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"Nichts ist besser geworden"

11. Februar 2004

Gladys Ávila ist Präsidentin der kolumbianischen Vereinigung der Familienangehörigen Verschwundener ASFADDES. Mit ihr sprach DW-WORLD über die Lage in Kolumbien unter Präsident Álvaro Uribe.

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Haben noch immer viel Macht: Paramilitärs in KolumbienBild: AP

DW-WORLD: Die Lateinamerika-Beauftragen der CDU/CSU-Fraktion sind der Meinung, die Menschenrechtssituation in Kolumbien sei besser geworden. Wie ist Ihre Einschätzung?

Gladys Ávila: Im Gegenteil. Die Situation für uns Menschenrechtsaktivisten wird jeden Tag schwieriger. Menschenrechtler werden verhaftet, überwacht, abgehört und verfolgt. Zu Zeiten von Uribes Vorgänger, Andrés Pastrana, konnten wir zumindest öffentlich Menschenrechtsverletzungen anzeigen. Auch das ist jetzt komplizierter.

Ihr Bruder wurde 1993 entführt und ermordet. Waren auch Sie selbst in jüngster Zeit Opfer von Bedrohungen?

Ja, wir können nicht wie normale Bürger leben. Wir fahren nur im Auto von unserer Wohnung ins Büro. Wir können nicht einfach über die Straße spazieren, ohne Angst haben zu müssen, dass uns was passiert. Wir mussten sogar unser Büro wechseln, da wir ständig überwacht wurden.

Wer wird verfolgt?

Alle, die sich für Menschenrechte einsetzen. Aber es kann grundsätzlich jeden treffen, bis hin zum einfachsten Bauern. Es genügt wenn man in einem Gebiet lebt, wo es Kämpfe zwischen den Konfliktparteien gibt.

Uribe hat auf seiner Reise Zahlen präsentiert, die die verbesserte Situation im Land dokumentieren sollen. Was halten Sie von den Erfolgsmeldungen?

Es stimmt, dass es weniger Massaker gibt. Aber die Zahl der einzelnen Morde ist gestiegen. Nach jedem Massaker haben wir national und international für so viel Wirbel gesorgt, dass die internationale Gemeinschaft hellhörig wurde. Dadurch hat sich die Taktik geändert. Die Morde sind selektiv und Menschen verschwinden spurlos. Was sich geändert hat, ist nur die Art und Weise des Verbrechens. Es gibt Regionen, die komplett von den Paramilitärs kontrolliert werden. Es gibt Dörfer, die in ihrer Gesamtheit entführt sind, denen das Land genommen wird.

Nach einer Umfrage liegt die Popularität Uribes bei etwa 80 Prozent. Unterstützt die Mehrheit der Kolumbianer seine Politik?

Unterstützung kann man nicht mit Popularität gleichsetzen. Bei den letzten Wahlen gab es Betrug. Da tauchten Tote als Wähler auf, ganze Region wurden gezwungen, ihre Stimme für Uribe zu geben. In Kolumbien gibt es ein friedliches Volk, das auf Frieden setzt. Und es weiß, dass es nicht die beste Regierung hat.

Alle Konfliktparteien, ob Rebellengruppen wie FARC und ELN oder Paramilitärs, haben schwere Verbrechen begangen. Gefürchtet ist nach wie vor die Macht der Paramilitärs. Woher rührt die?

Die Paramilitärs haben Verbindungen zu den staatlichen Sicherheitskräften. Dadurch können sie auch große Teile des Landes kontrollieren. Unsere Sorge ist groß über die von Uribe geplante Demobilisierung der Paramilitärs. An eine Entschädigung für die Opfer wird dabei nicht gedacht. Die Regierung selbst hat gesagt, für den Frieden muss die Gerechtigkeit geopfert werden. Uns Opfer schmerzt es, dass dasselbe passiert wie in Argentinien, wo Verbrechen viele Jahre dank Amnestiegesetzen ungesühnt blieben.

Es gibt Kritiker, die sagen, dass Menschenrechtsorganisation häufig nur die Verbrechen der Paramilitärs sehen und nicht die der Guerilla?

Wir lehnen jegliche Gewalt ab, egal von wem sie ausgeübt wird. Wenn die Gewalt aber vom Staat selbst ausgeht, der von seinen paramilitärischen Verbänden unterstützt wird, muss das denunziert werden. Es ist der Staat selbst, der die meisten Menschenrechte verletzt. Das will er natürlich nicht eingestehen.

Welche Haltung sollte die Internationale Gemeinschaft gegenüber Uribe einnehmen?

Es dürfte keine wirtschaftliche Unterstütztung geben, solange sich der Präsident nicht vor allem für die sozialen Belange des Landes einsetzt und die Menschenrechte respektiert.

Das Interview führte Steffen Leidel