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Nicht vergleichen – ich selbst werden

27. Juli 2013

Mit dem Vergleichen kam das Unheil in die Welt. Dabei kommt doch nur jener durch die enge Tür des Himmelreichs, der nicht größer sein will als er eigentlich ist, meint Heribert Arens von der katholischen Kirche.

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Symbolbild IdentitätBild: Fotolia/ Bobo

„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ „Frau Königin, Ihr seid die schönste hier, aber Schneewittchen hinter den Bergen bei den sieben Zwergen ist tausendmal schöner als ihr.“ Sie kennen diese Frage der Königin aus dem Märchen der Gebrüder Grimm „Schneewittchen“. Wer anfängt, so zu fragen, dem werden die bitteren Antworten nicht erspart bleiben.

Du bist schön, aber sicher gibt es andere, die schöner sind als du.
Du bist reich, aber sicher sind andere reicher als du.
Du bist beliebt, aber sicher sind andere beliebter als du.
Du bist fromm, aber sicher sind andere frommer als du.
Du bist tüchtig, aber sicher sind andere tüchtiger als du.
Du bist witzig, aber sicher sind andere witziger als du.

Und solltest du wirklich der unübertroffen Beste sein, warte nur: Du wirst älter, andere rücken nach; deine Dynamik wird schwächer, andere kommen mit voller Power, irgendwann verschwindest du von der Bildfläche, die andere erobern.

„Spieglein, Spieglein an der Wand…“ Wer so fragt, dem werden die bitteren Antworten nicht erspart bleiben. Wer der erste sein will, findet sich schnell als der letzte wieder! Und dann? Was tust du, wenn andere schöner, reicher, frommer oder beliebter sind als du? Mancher fängt dann an, blind zu wüten: Er kann andere nicht gelten lassen, spielt sie mit aller Macht an die Wand – zumindest versucht er es. Er wird missgünstig, kann anderen nicht gönnen, was sie haben. Er macht andere schlecht, nur um selbst besser dazustehen.

Wer sich so verhält, zerstört andere und auch: sich selbst. Es macht mich unfrei, wenn ich anfange, mich mit anderen zu vergleichen: „Wer ist die Schönste…?“ Das ist die Ursünde, mit der alles Unheil in die Welt kam: Eva und Adam wollten mehr sein als sie waren, sie wollten sein wie Gott. Da konnten sie nur erfahren, dass sie nackt waren. Und dann fingen sie das mörderische Versteckspiel an. Ich verstecke mich, weil ich nackt bin. Das sollst du nicht merken!

Und es ging weiter mit dem Vergleichen: Kain tötet Abel. Er konnte es nicht ertragen, dass sein Bruder bei Gott mehr Ansehen hatte als er selbst. Das machte ihn zum Mörder.

Mit dem Vergleichen kam das Unheil in die Welt!

Darum wurde auch der heilige Franziskus ganz radikal, als ein Novize zu ihm kam und ein Psalterium haben wollte, ein Gebetbuch mit Psalmen. Franziskus sagte: Nein, das bekommst du nicht. Denn wenn du erst das Psalterium hast, dann willst du ein Brevier haben, das ist ein größeres Gebetbuch. Und dann wirst du dich irgendwann auf den Thron setzen und zu deinem Bruder sagen: „Bruder, reiche mir das Brevier!“

Es ist schon ein lächerliches Spiel, dieses: „Ich bin größer, du bist kleiner! – und wenn du größer wirst, dann stutze ich dich, damit du kleiner bleibst als ich. Manchmal tut ein Perspektivenwechsel gut: Steig auf einen hohen Berg, dann siehst du im Tal keine Höhenunterschiede mehr. Aus der Perspektive Gottes gibt es keine Höhenunterschiede zwischen den Menschen.

Darum gefällt mir auch die Spruchkarte sehr, die ich einmal zugeschickt bekam. Darauf stand: „Auch auf dem erhabensten Thron der Welt sitzt du nur auf deinem eigenen Hintern!“ Franz von Assisi, der Namenspatron des neuen Papstes, drückt das etwas vornehmer und theologischer aus: „Was der Mensch vor Gott ist, das ist er, nicht mehr und nicht weniger“.

Das Evangelium, das morgen in den katholischen Gottesdiensten verlesen wird, spricht von der engen Tür ins himmlische Glück. Ich ahne, diese enge Tür bin ich selbst, der Mensch mit seinen Stärken und Grenzen. Kann ich ja sagen zu mir, dann passe ich durch diese Tür. Bejahe ich mich nicht, will größer sein, mehr als ich bin, dann wird diese Tür zu eng.

Eine jüdische Legende erzählt von Rabbi Sussja, aus dessen Mund die folgende Einsicht stammt: Gott wird mich einmal nicht fragen: „Warum bist du nicht Abraham gewesen? Er wird mich fragen: Warum bist du nicht Sussja gewesen, warum bist du nicht du selbst gewesen?!“

Zum Autor:

Titel: Pater Heribert Arens OFM
Pater Heribert Arens ofmBild: Heribert Arens

Heribert Arens ist Franziskaner und lebt im Franziskanerkloster Vierzehnheiligen in Oberfranken. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, insbesondere zu Predigt und Spiritualität. Er ist Mitarbeiter bei der Zeitschrift "Der Prediger und Katechet" und Mitglied im Kuratorium für den "Deutschen Predigtpreis".