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NSU-Prozess: Wohlleben und das "Ding"

Marcel Fürstenau, z. Z. München13. Januar 2016

Der mutmaßliche Terrorhelfer spricht über die Beschaffung einer Waffe für die untergetauchten Rechtsextremisten. Es ist ein Mix aus Erinnerungslücken und angeblicher Ahnungslosigkeit. Aus München Marcel Fürstenau.

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Die Tatwaffe vom Typ "Ceska" . Foto: Franziska Kraufmann/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Zehn Menschen soll der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) im Zeitraum 2000 bis 2007 ermordet haben. Neun davon starben durch Kugeln einer Waffe vom Typ "Ceska" (im Artikelbild). Diese Pistole soll Ralf Wohlleben besorgt haben. Davon ist die Anklage im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht überzeugt. Mehr als zweieinhalb Jahre hat der frühere Funktionär der rechtsextremen NPD zu den Vorwürfen geschwiegen. Erst nachdem die Hauptangeklagte Beate Zschäpe im Dezember eine Erklärung verlesen ließ, änderte auch Wohlleben seine Strategie.

Kurz vor Weihnachten machte der knapp 41-Jährige Angaben zur Person und seiner Rolle im NSU-Umfeld. Am Mittwoch stellte er sich erstmals den Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Der will vom Angeklagten zunächst hören, wie dessen politischer Werdegang gewesen sei. Damals, nach dem Zusammenbruch der DDR, als sich in Ostdeutschland zunehmend rechte Milieus entwickelten. Wohlleben zeichnet das Bild eines jungen Mannes, der sich an Linken störte, die jeden für einen Nazi gehalten hätten, "der eine BRD-Fahne trug".

Wohlleben trifft sich im Untergrund mit dem NSU-Trio

Die Aufarbeitung der Nazi-Zeit hält er damals wie heute für "relativ einseitig". Immer gehe es nur um die Kriegsschuld der Deutschen, nicht die ihrer Kriegsgegner. Als Beispiel nennt Wohlleben die Zerstörung Dresdens 1945. Die Opferzahlen würden von "hohen sechsstelligen auf fünfstellige runter gelogen". An die Bombardierung der barocken Stadt in Sachsen erinnern Neonazis jedes Jahr am 13. Februar auf ihre Art: mit Fahnen, Fackeln und nationalistischen Parolen. Als Wohlleben wenige Jahre nach der Wende in Jena stramm organisierte rechte Gruppen erlebt, "hat mich begeistert, wie diszipliniert das ablief". Das habe ihn an die DDR erinnert.

Ralf Wohlleben (r.) wird im NSU-Prozess unter anderem von Nicole Schneiders verteidigt. picture-alliance/AA/J. Koch
Nicole Schneiders (l.) und Olaf Klemke (nicht im Bild) verteidigen Ralf Wohlleben (r.)Bild: picture-alliance/AA/J. Koch

In dieser Zeit lernt Wohlleben Beate Zschäpe, Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos kennen. Drei Gesinnungsfreunde, die 1998 untertauchten und mutmaßlich zu Mördern wurden. Richter Götzl nähert sich nun dem Kern seines Interesses: der Tatwaffe. Wohlleben will mit dem Trio, als es noch in der Legalität lebte, nie darüber gesprochen haben. Und das, obwohl er Böhnhardts Faible für Waffen jeglicher Art kannte. Erst im Untergrund soll es plötzlich um dieses Thema gegangen sein. Dort habe er sich nach eigener Darstellung dreimal mit den gesuchten Rechtsextremisten getroffen.

Uwe Böhnhardts "ungewöhnlicher Wunsch"

Er könne sich noch an den "ungewöhnlichen Wunsch" von Böhnhardt erinnern, ihm eine Waffe zu beschaffen. Ein deutsches Fabrikat sollte es sein. Warum, wisse er nicht, er habe ja keine Ahnung gehabt. Ihm hätte man auch eine "Schreckschuss-Pistole" andrehen können. Angeblich wollte sich sein alter Kumpel Böhnhardt "lieber erschießen", bevor er sich der Polizei stellt. Eine Waffe für den möglichen Freitod also - Wohlleben sagt das nicht so, man muss und soll ihn wohl auch so verstehen.

Der Angeklagte Carsten S. verbirgt sein Gesicht im NSU-Prozess unter einer Kapuze (Archivbild)Foto: Johannes Simon - Pool/Getty Images)
Der Angeklagte Carsten S. zu Beginn des NSU-Prozesses im Frühjahr 2013Bild: Getty Images

An diesem Punkt der Geschichte kommt Carsten S. ins Spiel, der wie Wohlleben als NSU-Helfer angeklagt ist. Die beiden kannten sich schon länger aus gemeinsamen NPD-Zeiten. Glaubt man S., war er von Wohlleben beauftragt worden, eine Waffe zu besorgen. So hat er es schon zu Beginn des Prozesses im Frühjahr 2013 dargestellt. Ihm zu widersprechen, darauf verzichtete Wohlleben seinerzeit. Weshalb sich die Frage stellt, warum er zweieinhalb Jahre später Versäumtes nachholt?

Das Geld für die Waffe könnte von einem V-Mann stammen

Eines Tages sei S. bei ihm erschienen. "Ich war nicht erfreut, als er mit dem Ding da stand." Das "Ding" war die Waffe inklusive Schalldämpfer. Den will Wohlleben vor lauter Überraschung auf die Pistole geschraubt haben, "um zu schauen, wie das ausschaut". Ansonsten habe er sich die Waffe aber nicht näher angeguckt, "weil ich damit eh nichts hätte anfangen können". Wohlleben räumt noch ein, S. womöglich gesagt zu haben, wo er eine Waffe bekommen könnte. Das Geld, spekuliert er auf Nachfragen des Richters weiter, könnte von Tino Brandt gestammt haben. Auch den kannte Wohlleben schon lange. Er flog Anfang des Jahrtausends als Spitzel des Verfassungsschutzes auf. Für seine zwielichtigen Dienste hat er nach eigenen Angaben viel Geld vom deutschen Inlandsgeheimdienst erhalten.

So fügt sich an diesem 254. Tag des NSU-Prozesses ein Bild zusammen, das an vielen Stellen durchaus plausibel klingt. Dennoch bleiben die entscheidenden Fragen nach Verantwortung und Schuld der Angeklagten weiter offen. Alle stellen sich selbst lediglich als Handlanger dar, die über die wahren Motive für die Waffenbeschaffung nichts gewusst haben wollen. Wohlleben wird an den nächsten Verhandlungstagen noch ausführlich Gelegenheit haben, seine Sicht der Dinge darzustellen. Seine Vernehmung am Mittwoch endet nach einer Pause am Nachmittag abrupt. Er klage über Rücken- und Kopfschmerzen, erklärt Wohlleben-Verteidiger Olaf Klemke im Namen seines Mandanten. Richter Götzl unterbricht daraufhin die Verhandlung. Fragen an den Angeklagten hat er noch viele. Das gilt auch für die anderen Prozess-Beteiligten, darunter die Anwälte der NSU-Opfer-Familien.