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Wer die Wahl hat in der Weihnachtsbaumplantage

23. Dezember 2009

Der Weihnachtsbaum gehört zum Fest wie die Geschenke. 28 Millionen Bäume werden pro Jahr gefällt, eigens für den Bedarf in Deutschland. Die meisten werden im Sauerland gezüchtet, so wie im Ruhrtal um Bestwig.

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Ein Mann transportiert einen Weihnachtsbaum auf dem Fahrrad. (Foto: AP)
Bild: AP

Heiligabend, 12 Uhr: Stefan Wiese atmet auf. Denn nun blockieren keine schweren LKW mit Anhängern aus ganz Europa mehr die riesigen Flächen auf dem Hof, um die vorbestellten Bäume abzutransportieren. Edeltannen, Waldkiefern, Blaufichten und die beliebten Nordmanntannen waren dabei.

Stefan Wiese, Holzwirtschaftsmeister, mit Blaufichte aus eigenem Anbau. (Foto: DW)
Ein Prachtexemplar - Stefan Wiese mit BlaufichteBild: DW

Endlich hat Stefan Wiese die Gewissheit, dass alle versorgt sind mit Weihnachtsbäumen und er sich um sein eigenes Exemplar kümmern kann, eine Nordmanntanne. Die hat er sich schon vor Monaten ausgesucht, beim Rundgang durch die eigenen Nadelbaumwälder. Und er hofft, dass ihm diesmal nicht jemand zuvor gekommen ist wie vor ein paar Jahren. Damals, schwärmt er noch heute, "hatte ich mir eine wunderschön gewachsene Blaufichte ausgesucht. Gut zwei Meter hoch war die, ganz edel, mit stahlblauen Nadeln und herrlich duftend. Doch die hat jemand einfach abgesägt". Stefan Wiese lacht. Als Herr von fast eineinhalb Millionen Bäumen nimmt er den Diebstahl gelassen. Genau gezählt hat er die Bäume an den familieneigenen oder gepachteten Hängen des Sauerlandes ohnehin nicht.

Unzählige Bäume in der Weihnachtsbaumplantage Schulte-Wiese in Bestwig-Velmede. (Foto: DW)
Weihnachtsbäume - so weit das Auge reichtBild: DW

Die meisten seiner Kunden kaufen legal. Sie können sich darauf verlassen, dass die Preise zivil sind. Frische garantiert. Bis zu zwei Stunden Fahrt nehmen Käufer auf sich, aus ganz Westdeutschland kommen sie, um dann meist mit mehreren Bäumen bepackt, die Rückreise anzutreten. An den Adventswochenenden ist der Andrang besonders groß. Dann bieten Schulte-Wieses "Weihnachtsbäume zum Selber schlagen" an, und beim Hoffest locken Waffeln, Würstchen und Glühwein, der mit dem frischen Tannengrün um die Wette duftet.

Selbst ist der Baumfäller

Wie alle Jahre wieder hat es auch Familie Schmidt aus Bestwig in die Weihnachtsbaumkultur verschlagen. Vater Friedhelm ist ausgerüstet, als wolle er zum Abenteuerurlaub in den Yukon aufbrechen. Er trägt eine Camouflage-Tarnhose, Schuhe mit dickem Profil und einen Trapperhut mit breiter Krempe. Mit eigener Axt und Säge bewaffnet sind die Schmidts zunächst mit dem Planwagen komfortabel hinauf in die Plantage gefahren worden. Dann haben sie sich zu Fuß den Weg durch Schlamm und Morast gebahnt. Schnell ist ein Baum gefunden. Lars und Jan packen das Maßband aus: "1,20 Meter. Der würde für Oma passen", ruft Lars begeistert. Doch die Eltern sind längst weiter geeilt. "Den erstbesten Baum zu nehmen, das wäre viel zu einfach", lacht Mutter Andrea, "da würde sich die ganze Sache ja nicht lohnen".

Abenteuerausflug für die ganze Familie in die Schonung

"Eine tolle Nachmittagsbeschäftigung, besonders für die Kinder", freut sich Friedhelm Schmidt. "Ich will mir meine Hose nicht schmutzig machen", argumentiert Lars. Sein Bruder Jan findet "das Ganze eigentlich ziemlich kindisch". Also greift der Vater wie gehabt zur scharfen Säge, um den ersten Baum gekonnt zu Fall zu bringen.

Friedhelm Schmidt kniet neben einer Nordmanntanne. (Foto: DW)
Ein Mann und sein Baum - Friedhelm Schmidt mit NordmanntanneBild: DW

Immerhin erklärt sich Jan bereit, der ältere, den Baum bei den Mitarbeitern der Firma Schulte-Wiese abzugeben. Dort erhält er ein Namensschild und später können die Schmidts im Tal aus dem Haufen vernetzter Bäume ihren selbst geschlagenen herausfischen. Vater Friedhelm und Mutter Andrea sind schon wieder hinter Nordmanntannen verschwunden. "Diese Sorte hat stabile Zweige, tiefgrüne, nicht pieksende Nadeln. Sie ist von gleichmäßigem Wuchs", begründet Andrea Schmidt die Wahl. Doch sie macht es sich und ihren Lieben nicht einfach. Mal zu schmal, mal herrlich pyramidenförmig, aber zu groß. Zwei Stunden dauert es, bis die zwei Nordmanntannen für Oma und den eigenen Bedarf gefunden und "geschlagen" sind. So ein Unternehmen dauert eben.

Dünger, Licht und Platz zum Gedeihen braucht ein Bilderbuchbaum

Das kann Stefan Wiese nur bestätigen. Sein Vater Norbert spezialisierte sich 1980 auf die Züchtung von Weihnachtsbäumen. "Ich sehe heute aus dem fahrenden Auto heraus, was fünf Leute nicht sehen, wenn den Bäumen etwas fehlt", verweist Norbert Wiese auf seine Erfahrung. "Dann werden Bodenproben entnommen und bei Mangel Magnesium, Kalk, Blaukorn als Dünger hinzugefügt." Der Boden, das Klima des Sauerlandes sind prädestiniert für die Züchtung von Weihnachtsbäumen.
"In Dänemark wächst wunderbare Qualität", gibt Stefan Wiese anerkennend zu, "aber die Transportwege sind zu lang, die Ware wird dadurch sehr teuer." Ebenfalls zu lang unterwegs sind die Produkte, die in Osteuropa gezüchtet werden. "Dort wachsen die Bäumen zu schnell, sind daher weniger stabil", argumentiert der 32-jährige Holzfachmann. Trotzdem ist die Arbeit mühsam, pflegeintensiv. Das ganze Jahr über betreiben Schulte-Wieses und ihre Mitarbeiter Baumkosmetik, durch Schnitt der Zweige oder das Aussortieren von Bäumen.

Eine Ernte kann sogar ausfallen, wenn die Kälte zu früh den Boden gefriert oder Hagelschlag die Nadeln zerstört. Alles schon vorgekommen im Bestand der Holzbauernfamilie in Bestwig. Die kleinen Pflänzchen beziehen die Schulte-Wieses aus einer Baumschule. Dann werden sie maschinell, manchmal auch per Hand eingepflanzt, je nach Bodenbeschaffenheit. 20-30 cm wächst ein Baum pro Jahr. Acht bis zehn Jahre haben die meisten unter der Krone, ehe sie abgeholzt werden. Eine Sauerlandfichte, die vor einer Botschaft oder auf einem Vorplatz in Berlin präsentiert werden, bringt es mitunter auf 14 m. Derart langen Bäumen rückt Stefan Wiese nach dem 10. Januar zu Leibe. Dann lichtet der Forstwirtschaftsmeister den Winterwald mit seiner großen Motorsäge. Und wenn der letzte Schnee geschmolzen ist greift er wieder zur Schere, um die Weihnachtsbäume in Form zu bringen.

Familienbetrieb: Stefan (li), Mutter Gisela, Vater Norbert Schulte-Wiese (Foto: DW)
Familienbetrieb: Stefan, Gisela und Norbert Wiese (von links)Bild: DW

Autorin: Karin Jäger
Redaktion: Hartmut Lüning