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Nizza, die schockierte Stadt

Bernd Riegert, Nizza15. Juli 2016

Am Tatort in Nizza versammeln sich die Menschen, spenden sich Trost und suchen Gemeinschaft. Das Motiv für den verheerenden Anschlag mit 84 Toten ist noch unklar. Aus Nizza eine Reportage von Bernd Riegert.

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Trauernde in Nizza (Foto: Bernd Riegert)
Trost ist nötig: Amadine und Alexandre weinen nach dem AttentatBild: DW/B. Riegert

Am Tag nach dem Attentat sind Amadine und Alexandre an die Strandpromenade von Nizza zurückgekehrt. Herrliches Sommerwetter, azurblaues Meer. Sie halten sich ganz fest, weinen, schluchzen, können überhaupt noch nicht fassen, dass das Massaker hier in ihrer Heimatstadt passierte. "Wir waren nur eine halbe Stunde zuvor genau an der Stelle, wo der weiße Lkw die Menschen niedergemäht hat", erzählt Alexandre stockend. Als Panik ausbrach, flüchtete das Paar in ein Restaurant. "Dort versteckten wir uns mit vielen anderen. Wir hatten ja keine Ahnung, was los war. Wir hörten Schüsse", sagt Alexandre während seine Freundin schluchzend nickt. "Als wir wieder rauskamen, sahen wir die Leichen. Ich bin über dieses unfassbare Leichenfeld gegangen. Da lagen Kinder!" Alexandre laufen die Tränen über die Wangen. Er muss sich sammeln.

"Wir müssen damit fertig werden"

"Dieser Typ" - gemeint ist der 31 Jahre alte Täter tunesischer Herkunft - "hat unserer Stadt, die wir so lieben, so Schlimmes angetan. Ich kann es nicht fassen", sagt Amadine. "Und ausgerechnet am Nationalfeiertag, dem 14. Juli. Warum, was soll das?", fragt Alexandre. Beide stehen immer noch unter Schock. Sie wollen reden, wissen noch nicht, ob sie einen Psychologen brauchen werden. "Ich glaube eher nicht. Wir müssen damit irgendwie fertig werden", sagte Alexandre, nimmt seine Amadine an der Hand und drückt sie dann ganz fest. Das Paar aus Nizza harrt unweit der kleinen Gedenkstätte aus, die die Menschen aus Nizza hier seit dem Morgen anlegen. An der Absperrung, von der aus man den weißen Miet-Lkw sehen kann, wenn man sich auf Zehenspitzen stellt, legen Menschen weiße Zettel mit Trauerbotschaften nieder. Das wirkt alles sehr organisiert. Eine Frau verteilt gegen eine Spende für die Opfer, wie sie sagt, dicke Filzstifte und weiße Zettel. Aus einem alten CD-Player tönt etwas übersteuert die Marseillaise, die französische Nationalhymne.

Gedenkstätte an der Strandpromenade in Nizza (Foto: Bernd Riegert)
Emicie (ganz links) an der spontanen Gedenkstätte. Sie steht unter SchockBild: DW/B. Riegert

"So schrecklich nah"

Emicie aus der Nachbarstadt St. Raphael ist mit ihrer Freundin Karen aus Nizza zu dem kleinen Mahnmal gekommen. "Irgendwo muss man ja hin mit seiner Trauer und Wut. Ich bin schwer geschockt, dass so ein Attentat hier bei uns, so nah passiert ist", sagt Emicie nachdem sie ihr Blatt mit einer Botschaft abgelegt hat. Irgendjemand hat die Trikolore, die blau-weiß-rote französische Flagge, aufgehängt und rote Rosen abgelegt. "Schutz gegen so einen feigen Mord kann es wohl nicht geben." Sie werde mit Karen zusammen weiter unter Menschen gehen. Schließlich passierte es doch am Nationalfeiertag, wo man nicht zuhause bleiben könne. Sie wolle sich trotz allem nicht einschüchtern lassen. Karen kennt eine Familie, die beim Attentat ein Kind verlor. "Das ist so unglaublich schrecklich", sagt sie und schlägt sich die Hand vor den Mund.

Frankreich Täterfahrzeug Weißer LKW in Nizza (Foto: Bernd Riegert)
Im Hintergrund: Der weiße Laster mit zerschossener Windschutzscheibe. Tausende besuchen die AbsperrungBild: DW/B. Riegert

Die Behörden suchen nach Motiv des Einzeltäters

Die Polizei tue, was sie könne, aber Schutz vor so einem Einzeltäter, der durchdreht, könne es nicht geben, sagt Emicie. Die Hunderte von Menschen, die an den Absperrungen die Szene beobachten, sehen das wohl irgendwie anders. Als am Nachmittag dunkle Limousinen mit Staatspräsident Hollande und Premierminister Valls in hohem Tempo vorbeirasen, wird laut gebuht. Leere Getränkebecher werden auf die Wagen geschleudert. Staats- und Regierungschef hatten Nizza einen Tag nach dem Attentat besucht, um mit Sicherheitskräften und Ermittlern zu sprechen und ein Krankenhaus zu besuchen. Hollande hatte in einem kurzen Statement wiederholt, was er auch schon in Paris gesagt hatte: "Frankreich ist angegriffen worden, aber Frankreich wird stark bleiben."

84 Todesopfer hat die Staatsanwaltschaft in Nizza am späten Nachmittag bestätigt. Zwei deutsche Schüler sind offenbar darunter. Der Staatsanwalt lobt die Hilfsbereitschaft und Disziplin der Bürger. Es werde viel Blut gespendet für die Krankenhäuser, die rund 200 Verletzte versorgen müssten. Noch hat die Staatsanwaltschaft keine klaren Beweise, dass der Einzeltäter Verbindungen zu radikalen islamistischen Organisationen hatte. Seine Motive würden weiter ermittelt. Seine Wohnung wurde durchsucht. Der Mann war der Polizei als Kleinkrimineller bekannt.

Frankreich Deutsche Touristen auf der Strandpromenade in Nizza (Foto: Bernd Riegert)
Christian und Diana aus Berlin: Die Franzosen lassen sich nicht unterkriegenBild: DW/B. Riegert

"Wir werden wiederkommen"

Auch Christian und Diana aus Berlin sind einen Tag danach noch einmal an die Uferpromenade zurückgekehrt. Die Touristen stehen, wie sie sagen, unter Schock und wollen irgendwie einen Schlussstrich, einen Abschluss finden, indem sie sich die Szenerie noch einmal ansehen. "Wir haben gestern dahinten gestanden", sagt Diana und deutet auf einen Punkt etwa 300 Meter vom Tatort entfernt. "Als die Leute in Panik auf uns zugerannt kamen, sind wir einfach mit gerannt. Wir wussten ja überhaupt nicht, was los war, ob es Schüsse waren oder Feuerwerkskörper", schildert Christian seine Eindrücke. Es gab nur den Gedanken, schnell weg, renn um dein Leben. Das Paar aus Berlin flüchtete sich in eine Hotellobby. "Die Hilfsbereitschaft war toll, jeder hat getan, was er konnte", lobt Christian. Er und Diana glauben, dass die Franzosen auch diesen neuerlichen Anschlag wegstecken werden. "Die stehen wieder auf, die Franzosen. Das ist doch irgendwo die Grande Nation, die sich von Dreckskriminellen nicht einschüchtern lässt." Einen Tag haben sie noch Urlaub. Dann geht es nach einer Woche zurück nach Berlin. Der Anschlag sei kein Grund, nicht wieder nach Nizza zurückzukommen.