1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Wahlkampf um die Unentschlossenen

Barbara Wesel
2. März 2017

Knapp zwei Wochen vor der Wahl hat sich die Mehrheit der Niederländer noch nicht entschieden, bei wem sie ihr Kreuz machen wird. Rechtspopulist Wilders dominiert die Debatte und Premier Rutte kämpft um sein Überleben.

https://p.dw.com/p/2YQsg
Wahlkampf Niederlande Wahlplakat
Bild: Reuters

Der junge Parteiführer von Groen-Links würde jeden Justin Trudeau look-alike-Wettbewerb gewinnen. Und seine Rhetorik stammt direkt von Barack Obama:"Unsere Botschaft setzt auf Hoffnung und Wandel. Ich glaube an Hoffnung und Ideale, und viele sind wie ich müde von Leuten wie Geert Wilders, der die Menschen gegeneinander hetzt. Wir wollen zusammen leben", sagt Jesse Klaver im Interview mit der DW.  Er ist einer der wenigen Politiker in den Niederlanden, der Wilders direkt attackiert. Und er hat seine kleine Partei von gerade vier Abgeordneten hoch auf den dritten Platz im Parlament katapultiert. Es geht also doch?

Grüner Wahlkampf an den Haustüren

Ganz anders als Wilders, der seinen Wahlkampf nur noch virtuell führt und weitere öffentliche Auftritte wegen angeblicher Sicherheitsbedenken abgesagt hat, gehen die Grünen direkt zu den Wählern. Die Amsterdamer Stadträtin Lene Grooten trotzt dem Nieselregen und klopft an eine Haustür nach der anderen in der Piet-Mondrian-Straat. Im Stadtteil Slootervaart wohnen viele Migranten aber auch junge Holländer, manche nennen die Gegend "Problemviertel". Aber alles ist sauber und gepflegt, keine Spur von "Sozialghetto". Ein paar Jungens kicken auf dem Fußballplatz, die Stimmung ist entspannt.

Spitzenkandidat Groen-Links, Jesse Klaver
Mischung aus Justin Trudeau und Barack Obama: Groen-Links-Chef Jesse Klaver Bild: DW/B. Wesel

Fast alle Einwohner nehmen sich Zeit für einen Schwatz mit Lene. "Die meisten hier sind unentschlossen. Und viele suchen nur im Internet. Deswegen gehen wir raus, um direkt mit den Leuten zu reden. Wir glauben, das ist wichtig", sagt die Grüne. Sie räumt ein, dass die politische Wetterlage schwierig ist: "Mit dem Brexit brauchen wir Veränderungen in Europa. Wir müssen die EU demokratischer machen und den Leuten näher bringen." Ihr Parteichef weiß, wie das gehen soll: "Ich bin Europäer, ich liebe Europa. Aber wir dürfen da nicht immer nur über die Wirtschaft reden. Europa ist ein Ideal, es geht um unsere Sicherheit und unser Zusammenleben." Jesse Klaver kann auch Leidenschaft.

Es geht um das Rentenalter

Bei der ersten öffentlichen Debatte von Premier Mark Rutte und acht anderen Parteiführern im Radio geht es dagegen eher bodenständig zu. Christdemokrat Sybrand Buma will die Wehrpflicht wieder einführen, weil die Eltern ihre Kinder nicht mehr richtig erziehen. Der Regierungschef wehrt ab - das wäre zu teuer und ist sowieso nicht nötig.

Der Vertreter der Partei "Ab 50" fordert mit Nachdruck, das Rentenalter wieder auf 65 Jahre zu senken. Auch das findet Mark Rutte zu teuer. Henk Krol hält dagegen, aber weil er mit falschen Zahlen operiert, verlor seine Partei in den Umfragen inzwischen die Hälfte ihrer Sitze. So etwas nehmen die Niederländer genau. Ansonsten wird über das Gesundheitssystem, den Arbeitsmarkt und befristete Verträge diskutiert. Dieser Trend beunruhigt die Menschen - wie überall in Europa. Der Ton ist zivilisiert und höflich. 

Ein Sieg von Wilders ist nicht sicher

Über allem jedoch schwebt wie ein Phantom der Mann mit den gelben Haaren. Geert Wilders ist kein starker Debattierer und weiß, dass er in Diskussionen mit Premier Rutte und den anderen nur verlieren könnte. Er hat alle öffentlichen Auftritte abgesagt, angeblich aus Sicherheitsbedenken. Der Rechtspopulist betreibt Meinungsmache nach US-Muster über Twitter, und ist zufrieden mit der enormen Aufmerksamkeit, die er allein für sein letztes kurzes Erscheinen im Rotterdamer Stadtteil Spijkenisse bekommen hat.

Da nannte er vor den Kameras der internationalen Presse Marokkaner Abschaum und wiederholte ansonsten seine bekannten Slogans: "Wir wollen den Holländern die Niederlande zurückgeben. (…) Sie haben bei den offenen Grenzen das Gefühl, den Schlüssel zu ihrer eigenen Haustür verloren zu haben. Das wollen wir ändern und die nationale Souveränität zurückholen (von der EU)". Geert Wilders lebt von der Provokation und hat darüber hinaus erkennbar von der Brexit-Kampagne gelernt. Derzeit allerdings sinkt sein Stern, die Umfragewerte fallen und Mark Rutte's Liberale sind an Wilders wieder vorbeigezogen. Ein Wahlsieg der PVV ("Partij voor de Vrijheid") ist also nicht sicher.

Für Unentschlossene – die Partei der Nicht-Stimmer?

Remco Rhee läuft wie ein Kreisel über den Museumsplein in Amsterdam. Er will an diesem Sonnabend so viele Leute wie möglich von der exzentrischsten Idee in der holländischen Politik überzeugen: Der Partei der Nicht-Stimmer. Rhee ist eine Kommunikationsbegabung, fast alle Passanten hören sich die Erklärungen von einer Partei an, die jeden errungenen Parlamentssitz garantiert frei lassen und auf keinen Fall irgendwie Politik machen will. "Das ist für Leute, die von der Politik hier frustriert sind und mit ihrer Stimme für uns ein Signal geben wollen, dass sie die Dinge ablehnen, wie sie laufen".

Remco Rhees
Remco Rhee kämpft für die Partei der Nicht-Wähler - er will Politikverdrossene ansprechenBild: DW/B. Wesel

Rhee will damit auch Protestwähler ansprechen, die vielleicht sonst für Wilders stimmen würden. Aber die Verneinung von Politik an sich durch Abwesenheit und leere Sitze im Parlament - das ist wohl eher ein philosophisches Konzept. Ein Zeichen aber für die zersplitterte Parteienlandschaft in den Niederlanden, wo früher der Konsens regierte, der heute kaum noch erreichbar scheint.