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Politik

Notfall CSU - ein Riese wankt

27. September 2017

Ausnahmezustand für die CSU. Die Partei, die fast nur absolute Mehrheiten kennt, ist bei der Bundestagswahl deutlich abgestürzt. Jetzt rumort es in Bayern. Als hätte Angela Merkel keine anderen Probleme.

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Horst Seehofer
Bild: Reuters/M. Rehle

Das nennt man eine Katastrophe. Im nächsten Jahr sind Landtagswahlen in Bayern. Die 38 Prozent für die CSU schmerzen zwischen Aschaffenburg und Kiefersfelden vermutlich mehr als die Demütigung der CDU in Sachsen. Dort liegt die Kanzlerinnenpartei nur noch auf Platz zwei hinter der AfD. Die CSU ist in Bayern quasi Staatspartei - sehr konservativ, sehr kirchennah und mit einem starken Sozialprofil. Doch jetzt ist der Siegernimbus dahin.

Rechts von der CSU…

… dürfe nur noch die Wand stehen, hatte CSU-Übervater Franz-Josef Strauß vor Jahrzehnten schon vorgegeben. Doch da steht jetzt die AfD. Absolut unakzeptabel für die CSU. Deshalb übt Parteichef Horst Seehofer schon mal verbal für die programmatische Verschiebung der Partei. Man müsse auch "national orientierten Menschen ein Angebot machen", sagte er gestern nach der Vorstandssitzung. Von Rechtsruck ist allerdings keine Rede.

Das böse Wort wird tunlichst vermieden. Joachim Herrmann, bis Sonntag Spitzenkandidat und designierter Innenminister in Berlin, will lediglich "die rechte Flanke schließen". Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer hat auch eine gefällig klingende Formel gefunden, um das harsche Wort Rechtsruck zu vermeiden: Er will die Mitte und das "demokratisch rechte Spektrum" besetzen.

Bundestagswahl 2017 | CSU Anhänger
Frust in Bayern. Nur etwas mehr als 38 Prozent sind eigentlich eine Demütigung für die CSUBild: Imago/Sven Simon/F. Hoermann

Die CSU hat zwar alle Direktmandate im Land gewonnen, doch die Siege fühlen sich in Anbetracht von plus/minus zehn Prozent Verlusten wie Niederlagen an. Vor allem in den Wahlkreisen, die an den Außengrenzen liegen, hat der Wähler die Christsozialen massiv abgestraft und AfD gewählt. Es sind die Regionen, in denen seit Sommer 2015 die Flüchtlinge zuerst deutschen Boden betraten.   

Merkel braucht die CSU, um…

… ihre einzige Regierungsoption umsetzen zu können: eine Jamaika-Koalition. Nicht etwa die Grünen sind nun in diesem Viererbündnis der Risikofaktor, sondern ausgerechnet die CSU. Bevor die komplizierten Verhandlungen zwischen Wirtschaftsliberalen (FDP), Halbkonservativen (CDU), sehr Konservativen (CSU) und Ökopaxen (Grüne) überhaupt begonnen haben, wird die CSU zum politischen Sicherheitsrisiko für Merkel.

Die traditionelle Fraktionsgemeinschaft steht auf der Kippe. In jeder Legislaturperiode wird der Pakt zwischen den Schwesterparteien formal erneuert - eine Pflichtübung. Bis auf ein einziges Mal. 1976 drohte der mächtige Bayer Franz-Josef Strauß im Streit mit Helmut Kohl mit der Aufkündigung der Gemeinschaft. Doch Kohl konterte - allerdings inoffiziell. Nach einer solchen politischen Scheidung würde sich die CDU selbstverständlich künftig auch in Bayern zur Wahl stellen. Das half. Die Drohung mit der Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft blieb aber eine Waffe. Mit der fuchtelt die CSU nun auch wieder - ein bisschen - herum. 

Deutschland CSU-Parteitag Horst Seehofer & Bundeskanzlerin Angela Merkel
Beispiellos: Horst Seehofer kanzelt Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik 2015 buchstäblich ab Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Hoppe

Risiko Jamaika - ein ungeliebter Pakt

Dieses Druckmittel wird die CSU bei den Koalitionsverhandlungen nicht einsetzen können. Anders als die beiden kleinen potentiellen Partner Bündnisgrüne und FDP, hat die CSU ein kräftiges Minus eingefahren. Noch kurz vor der Wahl wurde ihnen noch ein Ergebnis um 47 Prozent prophezeit. Es wurden dann fast zehn Prozent weniger. Die Grünen hingegen schnitten besser ab, als sie selbst befürchtet hatten, die FDP sowieso. Beide können entspannt in die Gespräche gehen.

Die Rolle der CSU als Stimmungskiller in den Jamaika-Gesprächen scheint vorprogrammiert. Rückt die von der AfD gebeutelte Partei weiter nach rechts, verprellt sie möglicherweise all jene in der Partei, die aus Sympathie für Merkel der CSU die Stimme gegeben haben. Und auch die in Bayern besonders relevanten Kirchen könnten auf Distanz gehen. Wie es unter diesen Vorzeichen die von Parteichef Horst Seehofer gebetsmühlenartig verlangte Obergrenze für Flüchtlinge (200.000 pro Jahr) in den Koalitionsvertrag schaffen soll, scheint geradezu unmöglich. Die Grünen halten es sowieso schon fast für eine Zumutung, mit der CSU gemeinsame Sache machen zu müssen. Und: Nur ein Viertel der Bundesbürger mögen die Jamaika-Koalition wirklich.

Die Causa Horst

Ob es die Grünen, wenn es dann soweit ist, überhaupt mit Horst Seehofer als CSU-Anführer zu tun haben werden, ist dabei noch völlig offen. Seit Montag gärt es in der Partei. Rücktritt, Putsch, weiter so - alles ist möglich. Bis zum Parteitag Mitte November, vielleicht aber schon vorher.

Franz Josef Strauß in Aktion
Als die CSU noch eine Macht war: Franz-Josef Strauß kokettierte schon mal mit dem Ende der FraktionsgemeinschaftBild: picture-alliance/ dpa

Für Seehofer rächt sich nun sein unentwegtes Wüten gegen Merkels Flüchtlingspolitik, die er auch dann noch in seiner verbalen Schärfe aufrecht erhielt, als die Kanzlerin sich selbst längst korrigiert hatte. Unvergessen bleibt seine von vielen fast schon als unanständig empfundene Herabwürdigung von Angela Merkel auf dem CSU-Parteitag 2015, als er sie wegen der Flüchtlingspolitik wie ein Schulmädchen zurechtgewiesen hatte. 2016 erschien sie erst gar nicht mehr bei den Bayern. Es bleibt die Tatsache, dass Seehofer von Merkel in der Flüchtlingspolitik viel gefordert, aber nichts erreicht hat - schon gar nicht die Obergrenze. Teile der CSU-Stammwähler haben das nicht vergessen.    

Seehofer, der schon einmal seinen Abtritt verkündet, dann aber doch nicht vollzogen hatte, muss nun mit allem rechnen. Vor allem aus dem protestantischen Franken formiert sich Widerstand gegen den Parteichef. Doch offen wird noch nicht gegen ihn geschossen. Verbale Rückendeckung dominiert. Viel gefährlicher aber ist für ihn das "laute" Schweigen in den eigenen Reihen.

 

Porträt eines Mannes mit Mittelscheitel und Bart
Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe