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Ogletree: Neue Köpfe für Ferguson

Michael Knigge/ch6. März 2015

Das US-Justizministerium hat in einem Bericht zu den Vorfällen in der Stadt Ferguson der Polizei rassistische Muster attestiert. Ferguson sei leider kein Einzelfall, sagt Rechtsprofessor Charles Ogletree.

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Schwarze demonstrieren (Foto: Reuters/E. Garcia)
Bild: Reuters/E. Garcia

DW: Vor sieben Monaten war der 18-jährige schwarze Jugendliche Michael Brown von einem weißen Polizisten erschossen worden. In dem Bericht wirft das Ministerium der Polizei in Ferguson Rassismus vor. Schwarze Menschen in der Stadt würden systematisch diskriminiert und routinemäßig schikaniert. Was ist Ihrer Ansicht nach das wichtigste Detail dieses Berichts?

Charles Ogletree: Das Wichtigste ist, dass das Justizministerium die Probleme überhaupt zur Kenntnis nimmt. Außerdem war ich nach dem Tod von Michael Brown sehr erstaunt zu hören, dass Afro-Amerikaner zwar die Mehrheit der Bevölkerung von Ferguson stellen, dass sich diese Bevölkerungsmehrheit aber nicht bei der Polizei, beim Stadtrat oder beim gesellschaftlichen Engagement niederschlug. Das fand ich schockierend. Seitdem sage ich immer wieder, dass Ferguson ein Beispiel für eine Stadt im 21. Jahrhundert sein muss, wo sich etwas ändert und wo sich Menschen einbringen.

Der Bericht deckt eine ganze Reihe von Dingen auf, die anscheinend gegen die amerikanische Verfassung verstoßen. Trotzdem glaubt das Justizministerium offenbar, keine zivilrechtliche Klage einreichen zu können. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?

Ja, das sehe ich auch so. Der Bericht spricht von Gegensätzen in Ferguson - vor allem hinsichtlich der afro-amerikanischen Bevölkerung. Und das sagt mir, dass man etwas ändern und dafür sorgen muss, dass die Leute zur Schule gehen. Sie dürfen nicht wegen Bagatellen von der Polizei verhaftet werden, die damit nur Geld verdienen will, Und man muss auch dafür sorgen, dass die Menschen wählen gehen. In Ferguson macht nur jeder Fünfte von seinem Wahlrecht Gebrauch. Dieses Verhalten fällt aus dem Rahmen. Vor allem als Präsident Obama, mein früherer Student, dessen Mentor ich war, bei den Präsidentschaftswahlen 2008 und 2012 kandidierte, haben ganz viele Afro-Amerikaner gewählt, weil es diesen schwarzen Kandidaten gab, den sie gut fanden. In Ferguson war das anders. Da muss sich also noch einiges tun. Ich weiß, das ist jetzt ein bisschen heikel, aber ich glaube, es muss eine Untersuchung darüber geben, ob der Bürgermeister und der Polizeichef von Ferguson die richtigen Leute sind, die die Stadt weiterbringen.

Wenn Sie glauben, dass das Justizministerium keine zivilrechtliche Klage erheben kann, meinen Sie dann, dass es eine strafrechtliche Klage erheben sollte?

Das ist schwierig. Die Möglichkeiten sind beschränkt. Denn die Justiz kann sich nur auf die Verletzung von Bürgerrechten konzentrieren. Ich selbst glaube, dass es hier in der Tat um Verletzungen von Bürgerrechten geht. Aber das ist sehr schwer zu beweisen. Ich wäre sehr überrascht, wenn das Justizministerium mit einer solchen Klage durchkäme und man wirklich etwas an den Zuständen in Ferguson ändern würde. Daher bezweifele ich, dass sie es versuchen werden.

Ein erstaunliches Detail des Berichts ist die Tatsache, dass Geldbußen für Verkehrsvergehen die zweitwichtigste Einnahmequelle der Gemeinde Ferguson waren und dass Vertreter der Stadtverwaltung die Polizei sogar drängte, die Einnahmen durch Strafgelder noch weiter zu erhöhen. Was sagt Ihnen das?

Das sagt mir, dass es auf die Hautfarbe ankommt, und zwar auf die falsche Art. Menschen werden unrechtmäßig bestraft, um von ihnen zu profitieren. Und das verstärkt, dass die Leute keine wirkliche Verantwortung empfinden, sich für ein öffentliches Amt zu bewerben, sich wählen zu lassen, für Kandidaten zu stimmen oder Ämter auszuüben, die ihre Familien wirklich weiterbringen könnten. Die Menschen in Ferguson sehen: Sie werden von der Polizei anders behandelt, mit weniger Respekt. Deswegen müssen sich Afro-Amerikaer dem widersetzen und stark sein. Die Menschen in Ferguson brauchen Führungsfiguren, die fair und gewissenhaft für sie eintreten, statt nur auf ihre Hautfarbe zu sehen und ihre Rechte zu vergessen.

Charles Ogletree (Foto: Privat)
Charles Ogletree: Veränderung durch ErziehungBild: Privat

Ist Ferguson ein extremer Einzelfall, oder glauben Sie, dass andere Städte ähnliche Probleme haben?

Ich muss sagen, dass Ferguson zwar extrem ist, aber kein Einzelfall. Schauen Sie sich Chicago und seine Probleme an, auch einige Teile von Boston. Auch dort werden Afro-Amerikaner wegen ihrer Hautfarbe von der Polizei angehalten, verhaftet. Sie brechen oft die Schule ab, sie arbeiten nicht. Das ist ein nationales Problem. Ich will nicht alle Städte aufzählen, aber wenn Sie nach Newark in New Jersey gehen, in Teile von Harlem in New York, nach Cleveland: Es ist kein Problem der Südstaaten, es ist ein Problem in den USA. Ich hoffe, Ferguson wird zu einem positiven Beispiel für andere Gemeinden, das aufzeigt, was man tun kann, wenn man sich in die richtige Richtung bewegt.

Was kann man konkret in Ferguson verändern?

Ich glaube, was wirklich etwas verändern kann, ist, wie Eltern ihre Kinder erziehen. Ich denke an meine Kindheit zurück. Meine Mutter stammte aus Arkansas, mein Vater aus Alabama. Sie zogen nach Kalifornien, ich wurde 1952 geboren. Sie waren noch mit dem Bewusstsein der Rassentrennung und Diskriminierung aufgewachsen, und es gab eine ganze Reihe von Gesetzen, die ihren Aufstieg verhinderten. Aber sie wollten, dass ihr Sohn, ihr erstes Kind, die weiterführende Schule abschloss. Und weil ich in der weiterführenden Schule gut war, war es keine Überraschung, dass ich der erste in der Familie war, der die Schule abschloss und dann auch zur Universität ging. Das ist das, was wir machen müssen. Mein Sohn und meine Tochter sind auch zur Universität gegangen und haben gute Jobs. Man muss dieses Erlebnis der Veränderung haben, dass spätere Generationen immer weiter aufsteigen können.

Charles Ogletree ist Juraprofessor in Harvard. Barack und Michelle Obama gehörten zu seinen Studenten.