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Nigerias zweitgrößte Stadt unter Schock

21. Januar 2012

Die islamistische Terror-Gruppe Boko Haram hat sich zu der Serie von Anschlägen auf staatliche Einrichtungen in der nigerianischen Metropole Kano bekannt. Inzwischen ist von über hundert Toten die Rede.

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Das Polizeihauptquartier vopn Kano in Flammen Foto: Stringer
Bild: Reuters

Der Samstag (21.01.2012) in der Neun-Millionen-Einwohner-Stadt Kano war geprägt von gespenstischer Ruhe. Die Behörden hatten sofort nach den Anschlägen eine Ausgangssperre verhängt. Trotzdem soll es noch bis in den frühen Morgen hier und da Schießereien zwischen Terroristen und Sicherheitskräften gegeben haben. Nun kontrollieren Militär und Polizei die Straßen. Vereinzelt gelingt es Bewohnern dennoch, sich zu Leichenhallen und Krankenhäusern durchzuschlagen.

Krankenwagen vor einer Leichenhalle Foto: Stringer
Für viele Opfer kam jede Hilfe zu spätBild: Reuters

Einer von ihnen ist, ein junger Mann, der seinen vermissten Bruder im Murtala-Krankenhaus sucht: "So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen", sagte er einem DW-Reporter. "Im Stadtteil Rimi habe ich seit 6.30 Uhr heute morgen die Polizeifahrzeuge gesehen, die Opfer der Anschläge abtransportierten." Wie viele Leichen es waren, wusste dieser Zeuge nicht. Die Polizei sprach am Freitagabend zunächst von nur sieben Toten. Im Laufe des Samstags meldeten Nachrichtenagenturen und Korrespondenten ständig steigende Opferzahlen. Inzwischen ist von über Hundert Toten die Rede

Chaos auf den Straßen

Es war gegen 17 Uhr am Freitagabend, als mehrere Explosionen die nordnigerianische Metropole erschütterten. Faruk Dalhatu, Direktor des DW-Partnersenders und größten Privatradios in der Region "Freedom Radio" war gerade nach Hause gekommen: "Ich habe die erste Explosion gehört und kurz darauf erfahren, dass es ein Anschlag auf die Regionaldirektion der Polizei war."

Ein ausgebranntes Autowrack an einem der Anschlagsorte in Kano Foto: Aminu Abubakar (AFP)
Kano am Tag nach der AnschlagsserieBild: picture-alliance/dpa

Frank Roger, Leiter der Außenstelle des Goethe-Instituts in Kano, war noch in der Stadt unterwegs, als er von den Anschlägen erfuhr: "Ich habe mich sofort in mein Auto gesetzt und wollte nach Hause." Viele andere hatten dieselbe Idee und so fand sich Roger in einem drei-spurigen Stau wider: "Es war Chaos, auch zu Fuß versuchten die Leute die betroffenen Stadtteile zu verlassen. Aber die Menschen haben trotzdem Rücksicht aufeinander genommen." Dann hörte Roger auch selbst Explosionen: "Die waren so stark, dass trotz der Entfernung die Autos wackelten." Auch Rauchwolken seien zu sehen gewesen.

Die Polizeiführung in Nigerias Hauptstadt Abuja teilte später mit, dass acht staatliche Einrichtungen mit Bomben und Schusswaffen angegriffen worden seien, darunter das regionale Hauptquartier der Polizei, der örtliche Sitz des Geheimdienstes und das Büro der Ausländerbehörde.

Kano bislang nicht im Fadenkreuz von Terroristen

Noch am Freitagabend bekannte sich ein Sprecher der Terror-Gruppe Boko Haram ("moderne Bildung ist verboten") telefonisch zu den Angriffen. Er begründete die Angriffe mit den Verhaftungen von Boko-Haram-Mitgliedern in den vergangenen Monaten. Schon vor gut einem halben Jahr, am Ende des Fastenmonats Ramadan hatte die Gruppe dem Gouverneur von Kano mit Angriffen gedroht, sollte er inhaftierte Mitglieder der Gruppe nicht freilassen.

Kano, die zweitgrößte Stadt Nigerias, ist das historische Zentrum des islamisch geprägten Haussa-Landes. Bisher hatte sich Boko Haram auf die mehrere Hundert Kilometer weiter östlich gelegenen Bundesstaaten Yobe und Borno konzentriert, wo die Gruppe vor rund zehn Jahren entstanden war. In Kano hatte es bislang nur vereinzelt Angriffe auf Polizeieinrichtungen in der Peripherie gegeben.

Die Außenstelle des Goethe-Instituts in Kano Foto: Thomas Mösch
Die Außenstelle des Goethe-Instituts in KanoBild: DW

"Jetzt hat es auch uns richtig erwischt", waren denn auch die ersten Gedanken von Freedom-Radio-Chef Faruk Dalhatu nach den Explosionen. Und Frank Roger vom Goethe-Institut ergänzt, dass man zwar schon länger mit Anschlägen gerechnet habe, "aber wenn es dann passiert ist man doch überrascht." Roger rechnet nun damit, dass die Arbeit des deutschen Kultur-Instituts in Kano noch schwerer werden wird: "Wir hatten ja gerade erst den sechstägigen Generalstreik hinter uns". Nun sei völlig unklar, wann die Sicherheitslage es erlaube, das Institut wieder zu öffnen.

Verunsichert sind auch die Journalisten, denn unter den Toten vom Freitag ist auch ein Korrespondent des privaten Fernsehsenders "Channels TV". Der junge Reporter Enenche Akogwu war erschossen worden, als er - kurz nach Beginn der Angriffe - an einem der Anschlagsorte Augenzeugen interviewen wollte. Offenbar befanden sich noch Terroristen vor Ort.

"Das ist sehr traurig", betont Faruk Dalhatu von Freedom Radio: "Wir sagen unseren Reportern immer, dass ihre Sicherheit vorgeht. Aber sie müssen in solchen Situationen natürlich auch berichten. Das ist leider auch Teil des Berufsrisikos."

Kano werde jetzt sicher auf eine Stufe mit der Hauptstadt des Bundesstaates Borno, Maiduguri, gestellt, wo solche Angriffe an der Tagesordnung sind, fürchtet Dalhatu. Er betont jedoch: "Die Angriffe richteten sich jetzt nicht gegen die Bevölkerung, sondern ausschließlich gegen Regierungsreinrichtungen."

"Eine große Gefahr für den inneren Frieden"

Auch der Vorsitzende der Vereinigung der Christen in Nigeria (CAN) im Bundesstaat Kano, Bischof Ransom Bello, gibt sich noch gelassen. Im Interview mit der DW sagte er am Samstag, dass er sich als Christ durch die Anschläge überhaupt nicht bedroht fühle: "Die Boko-Haram-Drohungen gegen Christen sind ja nicht Drohungen der Muslime insgesamt. Hier in Kano arbeiten wir gut mit den muslimischen Verbänden zusammen." Die Christen würden Kano jedenfalls nicht verlassen, betont der Bischof und fügt hinzu: "Natürlich fühlen sich jetzt auch die Christen bedroht. Aber das betrifft alle Menschen hier. Jeder hat in so einer Situation Angst." Er vertraue jedoch darauf, dass die Sicherheitskräfte die Lage unter Kontrolle hätten.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle Foto: Thomas Imo (EPA)
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP)Bild: picture-alliance/dpa

Inzwischen hat auch Bundeaußenminister Guido Westerwelle die erneuten Anschläge in Nigeria verurteilt: "Die blutigen Angriffe auf Christen und staatliche Stellen sind eine große Gefahr für den inneren Frieden im Vielvölkerstaat Nigeria."

Die Angst vor weiterer Gewalt veranlasste die Organisatoren einer für diesen Samstag geplanten Großdemonstration in Nigerias größter Stadt Lagos, rund 1000 Kilometer südlich von Kano, die Proteste gegen Korruption und erhöhte Benzinpreise abzusagen. Als Grund nannte die Dachorganisation Save Nigeria allerdings Drohungen aus dem Umfeld militanter Gruppen aus den Ölfördergebieten des Niger-Deltas und nicht die Anschläge in Kano, berichtet die Nachrichtenagentur AFP.

Autor: Thomas Mösch
Redaktion: Arnd Riekmann