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Nichtdeutsche von Wahl in Berlin ausgeschlossen

Ben Knight (kk)16. September 2016

Rund 20 Prozent der Berliner dürfen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus nicht abstimmen, da sie keine deutschen Staatsbürger sind. Eine Initiative will dies ändern – und erntet fremdenfeindliche Stimmung.

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Symbolbild Referendum
Bild: picture-alliance/dpa/F. Kästle

Die Wahlplakate in Berlin sind seit mehreren Wochen allgegenwärtig. Doch fast ein Fünftel der Berliner erinnern sie vor allem daran, dass sie am 18. September nicht eingeladen sind, ihre Stimme abzugeben.

Wie viele andere europäische Metropolen auch ist Berlin Heimat von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Bürger aus rund 180 verschiedenen Staaten leben in der Stadt. Doch im Gegensatz zu anderen Städten haben Ausländer hier kein Mitspracherecht bei der Wahl ihres Stadtparlaments.

Besondere Regelung bei den deutschen Stadtstaaten

Dies geht auf den besonderen Verwaltungsstatus Berlins zurück. Zwar dürfen, den Vorgaben des Vertrags von Maastricht 1992 entsprechend, EU-Bürger aus anderen Mitgliedstaaten sich an den Kommunalwahlen ihrer jeweiligen Wohnorte beteiligen. Doch Berlin ist nicht nur eine Stadt, sondern auch ein Stadtstaat und damit eines der 16 deutschen Bundesländer. Das heißt, dass der Berliner Senat auch im Deutschen Bundesrat vertreten ist. Aus diesem Grund fallen die Berliner Wahlen unter das nationale Wahlgesetz. Dieser Umstand schränkt die Wahlbeteiligung auch von EU-Ausländern ein. Ausländer, die in den beiden anderen deutschen Stadtstaaten, Hamburg und Bremen, leben, stehen vor dem gleichen Problem.

Initiative will Rechte der Ausländer stärken

Da 551.000 in Berlin lebende Menschen keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, hat die Initiative "Citizens for Europe e.V." eine Kampagne initiiert, die die Rechte der Ausländer in der Bundeshauptstadt erweitern will.

In den vergangenen Jahren erfreute sich dieses Anliegen erheblicher Sympathien. So erklärten in einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2014 rund 69 Prozent der deutschen Berliner, sie seien dafür, dass sich in der Stadt lebende Ausländer an kommunalen Referenden beteiligen dürfen.

Das Anliegen wurde ausserdem von allen großen politischen Parteien mit Ausnahme der CDU unterstützt. Zum Schluss aber stimmte dann auch die SPD gegen das Gesetz - offenbar aus Rücksicht auf den Koalitionspartner CDU.

Fremdenfeindliche Kommentare

Jetzt aber sieht sich das von "Citizens for Europe e.V." vertretene Anliegen angesichts erstarkter rechter Bewegungen und des zu erwartenden Einzugs der gegen die Einwanderung gerichteten Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) ins Berliner Abgeordnetenhaus starkem Widerstand gegenüber. Die politische Debatte hat sich derart radikalisiert, dass eine Reihe von CDU-Politikern sogar für die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft plädiert.

Frau Petry, Sprecherin der einwanderungskritischen Partei AfD (Foto:Photo by Thomas Lohnes/Getty Images)
AfD-Sprecherin Frauke PetryBild: Getty Images/T. Lohnes

"Wenn wir auf Facebook Beiträge posten, die das Stimmrecht für Ausländer fordern, erhalten wir viel mehr und viel schärfere Kommentare als noch vor ein paar Jahren", sagt Martin Wilhelm, Direktor der "Citizens for Europe e.V.", im Gespräch mit der DW. "In einigen Antworten heißt es nicht nur, man halte die Idee nicht für richtig, was einer sachlichen Auseinandersetzung gleichkommt. Vielmehr fordert ein Teil der Absender, die Ausländer sollten das Land verlassen. Die ernsthaften Debatten früherer Zeiten gibt es heute kaum noch."

Entscheidungen der Gerichte

Auf Grundlage des Grundgesetzes haben deutsche Gerichte dem Wahlrecht für Ausländer mehrfach eine Absage erteilt. So etwa im Jahr 1990 das Bundesverfassungsgericht und 2014 ein Bremer Gericht. Beide bezogen sich auf Artikel 20.2 des Grundgesetzes. Dort heißt es: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus."

Beide Gerichte stellten fest, dass der Begriff "Volk" deutsche Staatsangehörige meint. Diese Deutung ist für "Citizens for Europe e.V." nicht zwingend. "Der Artikel erwähnt ausdrücklich nicht "deutsche" Menschen. Denn er steht für ein demokratisches und kein nationalstaatliches Prinzip", argumentiert die Organisation auf ihrer Website.

"Unter Richtern und Anwälten scheint die Überzeugung vorzuherrschen, das deutsche Verfassungsrecht müsse nicht geändert werden", sagt Wilhelm. "Darum geht es auch in der Tat nicht. Wohl aber darum, das Verfassungsgericht aufzufordern, seine Deutung des Begriffes "Volk" zu überdenken".

Ein neuer rechtlicher Rahmen

Der rechtliche Rahmen habe sich in den letzten 26 Jahren völlig verändert, argumentiert Wilhelm. Der Maastricht-Vertrag und eine Reihe von OECD- und UN-Konventionen hätten eine neue Situation geschaffen, so Wilhelm. "Außerdem haben sich auch die Richter verändert. Darum glauben wir, das Verfassungsgericht würde heute anders entscheiden als damals. Nach heutigem Verständnis dürfte der Begriff "Volk" nicht nur Deutsche meinen, sondern alle, die in Deutschland leben."

Tatsächlich verknüpfen zahlreiche Staaten das Stimmrecht mit der Frage des Wohnsitzes statt mit der Staatsangehörigkeit - und dies nicht nur auf lokaler Ebene. Nach Angaben des Migrant Integration Policy Index ermöglichen etwa die Wahlgesetze Neuseelands EU-Bürgern eine höhere Beteiligung am politischen Prozess als Deutschland es tut.