sorgen für Torgefahr. Letzterer beeindruckt mit unbedingtem Siegeswillen und einer für sein Alter (18) erstaunliche Physis. Prompt wird diese Zahl infrage gestellt. Der französische Ex-Trainer Guy Roux Medienberichten sagte, Sanches müsse "23 oder 24 Jahre alt" sein. Der portugiesische Nationaltrainer Fernando Santos widersprach umgehend.

Eine Altersdebatte ist das letzte, was Santos nun brauchen kann. Denn vor dem Halbfinale hat Favorit Portugal eine Menge zu tun: Die mangelhafte Chancenauswertung, die teilweise gezeigte Ideenlosigkeit im Spielaufbau sowie Abwehrschwächen sind die die großen Baustellen im Spiel seiner Mannschaft, die in den Augen vieler Beobachter mehr als glücklich in der Vorschlussrunde steht. Kein einziges binnen 90 Minuten gewonnenes Spiel, dazu jede Menge Glück sowohl in der Gruppenphase als auch in der Verlängerung gegen Kroatien (Achtelfinale) sowie im Elfmeterschießen gegen Polen (Viertelfinale.). Das Halbfinale bietet den durchaus kampstarken, aber bisher nicht überzeugenden Portugiesen die große Chance zu zeigen, dass ihr Erfolg doch kein Zufallsprodukt war.

Dänemark und Griechenland als Vorbilder

Vielleicht kommt es aber auch ganz anders und Wales schreibt Geschichte. "Es gab die Märchen von Dänemark und Griechenland. Das kann uns auch gelingen", sagte Gareth Bale in Erinnerung an die Sensations-Europameister von 1992 und 2004. Der Waliser hat auch schon einen Wunschgegner für das Endspiel: "Ich erinnere mich, dass Toni Kroos vor dem Turnier gesagt hat, dass wir nur drei Spiele haben werden. Umso schöner wäre es, wenn wir uns im Finale treffen."