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Beamte nach Athen tragen

30. Juli 2011

Geld geben reicht ihm nicht: Günther Oettinger will auch Fachpersonal nach Athen schicken. Im DW-WORLD.DE-Interview erklärt der EU-Energie-Kommissar seinen Plan für Griechenland nach Vorbild des deutschen "Aufbau Ost".

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Flaggen bei der Akropolis (Foto: dapd)
"Fachleuten, die vor Ort helfen und beraten"Bild: dapd

DW-WORLD.DE: Herr Oettinger, Sie wollen Verwaltungsbeamte nach Athen schicken, die der Regierung dort helfen sollen ihre Kompetenz zu stärken. Heißt das, Sie halten die griechische Regierung für nicht ausreichend kompetent die Schuldenkrise zu bewältigen?

Günther Oettinger, EU-Kommissar für Energie, bei einer Pressekonferenz in brüssel (Foto: dpa)
Günther OettingerBild: picture-alliance/Wiktor Dabkowski

Günther Oettinger: Die griechische Regierung handelt kompetent und mutig, aber sie sagt selbst, dass sie in der Finanzverwaltung und Steuerverwaltung, beim Einzug von Gebührenabgaben und der Bekämpfung der Korruption und Schwarzarbeit, aber auch im handwerklichen Bereich, im Bereich der Industrie, durchaus Beratung und Nachqualifizierung durch europäische Fachleute benötigen könnte. Deswegen ist mein Vorschlag, dass wir jetzt neben all den Garantien, die gegeben sind, und neben den Haushaltsauflagen, die ausgesprochen wurden, auch einen Aufbauplan für Griechenland für die nächsten zehn Jahre beschließen, der aus Projekten bestehen muss, aber auch aus Fachleuten, die vor Ort helfen und beraten.

Was können denn deutsche Fachleute, was die Griechen nicht können?

Nehmen Sie einmal die Qualifikation unserer Facharbeiter – unserer Meister und Gesellen oder unserer Techniker in der Industrie. Nehmen Sie allein mal die Qualität unserer freien Ausbildung, unserer beruflichen Schulzentren. Da ist schon ein großer Abstand zu Griechenland. Da wäre ein deutsches Beratungsteam aus Meistern und Technikern, vielleicht auch aus Berufsschullehrern, für Griechenland eine ideale Verstärkung.

Würde Griechenland durch eine solche Hilfe nicht auch entmündigt werden?

Denken Sie einmal zurück an die Zeit, als die neuen Länder nach der deutschen Wiedervereinigung zur Bundesrepublik Deutschland kamen. Da wurden aus Baden-Württemberg mehrere tausend Fachbeamte nach Sachsen entsandt. Die waren dort willkommen und Sachsen blüht heute. Ich glaube, wenn jemand Beratung braucht, darf er nicht stolz sein, sondern sollte sie annehmen. Und die Griechen sind bereit dazu. Es geht ja nicht darum, die Griechen auf Dauer zu entmündigen, es geht darum, sie innerhalb von zehn Jahren auf eine europäische Stärke zu bringen. Aber dafür brauchen sie Hilfe.

Haben Sie schon Reaktionen aus Griechenland auf Ihren Vorschlag?

Wir haben als Europäische Kommission eine Arbeitsgruppe, eine Task Force eingerichtet, die in Brüssel und Athen arbeiten wird, aus der von allen relevanten Generaldirektionen EU-Beamte tätig werden. Wir haben darauf sehr gute Reaktionen bekommen und ich gehe auch davon aus, dass das im Bereich der Bildung und der beruflichen Weiterbildung ähnlich positiv sein würde.

Sie haben eben schon den Vergleich zum "Aufbau Ost" in Deutschland gezogen – Sie fordern einen Aufbauplan für Griechenland, der vergleichbar ist mit dem für die ostdeutschen Bundesländer Anfang der 1990er Jahre. Dieser "Aufbau Ost" hat Milliarden gekostet und viele Jahre gedauert. Wird Europa so viel Geduld mit Griechenland haben?

Wir werden die Geduld haben müssen, denn wenn man Griechenland nicht langfristig auf eine gute wirtschaftliche Grundlage stellen wird, dann wird Europa insgesamt verlieren. Deswegen: So wie der Aufbau Ost in Deutschland richtig war, ist jetzt ein Aufbauplan dort richtig und notwendig, wo europäische Mitgliedstaaten alleine nicht die Kraft haben um wirtschaftlich zu bestehen.

Nicht nur Griechenland macht der EU Sorgen, müsste man nicht auch präventiv Facharbeiter nach Irland, Italien und Spanien entsenden?

Man muss die Lage immer konkret und getrennt betrachten. Irland zum Beispiel hatte "nur" eine Bankenkrise. Die Wirtschaftskraft Irlands ist unbestritten. Das Land wird sich aus eigener Kraft mit den Garantien, die Europa hier für die Finanzwirtschaft gibt, wieder stabilisieren. Ich traue auch den Regierungen in Portugal und Spanien zu, ihren konsequenten Kurs fortzusetzen. Aber Griechenland ist ein besonderer Fall, hier stehen weitreichende Veränderungen an, Griechenland kann deshalb nicht nur finanzielle Garantien und Haushaltsauflagen, sondern auch persönliche und fachliche Hilfe vertragen.

Für wie dramatisch halten Sie denn die Lage in Griechenland?

Die Lage ist sehr, sehr schwierig. Griechenland ist derzeit in keiner Form wettbewerbsfähig. Und europäische Länder mit ihren Sozial- und Lohnkosten, aber auch mit ihrer Verschuldung, werden nur dann, wenn sie wettbewerbsfähig am Weltmarkt sind, wirtschaftlich und existenziell überleben können.

Das Gespräch führte Günther Birkenstock

Redaktion: Marlis Schaum