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Schiiten in Nigeria

Friederike Müller-Jung2. Dezember 2015

Weltweit feiern Millionen schiitische Muslime in diesen Tagen das Gedenkfest Arbain. In Nigeria versammeln sich Gläubige aus ganz Westafrika. Unter akuter Terrorgefahr organisieren sie ihren eigenen Pilgermarsch.

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Ein schiitischer Muslim mit geschlossenen Augen, Foto: A. Abubakar/AFP/Getty Images
Bild: A. Abubakar/AFP/Getty Images

Sie kommen aus dem Norden Nigerias, aus Ghana, Tschad, Kamerun, Benin und Togo. Ganz in schwarz gekleidet pilgern sie viele Tage in großen Gruppen. Ihr Ziel: Die Stadt Zaria im nigerianischen Bundesstaat Kaduna. Dort wird ihr Anführer Ibrahim Al Zakzaky am Donnerstag eine große Ansprache halten.

Der Ursprung des Festes geht Jahrhunderte zurück. Die Anhänger der schiitischen Ausrichtung des Islam gedenken des Imams Hussein. Der Enkel des Propheten Mohammed starb im siebten Jahrhundert in einem Kampf in Kerbela im heutigen Irak. Dort - an seinem Grab - versammeln sich jedes Jahr Millionen Schiiten zum Gedenkfest Arbain. Das Fest beendet traditionell die 40-tägige Trauer für den verehrten Imam. "Für Schiiten ist es das zentrale rituelle Ereignis im Jahr, so wie Weihnachten für Christen", erklärt Roman Loimeier. Als Professor an der Universität Göttingen forscht er zu muslimischen Gesellschaften in Afrika.

Für die Schiiten aus Westafrika ist Kerbela weit weg. Sie pilgern stattdessen nach Zaria in Nordnigeria. Einer von ihnen ist Mohammed Mukhtar Sahabi, der Vorsitzende der schiitischen Bewegung im nigerianischen Kaduna. Er ist froh, dass er dabei sein kann: "Wir danken Gott dafür, dass wir zu der Generation gehören, die Imam Hussein lieben, die um ihn weinen und seinen Tod nachempfinden." Hussein sei mit seiner Familie unterwegs gewesen, als er getötet wurde. "Wir tun jetzt dasselbe, wir sind mit unseren Familien und unseren Kindern auf der Prozession."

Schiiten in Westafrika: noch ein junges Phänomen

Schiiten wie Mohammed Mukhtar Sahabi machen in Westafrika nur einen kleinen Teil der Muslime aus. Die meisten dort sind Sunniten. Auch weltweit stellen die Anhänger dieser Glaubensrichtung mehr als 80 Prozent der Muslime. In Nigeria schätzt Roman Loimeier von der Universität Göttingen den Anteil der Schiiten sogar auf weniger als ein Prozent. Die schiitische Bewegung sei in dieser Region noch jung und habe dort keine historische Tradition: "Die Präsenz der Schiiten lässt sich mit der iranischen Revolution von 1978/1979 erklären, die in Westafrika unter Muslimen für viel Furore gesorgt hat", so Loimeier. Er erzählt auch, dass Al Zakzaky, der religiöse Führer der Schiiten in Nigeria, damals von der Revolution im Iran begeistert gewesen sei und sich lange selbst dort aufgehalten habe.

"Aus solchen Kontakten mit dem Iran sind dann in den 1980er Jahren sowohl in Nordnigeria als auch in anderen Teilen Westafrikas erste Pro-Iranische und dann auch schiitische Gruppierungen hervorgegangen", sagt Loimeier. So auch die 'Islamic Movement in Nigeria', ein Zusammenschluss von Muslimen, dem hauptsächlich Schiiten angehören und den Al Zakzaky anführt.

Schiitische Muslime - alle in schwarz gekleidet - bei einer Demonstration, Foto: A. Abubakar/AFP/Getty Images
Schiitische Gläubige am vergangenen Freitag bei einer Prozession in dem Dorf Daksoye: Am gleichen Tag sprengt sich ein Attentäter in der Menge in die Luft und reißt zahlreiche Menschen in den TodBild: A. Abubakar/AFP/Getty Images

Die schiitische Gruppe in Nigeria ist laut Loimeier die stärkste in Westafrika - mit mehreren Zehntausend Schiiten. Die Entwicklungen dort beeinflussten auch andere Länder wie Ghana oder Senegal.

Anschlag auf schiitische Pilger

Am vergangenen Freitag überschattete ein Selbstmordanschlag die Pilgerreisen: Ein Attentäter, ebenfalls in schwarz gekleidet, rannte in der Nähe der Stadt Kano in die Menschenmenge und zündete einen Sprengstoffgürtel. 22 Menschen starben, ein weiterer mutmaßlicher Attentäter konnte gefasst werden. Die Terrorgruppe Boko Haram bekannte sich zu dem Anschlag. Sie habe die Schiiten in Nigeria offiziell zu ihrem Feind erklärt, sagt Roman Loimeier von der Universität Göttingen.

"Die Muslime in Subsahara Afrika, insbesondere in Westafrika, haben keine historische Erfahrung im Zusammenleben mit Schiiten", sagt Loimeier. Daher sähen sie die Entwicklung dieser schiitischen Bewegung als extrem provokant und problematisch, weil viele ihrer Rituale von sunnitischen Muslimen als Beleidigung angesehen würden. Das erkläre auch die erbitterten Auseinandersetzungen und Aggressionen zwischen der noch kleinen schiitischen Bewegung und der sunnitischen Mehrheit. Trotzdem müsse man differenzieren: "Es gibt innerhalb der sunnitischen Gruppierungen durchaus Gruppen, die keine wesentlichen Probleme mit den Schiiten haben", so Loimeier. "Aber insbesondere die radikaleren, salafistisch orientierten Bewegungen haben die Schiiten zu ihrem besonders wichtigen Feind auserkoren - nicht nur in Nordnigeria, sondern auch in anderen Teilen der islamischen Welt."

Eine Straße in Zaria nach einem Attentat, Foto: dpa
Zaria war schon häufiger Zielscheibe von Selbstmordattentätern. So auch im Juli dieses JahresBild: picture-alliance/dpa/Stringer

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen, motivierte Pilger

Doch die Schiiten in Nigeria haben noch mehr Feinde: "Die Gruppe von Ibrahim Al Zakzaky steht unter Beschuss von vielen Seiten", sagt Loimeier. "Boko Haram ist lediglich der radikalste Gegner." Weitere Gegner seien gemäßigtere salafistisch orientierte Gruppen, aber auch der nigerianische Staat, der Al Zakzaky in der Vergangenheit häufig verhaftet und eingesperrt habe. Unter der aktuellen Regierung von Präsident Muhammadu Buhari scheint das jedoch anders: Die Schiiten stellen sogar einen Minister im nigerianischen Kabinett.

Die Pilger in Nordnigeria lassen sich von dem Anschlag am vergangenen Freitag nicht abhalten. Sie setzen ihren Marsch fort und freuen sich auf die Ansprache ihres Anführers im Zaria am Donnerstag. Beobachter berichten sogar, dass sich aus Solidarität noch mehr Menschen auf den Weg nach Zaria machten. Auch Mitglieder anderer Glaubensrichtungen schließen sich an, so wie der christliche Pfarrer Ioanna YD Buru. Seine Stiftung für Frieden und Versöhnung, die Peace and Reconciliation Foundation, setzt sich für ein friedliches Miteinander von Menschen verschiedener Glaubensrichtungen ein. Und genau das will er hier zeigen: "Ich möchte eine Brücke zwischen Muslimen und Christen bauen", sagt er. Deswegen läuft er mit den Schiiten mit und versorgt sie unterwegs mit Wasser. "In der Bibel steht: Wenn dein Bruder weint, weine mit ihm. Und wenn er feiert, feiere mit ihm."

Die Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft. Mallam Abdulmumini Giwa, ein Sprecher der Islamic Movement in Nigiera, hat Vertrauen: Beim letzten Angriff habe man einen der Angreifer ja sogar gefasst, bevor er die Bombe zünden konnte. Und die zweite Bombe wäre erst losgegangen, als schon ermittelt wurde. "Unser Sicherheitssystem funktioniert also."

Mitarbeit: Ibrahima Yakubu