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Politik

Zerrissenes Nordirland

Peter Geoghegan SH
2. März 2017

Seit Jahrzehnten ist die Demokratische Unionistische Partei (DUP) die dominierende politische Kraft. Doch Veränderung liegt in der Luft: Nordirland hat gewählt. Peter Geoghegan berichtet aus Belfast.

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Nordirland Wahlen Stadteil Tigers Bay
Bild: DW/P. Geoghegan

Die Geschichte wiegt schwer auf den Straßen der sogenannten Tiger's Bay im Norden von Belfast. Ein buntes Wandgemälde schmückt die Giebelwand eines Reihenhauses. Es soll der Menschen gedenken, die als Paramilitärs während des drei Jahrzehnte andauernden Konflikts in Nordirland getötet wurden. Auf der anderen Straßenseite flattert das Rot, Weiß und Blau der britischen Flagge.  

Der Konflikt ist vorbei, aber an Orten wie Tiger's Bay gibt es wenig Anzeichen für eine sogenannte Friedensdividende - einen wirtschaftlichen Aufschwung durch Abrüstung. Die riesigen gelben Kräne von Harland und Wolff dominieren zwar noch den Horizont. Die Werften beschäftigten einst Zehntausende überwiegend protestantische Arbeiter. Doch jetzt sind sie vor allem eine Besucher-Attraktion. Viele Einheimische sind arbeitslos und unsicher, ob sie ihrer Partei weiterhin treu bleiben sollen.

"Wir wählen immer DUP. Du stimmst für DUP, dein Vater stimmt für DUP. Aber nun haben es viele Leute einfach nur satt", sagt Alec McGurgan, ein Großvater, dem während des Konflikts in Tiger's Bay ins Bein geschossen wurde, als er 17 war. 

Nordirland | Wahlen in Nordirland
Kritik an Arlene Foster: Ökoprogramm soll Millionen Pfund kosten Bild: Getty Images/C. McQuillan

Skandal um erneuerbare Energien

Der wichtigste Grund für die Frustration der Wähler ist ein misslungenes System für grüne Energie, das den nordirischen Steuerzahler etwa 500 Millionen Pfund (rund 589 Millionen Euro) kosten könnte. Das Öko-Förderprogramm (RHI) wurde im Jahr 2013 von Arlene Foster ins Leben gerufen, der damaligen Ministerin für Unternehmen, Handel und Investitionen und späteren Regierungschefin der nordirischen Regionalregierung. Es sollte das Heizen mit erneuerbaren Energien fördern - und wurde irgendwann zum Millionengrab. Doch Foster weigerte sich, Fehler einzugestehen und zurückzutreten. Die Koalition von DUP und Sinn Fein ist an diesem Streit zerbrochen. Deshalb wird zum zweiten Mal innerhalb von zehn Monaten ein neues Regionalparlament gewählt. 

Nordirland Wahlen Alec McGurgan
"Die Menschen haben es satt": Alec McGurganBild: DW/P. Geoghegan

"Jeder hier ist desillusioniert", sagt Alec McGurgans Ehefrau Elaine. Obwohl sie immer DUP gewählt hatte, beabsichtige sie, ihre Stimme nun den Ulster-Unionisten zu geben, der kleineren Oppositionspartei.

Fast 20 Jahre nach dem sogenannten Karfreitags-Friedensabkommen wird die nordirische Politik immer noch von Nationalismus auf der einen Seite und Unionismus auf der anderen dominiert. Die Nationalisten fühlen sich traditionellerweise als irische Staatsbürger und sind für eine Wiedervereinigung mit Irland, die Unionisten dagegen als britische Staatsbürger, die die Union mit Großbritannien aufrechterhalten wollen. Die DUP übertraf alle Umfragen und gewann bei der Wahl im Mai 2016 38 Sitze. Die katholische Sinn-Fein-Partei belegte den zweiten Platz. Die beiden Parteien - eingeschworene Feinde während des Konflikts - stellen seit fast einem Jahrzehnt die Regierung. 

Wut über Politik

Wieder einmal sind DUP und Sinn Fein fast sicher, die ersten beiden Plätze einzunehmen. An der Spitze der Sinn-Fein-Partei steht die 40-jährige Michelle O'Neill. Sinn Fein rechnet sich sogar Chancen aus, bei der Neuwahl stärkste Kraft zu werden. Aber es gibt ein greifbares Gefühl der Wut und Entzauberung - über die gesamte Politik.

"Die größte Herausforderung ist die Apathie", sagt Naomi Long, Leiterin der Cross-Community Alliance-Partei. Möglicherweise könnten sich die alten Denkweisen aber auch ändern. 2016 hat die linke Partei "Menschen vor Profit-Allianz" in West-Belfast Mandate errungen. Die nationalistische und sozialdemokratische SDLP und die Ulster-Unionisten bilden die Opposition. Und in einem beispiellosen Schritt forderte Ulster-Unionisten-Chef Mike Nesbitt seine Wähler auf, für die SDLP als zweite Präferenz zu stimmen.  

Brexit spaltet die Lager

Ein entscheidendes Thema für die Zukunft Nordirlands ist der Brexit. Fast 56 Prozent der Menschen in Nordirland stimmten beim Referendum im vergangenen Juni dafür, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleibt. Aber die Regierung in Belfast ist gespalten: Sinn Fein befürwortet den Verbleib in der EU; die DUP gab fast eine halbe Million Pfund für eine "Leave"-Kampagne aus.

Der Brexit könnte zu einer Zollgrenze zwischen der Republik Irland und Nordirland führen, die einen dramatischen Einfluss auf die Wirtschaft auf der Insel haben könnte - und auf ihre Politik. "Es gibt zwar viel Handel mit Großbritannien, aber die Menschen beginnen zu verstehen, wie stark die wirtschaftlichen Abhängigkeiten innerhalb Irlands sind", sagt David Phinnemore, Professor für Politik an der Queen's University in Belfast. 

Keine Lust zu wählen 

Einige befürchten, der Brexit könnte republikanisch-nationalistische Parteirebellen ermutigen, die gegen den Friedensprozess sind. Aber mehr noch könnte eine geringe Wahlbeteiligung entscheidend sein. Nur 54 Prozent der Wähler stimmten im Mai 2016 mit ab, der Wunsch nach einer weiteren Wahl ist gering. Die DUP benötigt alle Stimmen, die sie bekommen kann. Denn die Parteien brauchen 30 Sitze, um Gesetze zu blockieren. Die DUP hat diese Maßnahme wiederholt verwendet, um die Homosexuellen-Ehe und andere Minderheitenrechte zu verhindern.

Zurück in Tiger's Bay: Der 55-jährige Joe Crainey erlernt das Handwerk der Glasmalerei. Während die Metallschneidemaschine kreischt, beklagt sich Crainey über die Politik: Zwar sei der Frieden nach Nordirland gekommen, doch es gebe kaum politischen Wandel. "Wir haben nun zwei extreme Parteien an der Macht, alle Gemäßigten wurden zurückgelassen", sagt Crainey. "Wir müssen davon weg." Viele Menschen in Nordirland sind sich darüber einig. Aber ob sie bereit sind, dafür zu stimmen, ist eine andere Sache.

An diesem Freitag werden die Stimmen ausgezählt.