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Niederlande erleben Politikwechsel

10. Juni 2010

Nach der Wahl in den Niederlanden steht fest: Die Christdemokraten sind der große Wahlverlierer. Parteichef Balkenende hat schon die Konsequenzen gezogen.

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Jan Peter Balkenende, Portrait vom 20. Februar 2010. (Foto: AP)
Balkenende ist zurückgetretenBild: picture-alliance/dpa

Die Christdemokraten müssen nach der Wahl vom Mittwoch (09.06.2010) 20 Sitze abgeben und sind mit 21 Abgeordneten künftig nur viertstärkste Kraft. "Die Ergebnisse sind sehr, sehr enttäuschend", sagte der 54-jährige Parteichef Jan Peter Balkenende. "Das ist eine Ohrfeige." Balkenende kündigte zugleich an, nicht dem neuen Parlament angehören zu wollen. Das Amt des Ministerpräsidenten wolle er bis zur Konstituierung einer neuen Regierung weiterführen.

Regierungsbildung wird sehr kompliziert

Portrait Geert Wilders, 46. (Foto: AP)
Wilders will in die RegierungBild: dpa

Nach aktuellen Prognosen zeichnet sich ab, dass die Niederlande vor einer der schwierigsten Regierungsbildungen ihrer Nachkriegsgeschichte stehen. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Sozialdemokraten ging die rechtsliberale Partei für Freiheit und Demokratie (VVD) in der Nacht zum Donnerstag unter ihrem Spitzenkandidaten Mark Rutte mit 31 Mandaten knapp als stärkste politische Kraft aus der Wahl hervor. Die Partei der Arbeit (PvdA) unter dem ehemaligen Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen kam auf 30 der 150 Sitze des Parlaments "Tweede Kamer". Als eigentlicher großer Sieger gilt jedoch der islamfeindliche Rechtspopulist Geert Wilders. Dessen "Partei für die Freiheit" (PVV) erreichte den größten Zuwachs von allen und steigerte die Zahl ihre Mandate um 15 auf 24.

Zu den Wahlgewinnern gehörten auch die Grün-Linken, die nach Auszählung fast aller Stimmen auf 10 Mandate kommen (vorher 7). Die linksliberale Partei Demokraten 66 steigerte sich von 3 auf 10 Mandate. Die Sozialistische Partei sackte auf 15 Mandate ab (vorher 25).

Im Wettstreit um die Regierung: sechs Optionen

Zusammenkunft im Wahlkampf (Foto: dpa)
Die Parteichefs (v.l.n.r.) Mark Rutte (VVD), Geert Wilders (PVV), Job Cohen (PVDA) und Jan Peter Balkenende (CDA) vor Beginn einer FernsehdebatteBild: picture alliance/dpa

Traditionsgemäß steht nun dem 43-jährigen Mark Rutte als Chef der größten Partei die Initiative für den Versuch einer Regierungsbildung zu. Allgemein wurde damit gerechnet, dass Königin Beatrix als Staatsoberhaupt zunächst der VVD den Vorzug für die Kabinettsbildung gibt. Eine von Rutte geführte Rechts-Regierung mit Wilders und einem Vertreter des Christlich-Demokratischen Appells (CDA) ist denkbar. Sie käme aber mit insgesamt 76 der 150 Abgeordneten nur auf die denkbar knappste Mehrheit von einem Mandat.

Die größte Mehrheit - insgesamt 81 Abgeordnete - hätte eine Koalition aus Rechtsliberalen, Sozialdemokraten und Christdemokraten. Allerdings galt am Donnerstag als unsicher, ob die CDA nach ihrem dramatischen Absturz von 41 auf 21 Mandate - und damit vom ersten auf den vierten Rang - sich wieder an einer Regierung beteiligen will.

Wilders erhebt Anspruch auf Regierungsbeteiligung

Noch in der Wahlnacht betonte der Rechtspopulist Wilders den Anspruch seiner Partei, künftig in Den Haag mitzuregieren. Es wäre "nicht demokratisch", so Wilders, wenn die anderen Parteien bei der Regierungsbildung an der Tatsache vorbeigehen würden, dass seine PVV von rund 1,5 Millionen Niederländern gewählt worden sei.

Wilders strebt nach eigenen Worten eine Koalition mit der rechtsliberalen VVD und den Christdemokraten an. Als möglicher weiterer Koalitionspartner käme für ihn die kleine orthodox-calvinistische Partei SGD (zwei Sitze) in Betracht.

Vorgezogene Neuwahlen und Stimmungstest

Balkenendes Mitte-Links-Regierung war Mitte Februar am Streit über den niederländischen Afghanistan-Einsatz zerbrochen. Deshalb wurden Neuwahlen nötig. Insgesamt waren am Mittwoch rund zwölf Millionen Wähler aufgerufen, über die Zusammensetzung der 150 Sitze zählenden Volksvertretung zu entscheiden.

Die Wahl war die erste in einem Land der Euro-Zone nach dem Ausbruch der Schuldenkrise und galt daher auch als Stimmungstest in Europa. Neben der Schuldenkrise und der Notwendigkeit harter Sparmaßnahmen zur Reduzierung des Haushaltsdefizits ging es auch um die vor allem von Wilders aufgegriffenen Themen Einwanderung und Integration. Der Rechtspopulist hatte unter anderem einen Einwanderungsstopp für Muslime und die Kürzung der Sozialhilfe für neue Immigranten gefordert.

Autorin: Anika Bever (afp, dpa, rtr)
Redaktion: Oliver Samson