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Nigerias Erziehungsinsel

13. Juli 2009

Die "Area-Boys" gelten in Nigeria als Herumtreiber und kleine Erpresser. Zur Besserung schickt die Regierung sie nun nach Tekunle Island, auf eine einsame Mini-Insel. Hier sollen sie einen neuen Anfang finden.

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Ajao Olabode, Leiter von Tekunle Island (Foto: Katrin Gänsler)
Ajao Olabode, Leiter von Tekunle IslandBild: Katrin Gänsler

Der Weg nach Tekunle Island ist beschwerlich. Schon alleine die Fahrt durch das chaotische Lagos dauert Stunden. Fast am Ziel angekommen, steht nur ein altes, wackeliges Boot zur Verfügung, um die kleine Insel überhaupt zu erreichen. 20 Minuten dauert die Überfahrt, bei der sich das Boot immer wieder seinen Weg durch das Schilf kämpfen muss. Dann endlich steht auf einem Schild am Ufer "Rehabilitation and Skill Acquisition Centre".

Tekunle-Island
Schwierige Überfahrt nach Tekunle IslandBild: Katrin Gänsler

Die Besserungsanstalt für einstige Area-Boys ist von Stacheldraht umgeben, eine Flucht scheint unmöglich. Der 24-jährige Babatunde hat es gar nicht erst versucht. Seit 15 Monaten lebt er hier und sagt über die Insel: "Es ist in Ordnung." Trotzdem hofft er, bald wieder nach Lagos zurückkehren zu können. 15 Monate sind eine lange Zeit, in der er viel gelernt hat. "In Lagos war ich Student, doch dann habe ich angefangen zu trinken", sagt er. Er landete auf Straße, schlug sich durch, bis seine Mutter keinen anderen Ausweg mehr sah: Sie brachte ihn nach Tekunle Island.

Rauer Alltag auf der Straße

Das Leben der meisten Area-Boys in Lagos ist ausweglos. Wie viele es in den Straßen gibt, weiß niemand genau. Einige Schätzungen gehen davon aus, dass es Zehntausende sind. Oft sorgen sie für ein mulmiges Gefühl, wenn nicht gar für Angst. Denn neben kleinen Diebstählen halten sie Busse und Taxen an und lassen diese nur gegen Bargeld weiter fahren.

Busbahnhof Lagos (Foto: Katrin Gänsler)
Hochburg der Area-Boys in Lagos: Der Busbahnhof von OshodiBild: Katrin Gänsler

Babatunde war einer von ihnen. Damit er später in Lagos nicht wieder Busfahrer erpressen und sich mit kleinen Jobs durchschlagen muss, macht er auf Tekunle Island eine Frisörausbildung.

Viel Lob für Tekunle Island

Das ganze Jahr über leben rund 100 einstige Area-Boys auf der Insel. Sie sind in engen Schlafsälen untergebracht und haben einen streng durchgeplanten Tagesablauf. "Wir stehen um 5.30 Uhr auf. Wir gehen zum Morgengebet, frühstücken und dann haben wir Unterricht. Gegen 16 Uhr ist Zeit für eine Siesta“, erzählt der 25-jährige Tokwe, der Schneider wird. Der schmächtige Mann lobt seine Erzieher. Es fällt kein einziges Wort der Kritik. "Ich möchte hier niemanden enttäuschen, auch die Regierung nicht", sagt Tokwe. Denn die finanziere das Programm schließlich.

Schlafsaal auf Tekunle Island (Foto: Katrin Gänsler)
Kaum Privatsphäre: Schlafsaal auf Tekunle IslandBild: Katrin Gänsler

Wie viel die Regierung allerdings jeden Monat für Tekunle Island ausgibt, sagt niemand. Ajao Olabode, der Leiter des Zentrums, hüllt sich in Schweigen. Neben den 100 Plätzen müssen auch mehr als 30 Angestellte, darunter Lehrer, Köche, Wachpersonal und Mitarbeiter der kleinen Krankenstation, bezahlt werden. Im Moment ist sogar eine Erweiterung im Gespräch. "Wir haben mehr Anfragen als Plätze", erklärt Olabode.

Grund dafür sei der gute Ruf, den sich die Einrichtung in den ersten Monaten erarbeitet hat. So werden nur noch 40 Prozent der jungen Männer von der Polizei geschickt, die restlichen 60 Prozent aber von ihren Eltern. Alhaji Kidivi gehört zu diesen Eltern. Gerade hat er mit seiner Frau den Sohn besucht. "Das Angebot ist gut", sagt der grauhaarige Mann. Ganz besonders froh ist er, dass es kostenlos ist. Denn Geld hätte die Familie nicht dafür zahlen können. Der alte Mann strahlt, als er am Festland wieder aus dem Boot steigt. "Mein Sohn hat schon viel gelernt. Es ist eine große Verbesserung."

Autorin: Katrin Gänsler

Redaktion: Christine Harjes