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Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat

13. Oktober 2012

Die Welt erlebt eine der schlimmsten Dürreperioden seit langem. Das Essen wird für viele knapp. Wie gehen wir damit um? Renate Kirsch spricht darüber im Wort zum Sonntag für die evangelische Kirche.

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Renate Kirsch, Brannenburg am Inn
Renate KirschBild: Renate Kirsch

Die große Dürre – heute und im Ägypten zur Zeit von Josef

Wie mag der Maisbauer aus USA, den ich vor einigen Wochen im Fernsehen sah, Erntedank feiern? Das Bild ging mir nicht aus dem Kopf, als wir hier in Deutschland letzten Sonntag im Gottesdienst Erntedank feierten. Der Bauer hielt ganz verzweifelt einen Maiskolben in der Hand, der, wie er sagte, nur 50 Körner hatte, aber das Hundertfache hätte haben müssen. Die katastrophale Dürre in USA und anderen Teilen der Welt wird das Brot knapp und teuer machen.

Damals in Ägypten, als Josef dem Pharao den Traum von den prallen und den dürren Ähren deuten konnte, veranlasste er, Lagerhäuser zu bauen für den Überschuss in den sieben fetten Jahren. Das Volk sollte in den erwarteten Notzeiten nicht verhungern. Gelobt von Gott und den Menschen wurde Josef für seine kluge Vorsorge, nachzulesen im Alten Testament.

In unserer Zeit ist Lagerhäuserbau in den letzten Jahren bei Großbanken zur lohnenden Investition geworden, um weltweit Nahrungsmittel darin zu speichern, zu horten und verschwinden zu lassen. Josef teilte auf Geheiß des Pharao nach sieben Jahren das Korn an alle aus, die hungernd kamen. Die Banken spekulieren aber so lange mit den Nahrungsmitteln, bis genügend Mais- und Weizenbauer verzweifelt sind über ihre Missernten. Dann lassen sich satte Gewinne machen mit den steigenden Preisen oder anders gesagt: mit dem Hunger.

In einer Studie, die das katholische Hilfswerk Misereor zu diesem Thema in Auftrag gegeben hat, heißt es: „Wenn sich Investoren wie Heuschrecken auf Saatkörner stürzen, dann sorgen sie für schwankende und stark steigende Preise für Mais und Weizen – und verursachen dadurch mehr Hunger von Millionen Menschen.“ Dagegen muss weltweit protestiert werden. Viele junge Menschen tun das schon, die alten sollten sich anschließen, auch wenn ihnen die Art und Weise, wie die Jungen ihren Ärger, ihre Sorge, ihre Wut ausdrücken, nicht immer gefällt.

Jesus erzählt vom reichen Kornbauern

Die Geschichte vom kornspeichernden Josef aus der Jüdischen Bibel hat im Neuen Testament auf den ersten Blick eine Entsprechung. Aber wirklich nur auf den ersten Blick. Da erzählt Jesus die Geschichte vom reichen Kornbauern. Der hatte zur Zeit der Ernte keine tauben Ähren in der Hand. Die Felder trugen reichlich. Die Ernte war groß. Größer denn je. Die alten Scheunen reichten nicht mehr. Er musste sie abreißen und neue Lagerhäuser bauen, um alles Korn bergen zu können. Das machte ihn froh. Sehr froh. Und es beruhigte ihn so sehr, dass er zu sich sagen konnte: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut. (Lk 12,19) Und der gute Mut sollte ihm gewiss nicht nur vom Essen und Trinken kommen, sondern von einem guten Geschäft mit seinen Vorräten, vom gewinnbringenden Geschäft zur rechten Zeit. Die Zeit aber – an so etwas hatte der Bauer bei seinen Kalkulationen nicht gedacht – seine Zeit war abgelaufen. Aber Gott sprach zu ihm – heißt es in Jesu Geschichte – Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?

Das gute Leben

Was für eine merkwürdige, ja fast dreiste Geschichte! Ist denn Vorräte sammeln nach Meinung der Bibel Sünde und wird mit plötzlichem Tod bestraft? Nein, so nicht. Die Geschichte ist ein Gleichnis, setzt ein Ausrufezeichen für alle, die mit närrischer Gier ihren Lebensstandart immer mehr steigern möchten, ihre Gewinne maximieren ohne danach zu fragen, was für Folgen das für andere hat. Ohne Verantwortung. Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat. Das ist der Schlusssatz der Predigt Jesu über die Habgier. Das wirklich gute Leben haben wir nur miteinander und füreinander. In Gottesliebe und in Menschenliebe.

Zur Autorin:

Renate Kirsch (Jahrgang 1937) lebt in Oberbayern, in Brannenburg am Inn. Sie ist in Duisburg geboren und studierte Germanistik sowie evangelische Theologie und war dann als Deutsch- und v.a. als Religionslehrerin am Gymnasium tätig. Von 1988 bis 1992 sprach Renate Kirsch in der ARD das „Wort zum Sonntag“. Seit vielen Jahren ist sie in der kirchlichen Rundfunkarbeit, in der Erwachsenenbildung und beim Weltgebetstag der Frauen (jedes Jahr am 1. Freitag im März) tätig. Renate Kirsch ist mit einem Pfarrer verheiratet und sie haben drei mittlerweile erwachsene Kinder.