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Nukleargipfel in Seoul

Daniel Scheschkewitz26. März 2012

In Seoul beraten Staats- und Regierungschefs aus mehr als 50 Staaten über die Nuklearsicherheit. Sie alle wissen: Die Gefahr von nuklearen Terroranschlägen ist nicht geringer geworden.

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Atombild-Choreographie bei einer Massenveranstaltung im nordkoranischen Pjönjang im September 2008 (Foto: AP)
Bild: AP

Als Schrittmacher der internationalen Bemühungen gilt der amerikanische Präsident Barack Obama. Er hatte die Sicherung der weltweit verstreuten Nuklearmaterialien schon früh zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit erklärt. "Zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges ist das Risiko eines Atomkrieges zwischen zwei Staaten zurückgegangen, aber die Gefahr eines nuklearen Angriffs ist gestiegen", so formulierte es der US-Präsident vor den Staats- und Regierungschefs, die er im April 2010 zum ersten Gipfel für Nuklearsicherheit nach Washington eingeladen hatte. Jetzt trifft man sich am Montag und Dienstag (26.-27.03.2012) in Seoul zur Nachfolgekonferenz.

Gewachsenes Gefahrenbewusstsein

Ein Problem besteht in der schieren Masse des spaltbaren Materials. Die weltweiten Plutoniumvorräte für zivile und militärische Zwecke werden auf mehr als 200 Tonnen geschätzt. Eine Menge, die theoretisch ausreicht, um zehntausende Atombomben zu bauen. In der Atomindustrie werden darüber hinaus jährlich weltweit rund 4000 Kilogramm hoch angereichertes Uran verbraucht. In einigen Staaten ist ein Teil dieser Substanzen nur unzureichend überwacht und gesichert. Das Material ist außerdem über Dutzende von Ländern verteilt. Terrorgruppen wie Al-Kaida sollen bereits mehrfach versucht haben, Nuklearmaterial zu erwerben.

US-Präsident Obama (Foto: AP)
Schrittmacher in Sachen Nuklearsicherheit: US-Präsident ObamaBild: AP

Die Gefahr des nuklearen Terrorismus gehörte lange Zeit zu den meist unterschätzen Bedrohungen für die globale Sicherheit. "Dieser Nukleargipfel kann dazu dienen, das Problembewusstsein weiter zu schärfen", sagt Annette Schaper von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. "Außerdem müssen wir gemeinsame internationale Standards für den Umgang mit Nuklearmaterialien entwickeln, die eine gewisse Rechtsverbindlichkeit besitzen".

Es fehlt ein weltweites Inventar

Beim Treffen in Washington hatten sich die Teilnehmerstaaten freiwillig zu verstärkten Kontrollmaßnahmen verpflichtet. Einige haben inzwischen begonnen, hoch angereichertes Uran umzuwandeln. Andere haben Maßnahmen ergriffen, um die Gefahr der Weiterverbreitung einzuschränken. Insgesamt sind weltweit in den vergangenen acht Jahren etwas mehr als 2000 Kilogramm hoch angereicherten Urans aus Reaktoren entnommen und nach Russland und in die USA zurücktransportiert worden. Die Ukraine liefert ihre gesamten Bestände an Russland zurück.

Arbeiter in weißen Kitteln laden atomwaffenfähige Materialien in der Ukraine in einen Container geladen (Foto: DDP)
Die Ukraine schickt ihr Uran nach Russland zurückBild: dapd

Doch selbst für Experten ist es schwierig, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen. "Zugängliche, globale Statistiken über den Bestand und die Reduktion hoch angereicherten Urans sind weiterhin Mangelware", sagt Oliver Thränert, Rüstungsexperte beim Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit.

Sorgen machen Iran und Nordkorea

Das liegt auch an Problemstaaten wie Nordkorea oder Iran. Beide Länder fehlten schon beim ersten Gipfel zur nuklearen Sicherheit in Washington. Auch in Seoul werden sie nicht mit am Konferenztisch sitzen. Nordkorea ist aus dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag ausgetreten und hat die Mitgliedschaft in der Internationalen Atomenergiebehörde gekündigt. Seit Jahren versucht die internationale Staatengemeinschaft vergeblich, das Land zu einer Rückkehr in das internationale Kontrollregime zu bewegen.

Urananreicherungsanlage im iranischen Natans (Foto: dpa-Bildfunk)
Anreicherungsanlage für Uran im iranischen NatansBild: picture-alliance/dpa

Pjöngjang empfindet den Gipfel in seiner unmittelbaren Nachbarschaft als Drohgebärde. Er diene lediglich dazu, einen "Atomkrieg gegen Nordkorea zu rechtfertigen", schimpfte Ende Februar die staatliche Zeitung "Roding Sinmun". Dessen ungeachtet verkündete die nordkoreanische Regierung ein vorläufiges Moratorium bei der Anreicherung von Uran und hat inzwischen die Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) eingeladen, die Kontrollen in Nordkorea wieder aufzunehmen.

Beim Iran ist der Fall anders gelagert. Die IAEA hat eine willkürliche Trennungslinie zwischen schwach und hoch angereichertem Uran bei 20 Prozent Anreicherungsgrad gezogen. "Der Iran liegt, nach allem was wir wissen, knapp darunter", sagt Oliver Thränert. Das Land habe Uran lediglich bis zu einem Wert von 19,75 Prozent angereichert. Eine Mimimaldifferenz, die vor allem westlichen Staaten in Anbetracht des iranischen Atomprogramms große Sorgen bereitet.

Nuklearschmuggel bleibt ein Problem

Das bekannteste und lange Zeit gefährlichste Proliferationsnetzwerk entwickelte sich um den sogenannten Vater der pakistanischen Atombombe, Abdul Q. Khan. Das Netzwerk belieferte in den 1990er Jahren Iran, Libyen und Nordkorea - und möglicherweise auch nichtstaatliche Akteure - mit Wissen und Material zur Anreicherung von Uran. "In Expertenkreisen ist man sich bis heute nicht vollständig sicher, ob das weit verzweigte Netzwerk auch wirklich alle seine Aktivitäten eingestellt hat", so Oliver Thränert gegenüber der Deutschen Welle.

Abdul Q. Khan, Vater der pakistanischen Atombombe (Foto: AP)
"Vater der pakistanischen Atombombe": Abdul Q. KhanBild: AP

Hinzu komme, dass Pakistan in großem Stile spaltbares Material für sein Atomwaffenprogramm produziere und in China weitere Reaktoren bestellt habe, die auch für die Herstellung von waffenfähigem Plutonium geeignet sind. "Pakistan kooperiert allerdings mit der IAEA bei der nuklearen Sicherheit in zivil genutzten kerntechnischen Anlagen", zeichnet Thränert ein differenziertes Bild vom pakistanischen Sorgenkind.

Russland und USA gehen voran

Russland hat seinen letzten Plutonium produzierenden Reaktor im April 2010 abgeschaltet. Aber auch im Falle Russlands gibt es immer noch Zweifel, ob in den Turbulenzen während des Zerfalls der Sowjetunion Nuklearmaterial entwendet wurde. Möglicherweise haben auch pensionierte Atomwissenschaftler aus Sowjetzeiten ihr Wissen an andere Staaten oder nichtstaatliche Akteure verkauft. Mit den USA hat man inzwischen ein Abkommen über die Vernichtung von jeweils 34 Tonnen waffenfähigen Plutoniums geschlossen. Sie soll im Jahr 2018 beginnen.

US-Außenministerin Clinton und ihr russischer Amtskollege Lawrow während des Nukleargipfels in Washington (Foto: AP)
US-Außenministerin Clinton und ihr russischer Amtskollege LawrowBild: AP

Abkommen dieser Art sind international bisher Mangelware. "Die Konferenz kann nur Aktionspläne verabschieden; die Umsetzung ist aber ein souveräner Akt der jeweiligen Länder", erklärt Rüstungsexperte Thränert. Für die Bundesregierung wird Außenminister Guido Westerwelle am Gipfeltreffen in Seoul teilnehmen. Deutschland setzt sich für eine umfassende Präventionspolitik, eine entschlossene Abwehr von Bedrohungen durch den Nuklearterrorismus und die Unterbindung von Nuklearschmuggel ein.

Seoul wird möglicherweise nicht die letzte Konferenz zur nuklearen Sicherheit sein. Denn trotz zahlreicher Konventionen zum Schutz von Nuklearstoffen, gibt es bisher kein international gültiges Abkommen, das im Weltmaßstab gilt.