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Offene Grenzen für Autodiebe?

19. Mai 2010

Die Zahl der registrierten Straftaten ist 2009 in Deutschland zurückgegangen - aber Autodiebstahl hat anscheinend wieder Konjunktur. Wo landen eigentlich die gestohlenen Fahrzeuge? Und was ist mit den Wegfahrsperren los?

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Symbolbild: Eine Autotür wird mit Hilfe eines Schraubenziehers geöffnet. Quelle: dpa
Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

"Geklautes Auto mit der Axt aus Polen zurückgeholt!". So titelten im Februar 2010 einige Zeitungen in Deutschland. Ein Unternehmer aus Dresden hatte seinen verschwundenen BMW X6 per Satelliten-Ortungssystem im polnischen Mirsk aufgespürt. Und dort dann mit einem wuchtigen Hieb - gottlob nicht gleich den Dieb niedergestreckt, sondern nur das Vorhängeschloss einer Garage geöffnet, in der dann tatsächlich sein Luxusfahrzeug stand.

Von solchen eigenmächtigen und riskanten Wiederbeschaffungsaktionen rät die deutsche Polizei ausdrücklich ab. Aber ansonsten ist der beschriebene spektakuläre Fall geradezu ein Musterbeispiel: Der BMW steht auf der Ganoven-Wunschliste ganz weit oben, die Wegfahrsperre neuester Generation lässt sich offenbar knacken und die Fahrt der Diebe führt schnurstracks über die offene Grenze Richtung Osten.

Deutlicher Anstieg beim Autoklau

BMW X5 Quelle: AP
Die "Sport Utility Vehicles" wie der BMW X5 oder X6 stehen auf der Diebstahls-Hitliste ganz obenBild: AP

Auch die Daten aus der "Polizeilichen Kriminalstatistik" (PKS) 2009, die Bundesinnenminister Thomas de Mazière am Dienstag (18.05.2010) in Berlin vorstellte, deuten auf einen problematischen Trend hin. Beim Delikt "Diebstahl von Kraftwagen" gab es bundesweit erstmals seit vielen Jahren wieder steigende Zahlen. 40.375 Fälle wurden registriert, das ist ein Zuwachs von 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Noch deutlicher zeigt sich der Boom beim Autoklau allerdings in bestimmten Bundesländern: in Berlin ein Anstieg um 38 Prozent, in Sachsen um 32 Prozent, in Brandenburg um 31 Prozent. Auch Bayern verzeichnet knapp 5 Prozent mehr Fälle, die sich speziell in der Grenzregion zu Tschechien häufen.

Ist die Schengen-Osterweiterung schuld?

Eine Grenze zu Tschechien oder zu Polen haben auch die anderen stark betroffenen östlichen Bundesländer. Und weil dort bereits 2008 die Autodiebstahlsfälle deutlich angestiegen waren, drängt sich eine Erklärung für das Phänomen geradezu auf - aller innereuropäischer guter Nachbarschaft zum Trotz: "Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Fallzahlen und der Ende 2007 erfolgten Erweiterung des Schengen-Raumes, mit dem damit einhergehenden Wegfall der Grenzkontrollen, ist sehr wahrscheinlich", so steht es denn auch in der "Polizeilichen Kriminalstatistik Berlin 2009", also dem Bericht des Berliner Landeskriminalamtes.

(AP Photo/Matthias Rietschel)
Fahrzeugkontrollen wie hier in Oppach nahe der deutsch-tschechischen Grenze finden nur noch sporadisch stattBild: AP

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Hamburgs Innensenator Christoph Ahlhaus, mag sich dieser Interpretation so klar nicht anschließen: "Dieser Kausalzusammenhang greift meines Erachtens zu kurz." Immerhin, so präzisiert sein Pressesprecher Frank Reschreiter auf Nachfrage, sei zumindest ein "Teil des Problems möglicherweise auf die Schengen-Osterweiterung zurückzuführen".

Auf jeden Fall erleichtern die offenen Schlagbäume den Ganoven das Handwerk, denkt auch Ahlhaus: "Heute werden die Wagen eben unmittelbar, nachdem sie geklaut wurden, in Richtung Osteuropa verbracht. Und wegen der entfallenen Grenzkontrollen können die Täter die Wagen relativ leicht über die Grenze bringen, ohne sich der Mühe eines Umbaus unterziehen zu müssen."

Organisierte Kriminalität

Das Ziel Osteuropa bestätigt auch Burkhardt Opitz vom LKA Berlin. Hinter den Diebstählen steckten praktisch immer organisierte Banden, mit Profi-Know-How: Erst, um die elektronischen Sicherungseinrichtungen der PKW zu überwinden. Und dann, um in den Zielländern die Wagen zu "verwerten". Wolle man ein gestohlenes Fahrzeug dort an mehr oder weniger gutgläubige Abnehmer weiterverkaufen, dann bräuchte man ja eine neue "Legende" für das Auto - neue Papiere und neue Schlüssel zum Beispiel. Aber auch der Ersatzteilmarkt werde durch die Banden bedient.

Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), kann von Politikern geäußerte Zweifel am Zusammenhang zwischen offenen Grenzen und gestiegenen Deliktzahlen "schon nicht mehr hören". Bereits 2007 hatte die GdP vor den Folgen der Grenzöffnung, noch dazu verbunden mit einem Personalabbau bei der Bundespolizei, gewarnt. Jetzt brauche man "nur einmal mit den Leuten zu sprechen", die in den Ortschaften entlang der Ausfallstraßen nach Tschechien oder Polen wohnen. Oder man solle sich dort doch einmal die Parkplätze ansehen, so Freiberg. Praktisch jedes Fahrzeug sei mit Lenkrad-Blockadestange oder sogar mit Reifenkrallen gesichert.

Wegfahrsperren kein Hindernis mehr?

Komfortabel ist es nicht, sein Auto mit massivem Stahleinsatz zu verrammeln. Aber mit der eigentlich zeitgemäßen Lösung namens "Wegfahrsperre" gibt es offenbar Probleme. Nach ihrer Einführung hatte die Technik für einen langjährigen massiven Rückgang bei Autodiebstählen gesorgt. Jetzt allerdings fand Innenminister Thomas de Mazière bei der Pressekonferenz recht deutliche Worte: "Mein Eindruck ist, dass die Automobilindustrie sich auf ihren Lorbeeren ausruht." Mit Hilfe präziser Anleitungen im Internet ließen sich heute sogar die Sperren der modernsten Fahrzeugmodelle knacken, so der Innenminister. Die Branche müsse die elektronische Wegfahrsperre endlich weiterentwickeln.

Porsche Cayenne Quelle: Porsche
Bei den "Lieblingen der Autodiebe" laut GDV auf Platz 2: der Porsche CayenneBild: Porsche

Auch von undichten Stellen, von Insider-Verbindungen zwischen schwarzen Schafen in der Industrie und Profi-Ganoven ist zuweilen die Rede. Aber grundsätzlich betonen sowohl das Bundeskriminalamt BKA als auch die für die Schadensregulierung zuständigen Kaskoversicherer ihre "vertrauensvolle Zusammenarbeit" mit der Automobilindustrie. Wo die Sicherungssysteme nun im Detail ihre Schwächen haben, darüber spricht man nicht so gern.

An der Spitze, bei den Luxuswagen, gebe es "gewissermaßen ein Wettrüsten zwischen Automobilherstellern und spezialisierten Dieben", sagt Katrin Rüter vom Gesamtverband der deutschen Versicherer (GDV). Die Kasko-Schadenszahlen für 2009 werden erst in einigen Monaten vorliegen, aber eine dramatische Tendenz sieht die Pressesprecherin derzeit nicht. Und verweist auch noch einmal auf den stetigen Rückgang der Diebstähle in den vergangenen Jahren - dank Wegfahrsperre.

In der Masse der Fälle werden übrigens daher gerade ältere Fahrzeuge immer noch häufig gestohlen, zeigt die GDV-Statistik. Da reicht nämlich dem weniger ambitionierten Dieb ein Schlüssel-Knacker namens "Zieh-Fix" oder die gute alte Brechstange.

Autor: Michael Gessat
Redaktion: Kay-Alexander Scholz