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Nitrofen überall

7. Juni 2002

Das Pflanzengift Nitrofen ist wahrscheinlich auch in herkömmliche Nahrungsmittel gelangt. Diese Einschätzung vertrat Verbraucherschutzministerin Renate Künast in einer Regierungserklärung im Bundestag in Berlin.

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Ohne Schuld unter öffentlichem Druck: Renate KünastBild: AP

Die Ministerin gab am Donnerstag (6. Juni 2002) auch bekannt, dass in dem Nitrofen-belasteten Lager in Malchin schon 1999 Getreide eingelagert wurde. Auf scharfe Kritik traf die Regierungserklärung bei der oppositionellen Union, die den Rücktritt der Ministerin forderte. Nach Ansicht des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (vzbv) müssen die Lebensmittelkontrollen in Deutschland drastisch verschärft werden. Künast kündigte eine rückhaltlose Aufklärung des Lebensmittelskandals an und sagte Vertuschungsversuchen in der Agrar- und Lebensmittelindustrie den Kampf an. "Wir klären alles auf, jeden Millimeter, alle Warenströme."

Lagerräume unter Verdacht

Mit der Entdeckung des ehemaligen Zentrallagers für Pflanzenschutzmittel in Malchin sei die Suche nach Nitrofen noch nicht erledigt. Es gebe Hinweise auf einen zeitlich früheren Vorgang. Belastetes Öko-Putenfleisch sei wohl schon im September letzten Jahres erzeugt worden, sagte die Ministerin. Damit sei unwahrscheinlich, dass Malchin die einzige Quelle für die Verseuchung sei, weil die dortige Halle erst später als Lagerstätte für ökologisch produziertes Getreide verwendet worden sei.

Konventionelle Betriebe betroffen

Doch nicht nur als Lagerstätte für Öko-Getreide wurde die Malchiner Halle offenbar genutzt. Neuesten Erkenntnissen Ministeriums zufolge hatte die Raiffeisenhauptgenossenschaft Nordland das Lager vom 1. Juli 1999 bis 30. Juni 2001 zur Einlagerung von Getreide angemietet. Unter anderem verkaufte sie im Herbst 1999 aus dem Lager 1500 Tonnen Gerste an die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Das Getreide sei inzwischen in andere Länder exportiert worden, sagte BLE-Präsident Günter Drexelius. Wohin genau, könne er nicht sagen. Drexelius zufolge wurde das Getreide 1999 zwar untersucht, aber nicht auf Nitrofen-Rückstände geprüft.

Die Bundesanstalt kauft Getreide auf, um den Markt zu regulieren und einen Preisverfall zu verhindern. Normalerweise kaufe die BLE nur konventionelles und kein Öko-Getreide auf, sagte eine Sprecherin des Verbraucherschutzministeriums in Berlin. Dies lege die Vermutung nahe, dass auch die herkömmliche Landwirtschaft betroffen sei. Derzeit werde geprüft, ob es sich um Öko- oder konventionell hergestellte Gerste gehandelt habe. Die Union warf Künast Versagen vor. Vom Nitrofen-Skandal habe sie viel zu spät etwas mitbekommen. Dagegen warf NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn Union und FDP vor, durch die von ihnen verabschiedeten Gesetze für die Krise in der Verbraucherpolitik mitverschuldet zu haben. Von Künast geplante Verbesserungen wie das Verbraucherinformationsgesetz würden nun von der Union im Bundesrat blockiert.

Verbraucherverband fordert Konsequenzen

Angesichts dieser gegenseitigen Schuldzuweisungen sprach der vzbv von einem "Schwarze-Peter-Spiel" von Politik, Landwirten und Experten. Der Verband legte einen Fünf-Punkte-Katalog der notwendigen Konsequenzen aus dem Nitrofen-Skandal vor. Danach sollen unter anderem in das staatliche Überwachungssystem für Lebensmittel ab sofort auch Tests auf Rückstände von verbotenen Pflanzenschutzmitteln wie Nitrofen aufgenommen werden. Außerdem sind nach Ansicht des vzbv-Gesundheitsexperten Thomas Isenberg die Kontrollen in der Öko-Produktion derzeit "zu lasch." (afp/dk)