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Novosibirsk mit der Kamera

20. März 2009

Vier Wochen lang hat der Hamburger Fotograf Andreas Herzau die sibirische Millionenstadt Novosibirsk durchstreift. Entstanden sind Bilder, die eine fremde Welt überraschend vertraut erscheinen lassen.

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Andreas Herzau (Foto: Herzau)
Flaneur mit der Kamera: Andreas HerzauBild: Martin Jehrichen

Mädchen in schrillen High Heels, eine alte Frau mit Kopftuch, die unter herbstlich zerfledderten Bäumen ein Hochglanz-Magazin durchblättert: Andreas Herzau zeigt nicht spektakuläre Ansichten einer Großstadt, sondern Situationen, wie sie überall auf der Welt möglich wären. Augenblicke im Alltag von Menschen, unscheinbar und unverwechselbar zugleich.

"Street Photography", Straßenfotografie nennt sich das, was Andreas Herzau macht: Seine Bilder entstehen beim Durchstreifen der Städte. "Ich stehe morgens relativ früh auf", sagt er, "und beginne durch die Stadt zu laufen. Ich erarbeite mir die Stadt bei kleinen Wanderungen oder beim Flanieren durch die Stadt und lasse das Geschehen, die Eindrücke, die Begegnungen, die ich da habe, auf mich zukommen." Bevor er das Flanieren mit der Kamera zu seinem Beruf machte, war Herzau, Jahrgang 1962, Journalist und freier Autor. Als Fotograf hat er die Drogenszene in Deutschland, den Bürgerkrieg in Ruanda, Liberia und Sierra Leone oder auch deutsche Gefängnisse für Abschiebehäftlinge ins Visier genommen.

Gefrorene Augenblicke

Eine alte und eine junge Fraue vor einer Mauer mit einem öffentlichen Telefon in Novosibirsk, die jkunge Frau telefoniert auf dem Handy
Augenblicke in Novosibirsk - festgehalten von Andreas HerzauBild: Andreas Herzau

Doch wenn Andreas Herzau heute durch die Städte der Welt streift, ist er nicht der Fotoreporter, der "typische" Ansichten einer Stadt dokumentiert, sondern ein Künstler, der die Realität bricht, der eine konkrete Situation in eine künstlerische Abstraktion verwandelt: Gefrorene Augenblicke, die über den Moment hinaus wirken - so wie jetzt in Novosibirsk. "Die einzelnen Bilder", sagt Andreas Herzau, "sind Ausdruck der Gefühle, die mich beschlichen haben, als ich hier herumgeschlichen bin."

Erwartet hatte er eigentlich gar nichts, als er für vier Wochen im Auftrag des Goethe-Instituts nach Sibirien ging. Das Wichtigste, sagt er, war offen zu sein und sich ganz frei zu fühlen in seiner Arbeit. Notfalls wären eben nur fünf Bilder dabei herausgekommen. Nun ist es eine komplette Sammlung von Arbeiten geworden, die eine ganze Ausstellung tragen. Sie ist jetzt im Staatlichen Kunstmuseum von Novosibirsk zu sehen, feierlich eröffnet zu Beginn des Kulturfestivals sibSTANCIJA_09 und zeitgleich mit der Eröffnung des nagelneuen Goethe-Instituts.

Industriebrachen und Spitzenkleidchen

Aber es sind nicht nur die Menschen, die den Blick des Fotografen auf sich gezogen haben. Da gibt es eine ganze Bilderserie von Garagen, die Novosibirsk bevölkern, mal munter grün gestrichen, mal rostig und heruntergekommen: Wie lange werden sie wohl noch Bestand haben? Und welches Leben verbirgt sich dahinter? Da sind seine Blicke auf die riesigen Wohnblöcke aus sozialistischen Zeiten, davor eine Wäscheleine mit ausgebeulten Hosen, modischen Jeans und einem roten Spitzenkleidchen - zwei Generationen, mindestens, treffen da aufeinander. Irgendwo verborgen in den immergleichen Siedlungen, die hier schnell aus dem Boden gestampft wurden.

Eine junge Stadt ist dieses Nowosibirsk, gerade mal 100 Jahre alt, und Andreas Herzau hat bei seinen Streifzügen neben grauer Tristesse eine lebendige junge Kultur entdeckt: Jugendliche, die in Clubs ihre Parties feiern, Autoren, die in Industriebrachen Lesungen veranstalten. Und er hat den den Techno-Künstler Sasha "Boots" Bouttsynov getroffen und gleich mit ihm zusammengearbeitet: "Stücke_NSK" heißt in Anspielung auf das internationale Flughafenkürzel ihr gemeinsames Projekt, zu dem Sasha die Musik beisteuerte - abgemischt mit Stadtklängen, die Andreas Herzau gesammelt hat. Ein multimediales Kunstwerk ist dabei entstanden, das ein überraschendes Novosibirsk zeigt: Eine Stadt, in der das Leben pulsiert, auch wenn es manchmal hinter rostigen Garagentoren und schrundigen Wohnblocks verborgen ist.

Autorin: Aya Bach

Redaktion: Conny Paul