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Offline in Lateinamerika

Andreas Schmidt5. Oktober 2002

Boom überschätzt, Konkurrenz unterschätzt: Für die Internet-Multis ist Lateinamerika ein schwieriges Pflaster.

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AOL-Hauptquartier in New York: Markt in Südamerika überschätztBild: AP

Sogar Boris Becker war nach Mexico City gereist. Zusammen mit "Magic" Johnson und anderen Prominenten gab er mit einer überdimensionalen Maus den Startklick für das erste spanischsprachige Portal von AOL. Das war im Juli 2000. Die US-amerikanischen AOL-Oberen schwärmten von riesigen Märkten beim südlichen Nachbarn, die es nur noch einzunehmen gelte.

Für seine Expansion nach Lateinamerika hatte sich AOL mit Cisneros, einem venezolanischen Medienkonglomerat, und der brasilianischen Banco Itau zusammengeschlossen. Es schien ein sicheres Geschäft. Nirgendwo wuchs die Zahl der Internetnutzer schneller als in Lateinamerika. "Das Internet in Lateinamerika wächst auch weiter," betont Ruy Carneiro des brasilianischen Marktforschungsdienstes IBOPE. Im Mai diesen Jahres waren 13,62 Millionen Brasilianer online, verglichen mit weniger als 12 Millionen im Jahr zuvor.

Kein glatter Einmarsch

Doch für AOL Latin America ist die Rechnung nicht aufgegangen. In diesem Jahr macht der Ableger immer noch mehr als 40 Millionen US-Dollar Verlust. Das ist zwar weniger als im Vorjahr, doch erstmals ist die Zahl der Abonnenten um knapp zehn Prozent auf 1,3 Millionen zurückgegangen.

Fernando Figueredo, Sprecher von AOL Latin America, regt das nicht besonders auf: "Natürlich sind wir von der Geldentwertung in Brasilien und Argentinien betroffen. Aber solche Zyklen sind in der Region normal." Das Geld reiche noch bis Ende 2003. "Wir sind auf dem besten Weg, profitabel zu werden.

Mit den Problemen steht AOL nicht alleine. Die Krise trifft vor allem die internationalen Großanbieter wie Yahoo oder Star Media. "Sie sind alle nicht so glatt einmarschiert, wie sie sich das gedacht hatten," sagt Bert Hoffmann, Politikwissenschaftler am Lateinameriainstitut der Freien Universität Berlin. Die Zuwachsraten bei der Internetnutzung seien zwar weiterhin hoch, "Die großen Anbieter sind aber von wahnsinnigen Raten ausgegangen", so Hoffmann. Zudem hätten sie die rund 1000 regionalen und nationalen Anbieter unterschätzt, allen voran den mexikanischen Service Provider Universo Online (UOL) und Terra Networks, einen Ableger der spanischen Telefonica. "Der Markt ist enger als alle gedacht haben."

E-Commerce ohne Chance

Verglichen mit Europa oder Nordamerika, konnte sich in Lateinamerika noch keine wirkliche Online-Kultur etablieren. Zu viele Menschen haben keinen Zugang zu Strom, geschweige denn zum Internet. Computer sind weiterhin der dünnen Mittel- und Oberschicht vorbehalten. Die International Telecommunication Union (ITU) schätzt, dass es in Brasilien sechs PCs für hundert Einwohner gibt. In Deutschland sind es 33, in den USA 62. Kreditkarten sind weit weniger verbreitet als in der westlichen Welt, die Angst vor Betrug ist groß. Hoffmann: "Kaum ein Lateinamerikaner würde sich Bücher in einem Online-Shop kaufen."

"Das Internet ist nicht mehr sexy". So werden derzeit Analysten mit einem Auge auf Lateinamerika zitiert. Ganz so pessimistisch sieht Bert Hoffmann es nicht, erwartet aber eine "Marktbereinigung". Derweil sucht AOL Latin America nach Wegen, die Krise zu überwinden. Figueredo: "Die Region ist zu wichtig für AOL, als das wir uns jetzt zurückziehen könnten."