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NSU: Die Müh(l)en der Justiz

Marcel Fürstenau, Berlin21. April 2016

Kurze Verhandlungstage, langatmige Beweiserhebungen, abgelehnte Anträge: Das Verfahren gegen Beate Zschäpe ist nach drei Jahren an einem toten Punkt angelangt. Beobachtungen aus dem Gerichtssaal von Marcel Fürstenau.

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Die Akten des NSU-Prozesses füllen eine ganze Regalwand
Die Akten des NSU-Prozesses füllen eine ganze RegalwandBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Am Donnerstag ist bereits um 12 Uhr Schluss. Besser gesagt: Schon wieder beendet der Vorsitzende Richter Manfred Götzl einen Verhandlungstag nach nur zwei, drei Stunden. Kein Wunder, dass der Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) vor dem Münchener Oberlandesgericht so lange dauert - könnte man meinen. Am 6. Mai jährt sich der Beginn zum dritten Mal. Und vorsorglich sind schon Verhandlungstage bis Januar 2017 angesetzt. Für Außenstehende ist es kaum nachvollziehbar, warum die juristische Aufarbeitung der rassistischen Mordserie kein Ende zu nehmen scheint.

Eine kurze, allgemein verständliche Erklärung ist so gut wie unmöglich. Es muss beim Versuch bleiben. Da ist die schiere Dimension der Anklage: zehn Morde, Mordversuche, Bombenanschläge, Brandstiftung, Raubüberfälle. Die vorgeworfenen Taten ereigneten sich zwischen 1998 und 2011. Dieser gewaltige Zeitraum muss im Rahmen der Beweisaufnahme beleuchtet werden. Nicht zu vergessen: Neben Beate Zschäpe sitzen vier mutmaßliche Unterstützer des NSU auf der Anklagebank.

Die Zeugen am 278. Verhandlungstag verweigern die Aussage

Und dann gibt es noch Dutzende Nebenkläger - Angehörige von Ermordeten und überlebende Opfer. Sie alle wollen, sollen und müssen gehört werden. Weitere Zeugen sind Polizisten, Beamte und V-Leute des Verfassungsschutzes, Personen aus dem privaten Umfeld Zschäpes und ihrer toten NSU-Weggefährten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Manche Zeugen müssen mehrmals kommen, weil sich in der Vernehmung oder durch neue Erkenntnisse weitere Fragen ergeben. Kurzum: Der NSU-Prozess sprengt in vielerlei Hinsicht den Rahmen eines alltäglichen Strafverfahrens. Weil er alles andere als alltäglich ist.

Beate Zschäpe und ihr Pflichtverteidiger Mathias Grasel
Beate Zschäpe und ihr Pflichtverteidiger Mathias Grasel an einem Verhandlungstag im Februar 2016Bild: Reuters/M. Dalder

Dass Zeugen gar nichts sagen, kommt auch immer wieder vor. Vor allem, wenn sie aus dem rechtsextremen Milieu stammen. So ist es auch am dritten und letzten Verhandlungstag in dieser Woche. Insgesamt ist es der Zweihundertachtundsiebzigste. Erschienen sind Ron E. und Gil W. Es geht um Erkenntnisse zur Beschaffung von Waffen für den NSU. Beide machen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, um sich nicht selbst zu belasten. Also verlassen sie schon nach wenigen Minuten den Schwurgerichtssaal wieder. Weitere Zeugen sind nicht geladen. Es ist kurz nach zehn Uhr vormittags. Verhandelt wird seit einer Viertelstunde…

Gerichts-Lektüre: Protokolle des Thüringer Verfassungsschutzes

Es geht dann aber noch knapp zwei Stunden weiter, weil sich die Verfahrensbeteiligten ausführlich mit Anträgen und dem Verlesen sogenannter Erkenntniszusammenstellungen beschäftigen. Darunter sind in diesem Fall Protokolle des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz zu verstehen. Aus Thüringen stammt das NSU-Trio. Die Sicherheitsbehörden hatten es nach seinem Untertauchen 1998 immer wieder auf dem Schirm, ohne seiner habhaft zu werden.

Was die im Schnitt zehn Besucher auf der Zuschauertribüne und die höchstens 15 Journalisten an diesen drei Tagen hören, ist weitestgehend bekannt. Es stammt überwiegend aus Treffberichten des Verfassungsschutzes und Ermittlungsakten des Bundeskriminalamtes. Vieles davon war auch schon Thema in den diversen NSU-Untersuchungsausschüssen des Bundestages und der Länder. Im Münchener Prozess wird es nun Wort für Wort vorgetragen. Jede noch so kleine Unterlassung könnte für die Verteidigung der Angeklagten ein Revisionsgrund sein. Also verliest der Vorsitzende Richter Götzl langatmige Protokolle.

Zschäpes Antworten werden (noch) nicht verlesen

Am Dienstag dauert dieses Prozedere gut zwei Stunden. Verständlich, dass sich Götzl diese Arbeit mit seinen fünf Kollegen teilt. Das bringt etwas Abwechslung in die Verhandlung, weil man nicht immer dieselbe Stimme hört. Trotzdem nickt ein Zuschauer in der dritten Reihe ein. Das kann am Inhalt der Protokolle liegen. Vielleicht ist der Mann aber auch zu spät ins Bett gegangen. Andere verlassen den Gerichtssaal schon nach einer halben Stunde. Sie haben genug gehört. Und wahrscheinlich wenig verstanden, wenn sie das erste Mal im NSU-Prozess waren.

Inzwischen die Ausnahme: Großer Andrang vor dem Oberlandesgericht München, wo der NSU-Prozess stattfindet.
Großer Andrang herrschte beim NSU-Prozess zuletzt im Dezember, als Zschäpe ihr Schweigen brachBild: picture-alliance/dpa/A. Gebert

Wer am Dienstag rechtzeitig da ist, darf für einen kurzen Moment auf spannende Stunden hoffen. Es ist kein Zeuge geladen. Deshalb rechnen die etwas zahlreicheren Journalisten damit, Neues von Zschäpe zu erfahren. Die hatte im Dezember ihr jahrelanges Schweigen gebrochen. Nach der ersten von Pflichtverteidiger Mathias Grasel verlesenen Erklärung reichte der Vorsitzende Richter Götzl mehrmals Fragen ein. Etliche Antworten stehen noch aus. Dabei bleibt es dann auch. "Wir hatten für heute Fragen an Sie vorgesehen", beginnt Richter Götzl die Verhandlung. Damit ist klar, dass es an diesem Tag keine weitere Aussage der Hauptangeklagten geben wird.

Die aktuelle V-Mann-Affäre hat keine Folgen für den NSU-Prozess

Neugierige - ständige Prozessbeobachter wie gelegentliche - müssen sich wieder einmal in Geduld üben. Wann sie die Antworten auf alte und neue Fragen hören können, ist reine Spekulation. Interessant und womöglich prozessrelevant könnten sie sein. Götzl erkundigt sich bei Zschäpe unter anderem nach Art und Zeitpunkt ihrer Kontakte zu dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Er war nach Überzeugung des Generalbundesanwalts der wichtigste Helfer der mutmaßlichen Rechtsterroristen. Und wenn es um Zschäpe und ihre personellen Verflechtungen im Untergrund geht, kann der NSU-Prozess auch nach drei Jahren noch für Überraschungen gut sein.

Dafür sorgen gelegentlich auch Journalisten. Jüngstes Beispiel: Uwe Mundlos soll nach dem Untertauchen des NSU-Trios für die Baufirma eines V-Mannes des Verfassungsschutzes gearbeitet haben. Ihn und weitere Zeugen zu laden, hält die Bundesanwaltschaft allerdings für überflüssig. Begründung: Der Beweisantrag habe für die Tat- und Schuldfrage keine Bedeutung. Das sorgt für Empörung bei den Anwälten der Nebenkläger und Verwunderung auf der Zuschauertribüne. Weitere Beweisanträge werden auch unter Verweis auf das "Gebot zur Verfahrensbeschleunigung" verworfen. Das wirkt unbeabsichtigt komisch nach drei Jahren NSU-Prozess.