1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ohne Abstriche

Karl Zawadsky29. April 2003

Bundeskanzler Schröders Reformpaket der sozialen Einschnitte stößt auf Widerstand - kein Wunder in einer Gesellschaft, die an ein relativ hohes Maß von sozialer Absicherung gewöhnt ist. Karl Zawadsky analysiert.

https://p.dw.com/p/3ZmD
Ihre Rente ist sicher - aber auch die ihrer Enkel?Bild: Bilderbox

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die SPD-Basis eindringlich zur Unterstützung der geplanten Reformen aufgerufen, die wegen sozialer Einschnitte umstritten sind. Auf der ersten von vier SPD-Regionalkonferenzen betonte Schröder am Montag (28. April 2003) in Bonn, man müsse den Mut haben, den Realitäten nicht auszuweichen.

Seinen innerparteilichen Kritikern warf der Kanzler vor, die enormen Probleme in Deutschland zu verkennen. Für seine Rede, in der er keine Abstriche an der so genannten "Agenda 2010" machte, bekam Schröder langanhaltenden Beifall. Nur vereinzelt waren Pfiffe zu hören. Zuvor hatte sich in Berlin bereits der SPD-Vorstand mehrheitlich hinter die Reformvorhaben des Kanzlers gestellt. Doch nicht alle sind überzeugt.

Ohne Reformen geht nichts mehr

Es ehrt die Sozialdemokraten, dass sie sich so schwer tun mit den unumgänglichen Anpassungen von Sozialleistungen an die veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, dass sie nicht bereits bei leichtem Gegenwind wichtige Bestandteile des Sozialstaats über Bord werfen. Aber es geht kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland in der Gefahr der Überforderung stehen, und daraus Konsequenzen zu ziehen sind.

Denn zwischen der Wirtschaftskraft und der finanziellen Ausstattung des Sozialsystems besteht ein untrennbarer Zusammenhang. Das ist zum Nachteil der öffentlichen Kassen über viele Jahre hinweg ignoriert worden. Die Ausflucht in Staatsverschuldung geht nicht mehr. Denn die Schulden von heute sind über Zins und Tilgung die Grundlage der Steuererhöhungen von morgen.

Umkehr ist dringend geboten

Mit seiner "Agenda 2010", einem Paket an Sozialreformen, will Bundeskanzler Schröder der verhängnisvollen Entwicklung entgegensteuern. Probleme dabei bereiten ihm seine eigene Partei, die SPD, und deren traditionelle Verbündete, die Gewerkschaften. Die SPD ist über Schröders Pläne in eine Zerreißprobe geraten. Dabei wird auch bei den Sozialdemokraten erkannt, dass die von Schröder geplanten Einschnitte in Sozialleistungen notwendig sind. So ist die Einsicht weit verbreitet, dass zum Beispiel in der deutschen Arbeitsmarktpolitik Einiges schief gelaufen ist. Viel zu lange und viel zu sehr sind die Anstrengungen darauf konzentriert worden, den Arbeitslosen ein auskömmliches Einkommen zu sichern. Darüber sind die Rahmenbedingungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie die Anstrengungen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt vernachlässigt worden.

Das Ergebnis ist deprimierend

Alle großen Industriestaaten haben mit dem Einbruch der Weltwirtschaft zu kämpfen, aber in Deutschland sind die wirtschaftlichen Wachstumsraten am niedrigsten. Dafür gibt es viele Gründe, die von den hohen Lohnnebenkosten der Betriebe bis zur Überregulierung fast sämtlicher Wirtschaftsbereiche reichen. Hinzu kommen die Lasten der deutschen Einheit: Rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts - das sind rund 80 Milliarden Euro pro Jahr - werden über öffentliche Kassen nach Ostdeutschland transferiert. Kein anderes Land hat diese Last zu schultern, wobei verhängnisvoll ist, dass dies nicht von allen über Steuern finanziert wird, sondern über die Sozialkassen den Faktor Lohn verteuert. Und dann ist da noch die dramatische Alterung der Gesellschaft, die die Kosten der Renten- und Krankenversicherung in die Höhe treiben.

Deutschland muss flexibler werden

Die Sozialbeiträge müssen sinken, damit den Arbeitnehmern mehr Geld für den Konsum und den Unternehmen mehr Geld für Innovationen bleibt. Nicht produktive Ausgaben müssen gekürzt, die Investitionen in die Jugend müssen verstärkt werden. Wer will, dass alles so bleibt, wie es ist, wird am Ende alles verlieren. Oder anders gesagt: Entweder nimmt die SPD die Herausforderung an und geht entschieden auf Modernisierungskurs. Oder sie wird die Macht verlieren und kann in einer Schmollecke der guten alten Zeiten gedenken.

Bundeskanzler Schröder hat seine Partei mit Blick auf den Sonderparteitag am 1. Juni in Berlin vor diese Alternative gestellt, und damit sein politisches Schicksal verknüpft. Natürlich wird die Partei ihrem Vorsitzenden und Bundeskanzler folgen, aber sie tut sich schwer damit. Wie eingangs gesagt: Das ehrt sie. Am Ende muss nämlich die soziale Gerechtigkeit noch erkennbar sein. Denn sie ist der Kern des Sozialstaats.