1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nur nicht ärgern!

Titus Chalk (z. Zt. in Brasilien)9. Juli 2014

Brasiliens Niederlage ist ein schmerzliches Kapitel der Fußballgeschichte. Und ein Grund mehr für die Brasilianer, nicht mehr auf den Fußball zu schauen, sondern auf ihr wunderbares Volk, findet WM-Reporter Titus Chalk.

https://p.dw.com/p/1CYex
DW-Reporter Titus Chalk und Joscha Weber in Belo Horizonte
Bild: DW

Brasiliens Fußball-Nationalmannschaft hatte es verdient, in Belo Horizonte zu verlieren. Die brasilianische Nation dagegen nicht. Es war das bittere Ende eines schönen Traums, wie naiv und kontraproduktiv er auch gewesen sein mag. So betrachtet, war es kein großer Spaß, im Estadio Minerao dabei gewesen zu sein.

Die Stimmung vor dem Anstoß war beeindruckend, die A-Capella-Version der Nationalhymne ergreifend. Das erste deutsche Tor, sauber eingenetzt von Thomas Müller, ein Kracher! Und natürlich habe ich laut gejubelt als Klose seinen Rekordtreffer erzielte.

Aber Spaß und Freude fanden bald ein Ende. Die brasilianischen Spieler verwandelten sich: Erst waren sie kraftstrotzende Neymar-Rächer, dann leisteten sie den Deutschen nicht mehr Gegenwehr als Plastikhütchen auf dem Trainingsplatz. Ihre Angst war greifbar, als sie in sich zusammenfielen. In unserem Block gingen sogar kurz die Lichter aus, als würden sie sich von Ekel erfüllt vom Spiel abwenden.

Neben mir wippte ein kleines Mädchen deprimiert mit den Füßen, während sich seine Augen mit Tränen füllten. Sie sah zu ihrer Mama auf, in der Hoffnung auf irgendeine Erklärung. Aber ihre Mutter konnte nur zurückschauen und kämpfte ebenfalls mit den Tränen. Keine Worte konnten diese unerwartete und totale Kapitulation erklären. Die deutschen Fans sangen. Die Brasilianer buhten ihr Team aus, als es nach der Halbzeitpause wieder auf den Platz kam. Es war peinlich...

Brasilien hat den Fehler gemacht, ein erfolgreiches Abschneiden bei der Heim-WM als einzigen Weg zu sehen, die Seele der Nation zu heilen. Sie sollten stattdessen stolz darauf sein, auf welche Weise sie das Turnier überhaupt durchgezogen haben. Dass sie jeden ausländischen Journalisten ins Leere laufen ließen, der auf der Suche nach einer Skandal-Story war. Dass sie durch ihre Wärme und Herzlichkeit die Herzen aller WM-Besucher gewonnen haben. Fußballer sind nicht länger Brasiliens wichtigste und beste Ressource. Seine Menschen sind es. Und wenn sich der Staub nach der Niederlage gelegt hat, sollten sie diejenigen sein, die gefeiert werden, denen man zuhört und in die man investiert. Nur so kann Brasilien seine manchmal sehr kurzsichtige Fußball-Obsession loswerden.