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"Neuanfang in engen Grenzen" für Nigeria

Uta Steinwehr11. November 2015

Fünf Monate nach Amtsantritt hat Präsident Buhari seine Minister vereidigt. Vor der neuen Regierung des westafrikanischen Landes liegen keine leichten Aufgaben, sagt Nigeria-Experte Heinrich Bergstresser.

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Nigerias neues Kabinett unter Präsident Buhari (Foto: next24online)
Gruppenfoto nach der Vereidigung des neuen KabinettsBild: picture-alliance/dpa/next24online

DW: Seit Ende Mai 2015 ist Nigerias Präsident Muhammadu Buhari im Amt. Aber erst Anfang Oktober verriet er die Namen einiger seiner zukünftigen Minister. Er selbst hat das Ressort für Öl inne. Jetzt erst hat er auch die anderen Ministerien verteilt und seine Regierung kann sich an die Arbeit machen. Warum hat er sich so lange Zeit gelassen?

Heinrich Bergstresser: Buhari glaubte wohl, er müsse genau schauen, um wirklich integere Personen mit absolut weißer Weste zu bekommen. Auf der Suche ist er sicher nicht so fündig geworden, wie er sich das vorgestellt hat. Am Ende hat er davon vielleicht ein Dutzend gefunden, er braucht aber mehrere Dutzend für sein Kabinett. Er musste Kompromisse machen und altbekannte Gesichter nominieren. Aber die wichtigsten Bereiche haben schon Personen inne, die ein gewisses Standing haben und noch nicht so vorbelastet sind wie die Personen, die schon bei seinem Vorgänger Goodluck Jonathan ins Amt gekommen sind.

In Nigeria gibt es immer wieder regionale Spannungen, vor allem zwischen dem Norden und dem Süden. Ist es Buhari gelungen, mit der Verteilung der Ministerien allen gerecht zu werden?

Soweit ich das erkennen kann, gibt es eine schöne Nord-Süd-Verteilung. An den Norden, wo Boko Haram tobt und den im Zentrum liegenden "Middle Belt", wo es riesige Sicherheitsprobleme gibt, hat er die Sicherheitsbereiche, also Ministerien für Militär, Polizei und Justiz vergeben. Das Ressort Justiz scheint mir das interessanteste zu sein, denn Buhari hat einen relativ jungen, hochqualifizierten Mann gefunden. Abubakar Malami wird die Aufgabe haben, die Antikorruptionskampange (eines der großen Wahlversprechens Buharis, Anm. d. Red.) zu leiten oder wenigstens einzuleiten. Um die Balance herzustellen, hat Buhari entschieden, alles, was mit Finanzen, Stadtentwicklung und Infrastruktur zu tun hat, an Personen aus dem Süden zu vergeben. In diesen Bereichen ist viel Geld im Spiel.

Heinrich Bergstresser (Foto: privat)
Heinrich BergstresserBild: privat

Der Verfassung zufolge muss Nigerias Präsident aus jedem der 36 Bundesstaaten plus der Hauptstadt Abuja einen Minister ernennen. Haben tatsächlich alle dieselbe Macht?

Nein, natürlich nicht. Darunter gibt es auch sogenannte Staatsminister. Die haben im Namen "Minister" stehen, haben aber nicht wirklich viel Einfluss. Nach außen wird gezeigt: Diese Personen oder Regionen haben wir berücksichtigt. Es sind eher Frühstücksdirektoren.

Ein sehr wichtiger Posten dagegen ist das Finanzministerium. Dafür hat Buhari die frühere Investmentbankerin Kemi Adeosun benannt. Was halten Sie von der Besetzung?

Damit hätte ich nicht gerechnet. Sie war Finanzkommissarin im Süden, im Bundesstaat Ogun. Das ist sicherlich keine Qualifikation für so ein wichtiges Amt. Ihre Vorgängerin war immerhin bei der Weltbank. Das ist wirklich eine Überraschung, aber Überraschungen können ja auch manchmal positiv sein.

Der frühere Gouverneur des Bundesstaates Lagos, Babatunde Fashola, bekommt ebenfalls ein wichtiges Ministerium, das für Energie, Arbeit und Wohnen. Eine gute Wahl für Sie?

Er ist einer der Menschen, die als besonders integer betrachtet werden. Die Entwicklung in den meisten Städten in Nigeria ist katastrophal. Lagos ist ein Vorbild geworden, wofür Fashola verantwortlich ist. Das Amt ist ein Lob dafür, wie stark er Lagos in acht Jahren verändert hat. Ich bin gespannt, ob er der Erwartung gerecht wird, weil in dem Ministerium sehr viel Geld vorhanden ist. Baumaßnahmen im größeren Stil versanden häufig in Nigeria. Da wird von ihm schon einiges verlangt.

Nigeria Babatunde Fashola (Foto: PIUS UTOMI EKPEI/AFP/Getty Images)
Babatunde Fashola ist Nigerias neuer Minister für Energie, Arbeit und WohnenBild: Getty Images/AFP/P. Utomi

Es gibt unter anderem eine Umweltministerin, eine Finanzministerin. Das Finanz- und Wirtschaftsministerium war schon von 2003 bis 2006 und seit 2011 mit einer Frau besetzt. Welche Rolle haben Frauen als Ministerinnen in Nigeria?

Grundsätzlich gilt in vielen afrikanischen Staaten, dass Frauen besser mit Geld umgehen können. Da ist viel Wahres dran. In Nigeria kann man das besonders in der gehobenen Managerebene sehen. Frauen sind von jeher Teil der Eliten. Viele Frauen sind als Geschäftsfrauen reich geworden. Dadurch ist es letztendlich nicht mehr so überraschend, dass Frauen in wichtigen Positionen arbeiten. Ihnen werden gerne sensible Ämter wie Finanzen und Budgetplanung in die Hände gelegt.

Einen Tag vor der Kabinettsbildung hat Buhari fast 20 Ministerialräte, die den Ministern zuarbeiten, entlassen. Was bedeutet dieser Schritt?

Das war eine taktische Meisterleistung. Soweit ich es beurteilen kann, kam das recht unvorbereitet. Es ist ein Versuch, die alten Seilschaften zu kappen und der enormen Korruption Grenzen zu zeigen. Diese Positionen hat er kurzfristig mit Personen aus dem nichtstaatlichen Bereich besetzt. Die entlassenen Beamten müssen fürchten, vor Gericht gestellt zu werden. Ohne sie wäre die Korruption in einigen Ministerien nicht möglich gewesen.

Nigeria Kabinett Muhammadu Buhari Präsident (Foto: Reuters/A.Sotunde)
Das neue Kabinett bei der Vereidigung in AbujaBild: Reuters/A.Sotunde

Wenn Sie die Liste der neuen Minister und Ministerinnen sehen: Lässt sich von Buharis Amtszeit der erhoffte Neuanfang für Nigeria erwarten?

Wir müssen vorsichtig und zurückhaltend sein, es ist ein Neuanfang in engen Grenzen. Es ist weiter möglich, sich legal im Land zu bereichern. Parlamentarier verdienen viel Geld, die Gouverneure haben Zugang zu den Finanzen, über den Erdöl- und Erdgassektor. Der Neuanfang besteht darin, die Plünderung der Staatskasse der letzten Jahre zu beenden, kleine Fortschritte in Richtung Entwicklung und Deregulierung der Wirtschaft zu machen und die Infrastruktur nach vorne zu bringen. Und auch darin, ein bisschen Optimismus zu verbreiten, weil das Land so daniederliegt. Nicht nur wegen Boko Haram, sondern auch wegen der übrigen Sicherheitslage im Land mit schwerer Kriminalität. Wenn sich die Sicherheitslage verbessert, schauen die Leute wieder nach vorne, spucken in die Hände und sagen "Wir können es doch".

Heinrich Bergstresser ist Journalist, Nigeria-Experte und ehemaliger Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Nigeria.

Das Interview führte Uta Steinwehr