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Zwischen Gewalt und Reform

8. März 2011

Auf den ersten Blick hat sich viel getan für die Frauen im Nordirak: Fast ein Drittel der Abgeordneten in irakisch Kurdistan sind Frauen. Doch noch immer ist die Anzahl der Ehrenmorde und der Selbstverbrennungen hoch.

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Kopftuchtragende Frauen im Irak (Foto: AP)
Nicht alle Gesetze zum Schutz der Frau im Nordirak werden eingehaltenBild: AP

Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass sich diese gepflegte zweistöckige Villa mit Garten von den Nachbarhäusern unterscheidet. Nur der Polizist am Eingang gibt zunächst Rätsel auf. Das Frauenhaus in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, liegt in einem ruhigen Wohnviertel. Es beherbergt 14 Frauen und Mädchen, die hier Schutz suchen. Ihre Familien verdächtigen sie Beziehungen mit fremden Männern eingegangen zu sein. Dieser Verdacht bringt ihr Leben in Gefahr. Namam Hassan Rasul ist die Leiterin des Frauenhauses. Sie gibt Einblick in die Geschichten einiger Frauen: "Wir nehmen manchmal Mädchen auf, nur aus dem Grund weil sie ein Mobiltelefon besitzen. Die Familie nimmt dann an, dass das Mädchen eine Beziehung zu einem Mann habe. Wir beschützen sie und versuchen mit den Eltern zu sprechen. In unserer Gesellschaft denkt der Mann, dass er der Beschützer und Verteidiger der Ehre der Frau sei." Wenn er seine Schwester oder Tochter töte, dann hieße es nicht unbedingt, dass er von dieser Sitte oder vom Vergehen der Frau überzeugt sei, so die Leiterin. Er erfülle dadurch die Erwartung der Gesellschaft, denn ansonsten würde man überall sagen, er sei kein Mann mehr.

Schlechte Statistik

Es gibt keine genauen Statistiken über die Opfer männlicher Gewalt in der Autonomen Region Kurdistan. Seit drei Jahren sammelt zwar die neu eingerichtete Behörde für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen im Innenministerium, die Fälle, die den Polizeistationen gemeldeten werden. Aber die Angaben sind ungenau. So meldet die Statistik für das Jahr 2009, 87 getötete Frauen im Nordirak. Ehrenmorde werden nicht gesondert aufgeführt. Eine weitere erschreckende Zahl sind die Selbstverbrennungen - über 400 Fälle wurden 2009 verzeichnet. Frauenrechtlerinnen gehen aber davon aus, dass die Zahlen der Selbstverbrennungen und der Morde viel höher liegen, da die Verbrechen oft im häuslichen Umfeld passieren und nicht der Polizei gemeldet werden.

Website von ASUDA (Foto: Asuda)
Die Frauen-Organisation ASUDA aus dem Nordirak hat auch einen Internet-AuftrittBild: asuda.org

In den zurückliegenden Jahren ist das Thema Gewalt gegen Frauen zunehmend in das Zentrum des Interesses von Politik und Zivilgesellschaft gerückt. Über fünfzig Organisationen engagieren sich in verschiedenen Teilen des Nordirak für die Rechte der Frauen. Sie unterhalten Frauenhäuser, führen Aufklärungskampagnen durch, bieten psychologische Beratung und Rechtshilfe an, fordern diskriminierende Gesetze abzuschaffen und neue Gesetze zum Schutz der Frau auf den Weg zu bringen. Es hat sich in der Tat einiges getan für die Kurdinnen. Das Parlament der Autonomen Region Kurdistan hat die Zwangsheirat und die Heirat von Minderjährigen verboten. Die Polygamie wurde eingeschränkt. Die Strafe des wegen Ehrenmordes verurteilten Mannes darf nicht herabgesetzt werden. Und im Parlament gibt es eine Quote für Frauen. 30% der Sitze im Parlament der Autonomen Region sind Parlamentarierinnen vorbehalten.

Trotzdem hat sich unter vielen Aktivistinnen der Zivilgesellschaft Ernüchterung eingestellt. Khanim Rahim Latif leitet in der Stadt Suleimaniya seit über zehn Jahren "ASUDA". Als eine der ersten Organisationen im Nordirak hat sich diese Nichtregierungsorganisation dem Kampf gegen Gewalt gegen Frauen verschrieben. Latif hat inzwischen tiefe Zweifel am Reformwillen der Politiker bekommen: "Innerhalb der Parteien haben wir keine politische Beteiligung der Frauen. Die Veränderungen, die wir bisher erlebt haben, sind gut, aber auf mich wirken sie immer öfter wie 'Make up'. Wir haben ungefähr 28 Gesetze geändert. Manchmal werden sie angewendet, manchmal nicht." Was dringend nötig sei, so Latif, sei politische, soziale und wirtschaftliche Stabilität. Das alles habe die Region im Moment nicht. Wenn es zu einem Mordfall an einer Frau komme, dann könne die Angelegenheit oft mit Geld gelöst werden. "Wenn die Parteien bei den Wahlen Stimmen brauchen, dann achten sie nicht so sehr darauf ob Gesetze angewendet werden oder nicht", fügt sie hinzu.

Schwierige Geschichte

Saddam Hussein (Foto: AP)
Diktator Saddam Hussein hat die Region im Norden unterdrücktBild: AP

Irakisch Kurdistan hat eine wechselvolle, von Gewalt geprägte Geschichte erlebt. Viele Jahre wurde es durch das Baath-Regime von Saddam Hussein unterdrückt. Viele Jahre hat die Region um Autonomie gekämpft. Erst 1992, nach dem Zweiten Golfkrieg, kam es dann zu Regionalwahlen und der Ausrufung der Autonomen Region Kurdistan. Aber das von der Zentralregierung in Bagdad verhängte Wirtschaftsembargo und innere Kämpfe zwischen den beiden großen kurdischen Parteien PUK (Patriotische Union Kurdistans) und KDP (Demokratische Partei Kurdistans) verhinderten eine stabile Entwicklung. Erst im Jahr 2005 konnte die administrative Trennung der Region zwischen den beiden Parteien aufgehoben werden.

Die kurdische Gesellschaft im Nordirak hat innerhalb kürzester Zeit einen tiefen Wandel durchgemacht. Die Gefahr des Krieges war gebannt, Kontakte zum Ausland wurden Alltag und die Wirtschaft begann zu wachsen. Aber die soziale Struktur kann mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten. Nigar Bakr Rasul vom Frauenzentrum "Nawa" in Erbil beschreibt ihre Gesellschaft als tief vom Stammesdenken geprägt, aus der jetzt ein Teil auszubrechen versucht: "Ich beobachte, dass die sozialen Probleme zugenommen haben. Die Frauen fordern ihre Rechte, ihre Freiheit. Sie verändern sich, gehen außer Haus arbeiten, möchten Menschen treffen." Allerdings komme das für viele traditionelle Männer nicht in Frage. Ein Zeichen für diese soziale Unruhe sei zudem auch die Zunahme der Scheidungsrate.


Kurdische und englische Wissenschaftlerinnen haben in einem ausführlichen Bericht die bisherigen Maßnahmen zur Stärkung der Rechte der Frauen in der kurdischen Gesellschaft unter die Lupe genommen. Der Bericht zum Thema Ehrenmorde in Kurdistan und in der kurdischen Diaspora im Vereinigten Königreich, ist im November 2010 veröffentlicht worden. Die Wissenschaftlerinnen beschreiben die bisherigen Initiativen in der Autonomen Region Kurdistan als "Schritt in die richtige Richtung". Aber auch sie fordern einen stärkeren politischen Reformwillen. Notwendig sei eine Revision der Schulbücher, die immer noch die traditionellen Rollenverständnisse weiter fördern. Außerdem sollten Programme zum Verständnis der Menschenrechte und der Gleichheit der Geschlechter in allen staatlichen Institutionen und in verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft verankert werden. Namam Hassan Rasul, die Leiterin des Frauenhauses in Erbil drückt die Pläne für die Zukunft so aus: "Ich glaube, dass wir die Schwerpunkte bis jetzt falsch gesetzt haben. Wir müssen uns für die Rechte der Frauen engagieren und gleichzeitig daran arbeiten die Denkweise der Männer zu ändern."

Autorin: Mona Naggar
Redaktion: Diana Hodali