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Nigerianer fordern Gespräche mit Boko Haram

Thomas Mösch21. Mai 2014

Wieder Terror, wieder Tote: Die Anschläge in Nigeria belasten das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Muslimen und Christen im Land. Einige sind überzeugt: Man muss mit Boko Haram reden.

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Anschlag in Jos, Nigeria (Foto: AP)
Bild: picture alliance / AP Photo

Erst das Christen-Viertel von Kano, dann der Markt in Jos und das Dorf Shawa - auch die jüngsten Anschläge in Nigeria tragen die Handschrift der islamistischen Sekte Boko Haram. Viele Menschen fürchten, dass die Terroristen wieder verstärkt das Ziel verfolgen, Christen und Muslime im Land gegeneinander aufzuhetzen - und damit das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen beiden Bevölkerungsgruppen zu zerstören.

Pastor Yohanna Buro aus der nordnigerianischen Großstadt Kaduna sieht die gegenseitigen Ängste bereits wachsen. Im gleichnamigen Bundesstaat bilden Christen und Muslime je rund die Hälfte der Bevölkerung. "Der Muslim beschuldigt den Christen, Teil einer jüdisch-christlichen Verschwörung gegen die in Nordnigeria dominierenden muslimischen Haussa-Fulani zu sein. Der Christ beschuldigt den Muslim, ihn aus dem Norden Nigerias vertreiben zu wollen", beobachtet Buro. Er fordert deshalb die Zentralregierung in Abuja auf, so schnell wie möglich mit Boko Haram zu verhandeln.

Vermitteln zwischen Regierung und Boko Haram

Ähnlich sehen das auch Pastor James Wuye und Imam Muhammad Ashafa. Die beiden Geistlichen haben wesentlich dazu beigetragen, dass Kaduna heute ein Zentrum des interreligiösen Dialogs in Nigeria ist. In Zeiten politischer Spannungen haben sich Angehörige beider Religionen hier immer wieder schwere Kämpfe geliefert, mehre tausend Menschen wurden dabei im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts getötet. In der Folge dieser Kämpfe waren auch die einstigen Todfeinde Pastor Wuye und Imam Ashafa zu der Erkenntnis gekommen, dass sie ihren Hass begraben und zusammen für den Frieden arbeiten müssen. 2013 erhielten sie für ihr Engagement den Deutschen Afrika-Preis.

Die Gründer des "Interfaith Mediation Centre" in Kaduna. (Foto: Katrin Gänsler)
Pastor James Wuye und Imam Muhammad AshafaBild: Katrin Gänsler

Ashafa und Wuye kritisieren, dass die Regierung nie ernsthaft versucht habe, mit Boko Haram zu verhandeln. "Es gibt Persönlichkeiten, die beide Seiten als neutral wahrnehmen und die Gespräche führen könnten", ist James Wuye überzeugt. Auch er und seine Kollegen vom "Interfaith Mediation Center" seien bereit, eine Vermittlerrolle zu übernehmen.

"Boko Harams Anführer Abubakar Shekau hat doch mehrfach Forderungen gestellt. Diese können Ausgangspunkt für Gespräche sein", erklärt Muhammad Ashafa. Shekau verlangte etwa eine Aufarbeitung des Todes von Mohammed Yusuf. Der Gründer von Boko Haram starb 2009 nach seiner Verhaftung durch die Polizei. Außerdem forderte die Gruppe wiederholt Entschädigungszahlungen an Angehörige von getöteten mutmaßlichen Boko-Haram-Kämpfern. Auch das Video mit den Mitte April entführten Mädchen, in dem Shekau einen Austausch gegen gefangene Terrorkämpfer anbot, zeige, dass die Gruppe zu Gesprächen bereit sei.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Die offiziellen Verbände der Christen und Muslime in Nigeria, deren Büros für den Norden des Landes sich ebenfalls in Kaduna befinden, sind dagegen mehr mit gegenseitigen Schuldzuweisungen beschäftigt. Ein führender Vertreter der "Christlichen Vereinigung Nigerias" (CAN) möchte es zwar nicht öffentlich sagen, aber er ist überzeugt: "Boko Haram ist Teil der Strategie, die Christen aus Nordnigeria zu vertreiben." Einwände, dass auch viele Muslime Opfer des Terrors seien, lässt er nicht gelten. Die radikale Denkschule des Islam, der Abubakar Shekau angehöre, lasse solche Morde im Interesse des geheiligten Zieles zu, so der christliche Funktionär.

Anführer von Boko Haram in Nigeria. (Foto: AP)
Boko Harams Anführer, Abubakar ShekauBild: picture alliance/AP Photo

Bayero Abdullah vom "Obersten Rat für das Islamische Recht" sieht vor allem die Politiker in der Verantwortung. "Krisen in diesem Land werden von Politikern immer wieder religiös instrumentalisiert", kritisiert er. Die Schuld er vor allem dem Umfeld des christlichen Präsidenten Goodluck Jonathan. Auch das Ausland habe seine Finger im Spiel, mutmaßt Abdullah. Wie viele muslimische Nigerianer verweist er auf die angebliche Aussage von US-Geheimdiensten, der nigerianische Staat werde 2015 zerfallen. Ausländische Kräfte würden nun daran arbeiten, dass diese Vorhersage eintrete, so eine weit verbreitete These. Belege gibt es nicht, lediglich Warnungen von US-Experten bei einer Tagung im Jahr 2005.

"Bring back our girls" lässt hoffen

Pastor James Wuye fordert auch die offiziellen Verbände der Religionsgemeinschaften auf, ihre Worte zu mäßigen. Hoffnungen setzen er und seine Mitstreiter auf die Kampagne zur Freilassung der entführten Mädchen, die Nigerianer aus allen Landesteilen zusammengeführt hat. In Kaduna hat die Frauenrechtlerin Hafsat Mohammed Baba die Aktionen unter dem Motto "Bring back our Girls" angeschoben. "Wir müssen zusammenarbeiten", betont Baba,"denn der Terror betrifft Muslime und Christen gleichermaßen". Sie sieht die Netzwerke der Dialogbereiten als stark genug an, um die aktuelle Herausforderung zu meistern. "Mit Hilfe der sozialen Netzwerke und der Medien können wir die Öffentlichkeit darüber aufklären, dass politische und religiöse Zugehörigkeit außen vor bleiben müssen, wenn es um das Leben von Menschen geht", ist Baba überzeugt.

Hafsat Mohammed Baba ist eine Frauenrechtlerin und Politikerin in Kaduna/Nigeria. (Foto: Thomas Mösch)
Hafsat Mohammed Baba hat die Aktion "Bring back our Girls" gestartetBild: DW/T. Mösch