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Nigerias hartes Entzugsprogramm

Jan-Philipp Scholz, Lagos27. Mai 2016

Präsident Muhammadu Buhari hat noch keine Lösung für Nigerias drängendstes Wirtschaftsproblem gefunden: seine Abhängigkeit vom Rohöl. Dabei könnte er nach einem Jahr Amtszeit das Wohlwollen der Nigerianer bald verlieren.

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Nigeria Präsident Muhammadu Buhari - Plakate werben für seine Politik (Foto: DW)
Bild: DW/K. Gänsler

Lekan Sunmola ist - so wie viele Nigerianer - ein geduldiger Mensch. Und er ist höflich. Erst einmal lobt er die zahlreichen Errungenschaften des nigerianischen Staatschefs, der dieser Tage sein einjähriges Amtsjubiläum feiert. Muhammadu Buhari sei ein durch und durch integrer Präsident. Im Gegensatz zu so vielen anderen nigerianischen Politikern nehme er die Bekämpfung der Korruption ernst. Und auch im Kampf gegen Boko Haram sei er auf gutem Weg, sein Wahlkampfversprechen einzulösen und die Terrorgruppe zu zerschlagen, die in den vergangenen Jahren vor allem im Nordosten Nigerias gewütet hat.

Erst dann kommt er auf seine eigenen Probleme zu sprechen. Und die sind massiv: "Momentan weiß ich nicht mehr, wie ich meine Miete zahlen soll", so der 33-Jährige. Sein Vermieter werde von Tag zu Tag bedrohlicher. Im schlimmsten Fall folge der Rauswurf und Sunmola stünde mit seiner Frau und seinen zwei Kindern auf der Straße.

Benzinpreiserhöhung über Nacht

Dabei sah vor einem Jahr alles noch so gut aus. Der Taxifahrer hatte sich gerade ein neues Auto gekauft. Fünfzehn Jahre alt zwar, aber mit Klimaanlage und bequemen Ledersitzen für seine Kundschaft. Doch dann kam die Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit stieg, Lebensmittelpreise verdoppelten sich und vor ein paar Tagen dann auch noch die Hiobsbotschaft für ihn als Taxifahrer: Die Regierung kann sich die massiven Benzinsubventionen nicht mehr leisten. Der Preis für einen Liter Treibstoff stieg ohne Vorwarnung über Nacht um 80 Prozent auf rund 70 Cent an.

Nigeria Präsident Buhari empfängt befreites Schulmädchen Amina Ali (Foto: AFP/Getty Images)
Lichtblick im Kampf gegen den Terror: Präsident Buhari empfängt eines der befreiten Schulmädchen von ChibokBild: Getty Images/AFP/Stringer

Lekan Sunmola rechnet vor, was das für ihn bedeutet: "Wenn ich früher einen Job für 20 Euro hatte, musste ich vielleicht für fünf Euro tanken gehen. Jetzt sind es fast zehn Euro." Seine Preise anheben könne er nicht, denn immer weniger Kunden könnten sich überhaupt noch ein Taxi leisten. Wahrscheinlich, so Sunmola, sei das das Ende für seinen Job.

Wirtschaftsexperte Marc Lucassen kann die Verängstigung der Menschen gut verstehen. Doch in diesem Fall versteht er die Entscheidung der nigerianischen Regierung. Unterstützt worden ist die Einfuhr von Benzin - in ein Land, das fast vollständig von Rohölexporten abhängig sei und seit langem versuche, mehr Öl selbst zu raffinieren. Da gebe die Subventionierung von Benzinimporten völlig falsche Anreize. "Aus ökonomischer Perspektive kann das viele Geld, dass bisher in die Subventionen floss, sicherlich in anderen Bereichen intelligenter ausgegeben werden", so der Leiter der Deutschen Auslandshandelskammer in Nigeria.

Abschottung statt Diversifizierung

Die eigentlichen wirtschaftspolitischen Fehler von Präsident Buhari sehen die meisten Experten in einem anderen Bereich. Nigerias Staatseinnahmen sind noch immer zu 70 Prozent von Öleinnahmen abhängig. Der Preisabsturz - heute kostet ein Barrel Rohöl nur noch etwa halb so viel wie vor zwei Jahren - hätte das westafrikanische Land kaum härter treffen können. Doch anstatt konsequent eine Diversifizierung der Wirtschaft voranzutreiben, setzte Präsident Buhari bisher vor allem auf eine ökonomische Abschottungspolitik.

Karikatur zu Buhari ein Jahr im Amt (Foto: DW)
"Ach Nigeria, der Weg ist noch ganz schön lang!" sagt Buhari. Die Schilder weisen den Weg: Boko Haram, Niger-Delta, Benzinpreis, Entführungen, Betrug, Raubüberfälle, die Oppositionspartei PDP...Bild: DW

So weigerte sich der Präsident bis zuletzt beharrlich, die unter starken Druck geratene nigerianische Währung, den Naira, abzuwerten. Mehrfach betonte er in Interviews, das werde die Währung "töten" und die Inflation in die Höhe treiben. Zudem setzt seine Regierung auf eine restriktive Devisenpolitik, die es für viele in Nigeria tätige Firmen so gut wie unmöglich macht, offiziell an US-Dollars, Euros und andere Fremdwährungen zu kommen. "Die Regierung hat auf die Krise - das heißt vor allem auf den Ölpreisverfall - in einer Weise reagiert, die nicht immer unbedingt im Einklang mit den Interessen der ausländischen Investoren steht," fasst es Marc Lucassen, der Chef der Deutschen Auslandshandelskammer diplomatisch zusammen.

Standhaftigkeit wird zu Starrsinn

Arukaino Umukoro teilt die Kritik des deutschen Wirtschaftsvertreters. Der politische Korrespondent der nigerianischen Tageszeitung Punch beobachtet eine zunehmende wirtschaftspolitische Orientierungslosigkeit der Buhari-Regierung. Der Präsident habe in seinem Wahlkampf vor allem auf die Themen Korruptionsbekämpfung und innere Sicherheit gesetzt. Dafür lasse er sich - zu Recht - auf seinen zahlreichen Auslandsreisen feiern. Für die immer stärker werdende heimische Wirtschaftskrise habe er jedoch bisher kein Rezept gefunden.

"In dieser Hinsicht kam die Regierung völlig unvorbereitet ins Amt", so der Journalist. "Eine ernsthafte Regierung sollte doch so etwas wie einen strategischen Plan vorlegen können." Buhari aber habe mehr als ein halbes Jahr gebraucht, um überhaupt Minister zu ernennen, und damit bereits viele potenzielle Investoren vergrault, so Umukoro.

Nigeria, Port Harcourt: Arbeiter auf Plattform zur Ölförderung (Foto: AFP/Getty Images)
Wirtschaftliche Abhängigkeit: Nigeria ist auf Rohölexporte angewiesenBild: Getty Images/AFP/P. Utomi Ekpei

Einige politische Beobachter fürchten bereits, dass Buharis Standhaftigkeit - genau die Eigenschaft also, die ihn so erfolgreich im Kampf gegen die Korruption macht - ihm auf wirtschaftlichem Gebiet zum Verhängnis wird. Denn hier könnte sie zu Starrsinn werden. "Ich weiß nicht, inwieweit er auf seine Berater hört - und wenn, ob sie sich überhaupt trauen, ihm die Wahrheit zu sagen", so Umukoro.

Flucht ins Ausland

Der deutsche Auslandshandelsvertreter Lucassen ist da optimistischer: "Ich glaube, die Regierung beginnt zu verstehen, dass ihre restriktive Devisenpolitik genau die Zielgruppe verschreckt, die die gewünschte Diversifizierung der Wirtschaft vorantreiben kann: die ausländischen Investoren", so Lucassen. Und in der Tat: Vor wenigen Tage erklärte Nigerias Zentralbankchef Godwin Emefiele etwas nebulös, man ziehe "mehr Flexibilität auf dem Devisenmarkt" in Betracht - und versprach mehr Details in den nächsten Wochen.

Taxifahrer Lekan Sunmola hat unterdessen bereits andere Pläne. Er will auswandern. "Ich habe es schon mit Freunden und Verwandten besprochen. Sie wollen mich dabei unterstützen”, erzählt der Familienvater. Er habe lange genug darauf gewartet, dass seine Bereitschaft, hart zu arbeiten, in seiner Heimat anerkannt werde. "Vielleicht finde ich ja ein Land, dass meine Fähigkeiten mehr zu schätzen weiß."