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Nur Wohlfahrt statt unpopuläre Maßnahmen

23. August 2002

- Medgyessy-Regierung kündigt ein zweites 100-Tage-Programm an

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Budapest, 20.-26.8.2002, PESTER LLOYD, Maria Lakatos

Das Land konzentriert sich in den kommenden Monaten hauptsächlich auf die EU-Vorbereitung und dabei darauf, das Vertrauen der Investoren für ein EU-Mitglied Ungarn zu gewinnen. Das zweite 100-Tage-Programm setzt offenbar diese Prioritäten. Dabei wäre es vielleicht nicht ganz unangebracht darüber nachzudenken, ob es Sinn macht, kaum als kurzfristig anzusehende Pläne in einer Phase auszuhecken, in der die meisten der potenziellen Investoren an den Geschäfts- und Finanzplänen für 2003 und 2004 arbeiten.

Zwölf Jahre nach dem Systemwechsel muss niemand mehr die Notwendigkeit der Planung rechtfertigen, die durch die Praxis der sozialistischen Fünfjahrespläne einst in Verruf geriet. (...) Mit dem ersten 100-Tage-Programm der Wahlsieger vom April wurde bestenfalls die Mobilität für das letzte Quartal des laufenden Jahres definiert. Viel Spielraum bekam der Ministerpräsident allerdings nicht, dem durch seine Vorgänger faktisch ein maßgeschneidertes (und etwas zu enges) Jackett überlassen wurde.

Etwas stümperhaft erscheint da die Ankündigung eines zweiten 100-Tage-Programms, denn wer nur ein wenig von der Wirtschaft versteht, kann sich denken, wie wenig hundert Tage bewegen können. (...) Niemand wird in dieser Zeitspanne tiefgreifende Veränderungen erwarten dürfen. Im Wirtschaftsleben lässt sich die Reaktionszeit in Intervallen ab einem halben Jahr messen. Für einmal gestartete Pläne braucht es diese Durchlaufzeit, um sie auf sämtlichen in Frage kommenden Foren zu diskutieren und in Abhängigkeit vom Erfolg bei deren Umsetzung Korrekturen vornehmen zu können.

In ein Programm von hundert Tagen passen hingegen nur wieder Maßnahmen der Wohlfahrt, vielleicht noch eine Modifizierung von Steuern oder eine Anhebung der Rentenbezüge hinein. Es genügt gerade dazu, das Vertrauen in die neue Regierung zu erhalten. Das aber benötigt diese am Vorabend der Kommunalwahlen, um mit dem Überspielen gewisser Gesetzmöglichkeiten der Wirtschaft im politischen Ringen die Oberhand zu behalten, ohne gleichzeitig das in den Jahren des Aufschwungs angesammelte Vermögen vollends zu verprassen.

Noch scheint die Medgyessy-Regierung nicht zu effektiven, aber unpopulären Maßnahmen zu neigen, mit denen die Wirtschaft im rechten Lot und stabil gehalten würde. Das ausufernde Zwillingsdefizit im Staatsbudget und in der Zahlungsbilanz zusammen mit einer wieder angeheizten Inflationserwartung verlangen aber nach Antworten der Wirtschaftsführung, um wenigstens die Rahmenbedingungen für reale Geschäftspläne abzustecken. Da wäre an erster Stelle die fehlende Einigung der Sozialpartner über gebremste Lohnerhöhungen zu nennen. Des Weiteren könnte sich die Wirtschaftsführung mit den Banken hinsichtlich der Zinspolitik verständigen und sollten die sozialpolitischen Ausgaben in einem vernünftigen Rahmen gehalten werden.

Wenn etwa erhöhte Familiengelder und Rentenzuschläge als Grundrecht allen Bürgern zugute kommen und eine Differenzierung bei der Verteilung fehlt, wirbt das Gießkannenprinzip zwar für Popularität, hilft aber den bedürftigeren Schichten nicht wirklich. So werden gerade in diesen Tagen und Wochen 57 Milliarden Forint unter den Rentnern verteilt, indem jeder Einzelne von ihnen einmalig 19.000 Forint erhält.

Als würde sich die Regierung nicht die Realitäten, sondern vor allem die Beliebtheitsskala in den Umfragen der Meinungsforscher vor Augen halten. Programme von hundert Tagen sind nämlich bestenfalls dafür gut, die Menschen an die Einlösung von Versprechen zu erinnern, also den Nimbus von einer Regierung aufzubauen, die unbedingt zu ihrem Wort steht.

Diese Art, ein Land zu steuern, mag vorteilhaft sein in einer Phase des Wahlkampfes. In einer Situation wie jener des herannahenden EU-Beitritts, die voll von Spannungen ist und das Beschreiten unbekannter Pfade verlangt, bedeutet dies ein Handicap. Und das wird noch dadurch gesteigert, dass die pausenlosen Personalwechsel an der Spitze des öffentlichen Sektors jeden Anpassungsversuch an die Gegebenheiten erschweren. (ykk)