1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kritik an deutschen Löhnen

12. Dezember 2011

Nicht nur zu hohe Schulden der Griechen sind Schuld an der Eurokrise, sondern auch zu geringe Gehälter in Deutschland. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

https://p.dw.com/p/13RLl
Mopp wischt über feuchten Boden, Person spiegelt sich darin (Foto: AP)
Oft schlecht bezahlt: ReinigungskräfteBild: AP

Seit der Einführung des Euro sind die Arbeitskosten in keinem Mitgliedsland so wenig gewachsen wie in Deutschland. Um die drei Prozent jährlich waren es in den meisten Euro-Staaten, in einigen über vier, in Deutschland aber nur durchschnittlich 1,7 Prozent zwischen 2000 und 2010. Das, so die Konjunkturforscher der Hans-Böckler-Stiftung, habe zu einem gefährlichen Ungleichgewicht geführt.

Ein Grund für diese unterschiedliche Lohnentwicklung war die Zurückhaltung der deutschen Gewerkschaften, die beim Abbau der Massenarbeitslosigkeit helfen wollten. Sie haben sich damit begnügt, dass die Löhne ungefähr so stark stiegen wie die Produktivität der Unternehmen, wie der Konjunkturforscher Gustav Horn bei der Vorstellung einer Studie zu den deutschen Arbeitskosten im europäischen Vergleich ausführte.

Von wegen Hochlohnland

Weit stärker als in der Industrie aber seien die Löhne im Dienstleistungsbereich zurückgeblieben, wo häufig keine tarifvertraglich vereinbarten Löhne gezahlt werden. "Im Dienstleistungsbereich sind wir im Vergleich zu anderen Hochlohnländern ein absolutes Niedriglohnland", spitzt Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung zu. Da auch das produzierende Gewerbe viele Dienstleistungen beziehe, senkten billige Dienstleistungen auch die Kosten für die Industrie.

Gustv Horn (Foto: dpa)
Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und KonjunkturforschungBild: picture-alliance/dpa

Kostenvorteile für die Industrie auf der einen Seite, wenig Kaufkraft der Arbeitsnehmer auf der anderen - das führe dazu, dass Deutschland immer mehr exportiere, die Importe aber nicht im gleichen Maße zunähmen. Ein solches Ungleichgewicht in der Leistungsbilanz hätte früher durch eine Aufwertung der D-Mark ausgeglichen werden können, sagt Horn, aber im Euro-Raum gehe das nicht.

Der gewerkschaftsnahe Wirtschaftswissenschaftler warnt: "Man kann auf Dauer nicht immer wieder die Leistungsbilanz im Überschuss halten, weil das bedeutet, dass der Wohlstand, den man dadurch erwirbt, auf den Schulden der anderen basiert." Wie mittlerweile jeder wisse, gebe es eine "zumindest wahrgenommene Schuldengrenze, bei der die Märkte in tiefe Unsicherheit verfallen." Wenn die Schuldner als nicht mehr solvent angesehen würden, seien auch die Gläubiger betroffen. "Das was wir uns an Wohlstand über Leistungsbilanzüberschüsse erarbeitet haben, erweist sich als Illusion, ist nicht nachhaltig."

Forderungen an die Politik

Junge Friseurin schneidet jungem Mann die Haare (Foto: DW)
Friseure verdienen schlecht - auch ohne internationale KonkurrenzBild: DW / Victor Weitz

Das Argument von Unternehmerseite, wegen der Konkurrenz aufstrebender Schwellenländer sei Lohnzurückhaltung weiter notwendig, lässt Horn nicht gelten. Die Paradoxie dieser Argumentation sei, dass in Deutschland gerade in den Bereichen, die im harten Wettbewerb stehen, die Lohnzuwächse relativ hoch sind. In Bereichen dagegen, die gar nicht im internationalen Wettbewerb stehen - "ich glaube nicht, dass man nach Peking fliegt, um sich die Haare schneiden zu lassen" - sei der Lohndruck extrem stark.

Nach Ansicht von Horn sind deshalb auch weniger die Gewerkschaften gefragt als die Politik. Rund 40 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland seien tariffrei, hier werden keine zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelten Löhne bezahlt. Verbindliche Mindestlöhne und andere politische Maßnahmen könnten diesen Beschäftigten zu mehr Geld verhelfen. Das würde die Binnennachfrage in Deutschland erhöhen und damit die Ungleichgewichte in der Eurozone abbauen helfen.

Autor: Peter Stützle

Redaktion: Klaus Ulrich